Achtsamkeit und Meditation, Training und Bewegung

Im Beitrag My Morning Routine and Some Thoughts on a Holistic Approach auf Zettelkasten.de habe ich über einige Aspekte meiner Morgenroutine geschrieben, mich dabei aber auf die Effekte meiner geistigen Arbeit bezogen.

Das ist für diesen Blog nicht sehr interessant, aber eine Fußnote hat mich an einen Beitrag erinnert, den ich schon länger schreiben wollte. Es ist übrigens genau der, den du jetzt in diesem Augenblick liest.

Betender Affe

Hier zunächst die Fußnote:

I believe that there are some severe downsides of such ritualization. It lowers your consciousness by decreasing the demand for mindfulness and being present in your everyday life. I try to be present in the moment, every moment of my life. It is an issue of our modern culture that we have separate times for training, meditation, family, and so on. As the result of our culture, we have multiple detached lives. The growing importance of the difference of role and identity in psychology and pedagogy is an indicator for that. I prefer a wholesome life with movement instead of exercise and constant mindfulness instead of a weekly yoga class.

Die Zergliederung in Lebensbereiche ist eine der größeren Herausforderungen der Moderne.

  • Wir unterscheiden zwischen Arbeits- und Freizeit
  • Wir unterscheiden zwischen Freundschaft und Arbeitskollege sein
  • Wir unterscheiden zwischen Familienzeit und Kumpelszeit

Diese Anforderungen sind ebenfalls etwas, welche so ganz und gar nicht paleo sind. Wir müssen mehr arbeiten, haben ein komplexeres Sozialleben und werden zwischen sozialen Rollen und der kulturellen Forderung nach einer einzigartigen Identität zerrissen.

Innerhalb dieses Taifuns an Sozialität müssen wir noch dafür sorgen, dass körperlich und geistig gesund sind. Ich schiebe es auf den Materialismus unserer Zeit, dass vor allem die körperliche Gesundheit so in den Mittelpunkt gerückt wird. Diesen Fehler möchte ich vermeiden und hebe meditative Praktiken auf die gleiche Stufe wie Sport.

Zu erwarten, dass du geistig und seelisch fit und gesund bist, ohne ein entsprechende Maßnahmen in dein Leben zu integrieren, ist das Gleiche, als würdest du körperliche Fitness und Gesundheit erwarten, ohne dich um deine Ernährung und deine Bewegung zu kümmern. Wir leben auch geistig nicht mehr in einer Umwelt, die durch die Anforderungen dafür sorgen, dass wir bei geistiger und seelischer Gesundheit bleiben. Die modernen Neurosen sind die geistigen Äquivalente zu Bluthochdruck, Verdauungsproblemen und Schlafstörungen.1

Was sind die zentralen Methoden, mit welchen wir versuchen körperliche und geistige Gesundheit zu erhalten?

Training und Meditation

Körper

Im Optimalfall meditieren und trainieren wir jeweils jeden Tag in einem Maße, das unserer körperlichen und geistigen Fitness angemessen ist.

Wir stellen ein bisschen (oder sogar viel) Zeit für die Gesundheit ab und kümmern uns dann um all die anderen Bereiche des Lebens, wie Arbeit, Familie, Hobbys und das Partyleben am Wochenende.

Wenn wir uns aber ein paar Studien ansehen, stellen wir fest, dass wir das nicht so einfach machen können:

  • George et al.[^george2013] stellten fest, dass ein höheres Sitzvolumen mit Diabetes und Bluthochdruck korreliert. Diese Korrelation war unabhängig von der körperlichen Aktivität, was nahe legt, dass Inaktivität ein eigener Risikofaktor ist und nicht in einer Summe von Aktivität und Inaktivität aufgehen kann (Sport kann Sitzen nicht ausgleichen).
  • Marc und Janssen[^mark2008] stellten fest, dass eine höhere Zeit vor dem Bildschirm (Fernsehen, Computer, Videospiele) mit dem Vorliegen des metabolischen Syndroms korreliert. Diese Korrelation verlief gemäß einer Dosis-Wirkungs-Kurve. Sportliche Aktivität hatte wenig Einfluss auf diese Korrelation. Das legt nahe, dass Inaktivität ein eigener Risikofaktor ist und nicht in einer Summe von Aktivität und Inaktivität aufgehen kann (Sport kann Sitzen nicht ausgleichen).
  • Wijndaele et al.2 stellten fest, dass sowohl die Zeit vor Computer und Fernsehen als auch Sport unabhängig voneinander Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit des metabolischen Syndroms hatten. Eine höhere Inaktivität erhöhte die Wahrscheinlichkeit unabhängig von Sport und Sport senkte die Wahrscheinlichkeit unabhängig von Inaktivität. Das legt nahe, dass Inaktivität ein eigener Risikofaktor ist und nicht in einer Summe von Aktivität und Inaktivität aufgehen kann (Sport kann Sitzen nicht ausgleichen).

Kurz:

  1. Inaktivität und Bewegung sind zwei unterschiedliche Dinge.
  2. Du kannst stundenlanges Sitzen oder liegen nicht durch Sport ausgleichen.

Wir haben also zwei verschiedene Dinge zu tun:

  1. Training als konzentrierte Übungsstunden, um unsere Kapazitäten zu erweitern.
  2. Bewegung als Selbstverständlichkeit, vielleicht sogar Notwendigkeit, in den Alltag einbauen.

Während wir eine klare Vorstellung vom ersten Aspekt haben, wir gehen dafür ins Fitnessstudio, die Crossfitbox oder auch nur in den Wald, um zu laufen, ist der zweite Aspekt eher unbekannt und wird stiefmütterlich behandelt.

Sport, Training, Fitnessstudios, Crossfit, Marathon, Triathlon - das sind die Vehikel für körperliche Gesundheit. Gartenarbeit, Erledigungen zu Fuß, auf einem Bein Zähneputzen - das ist einfach nicht sexy. Wir Menschen sind faul und all diese Dinge sind vor allem eins: unbequem.

Das sind Änderungen des Lebenswandels, die so grundlegend sind, dass sie auf ganz hartnäckige Widerstände in unserer Glaubensstruktur stoßen. Wir wollen unseren Alltag schön, angenehm und bequem gestalten. Was liegt da ferner, als uns absichtlich Hürden in den Weg zu legen.

Diese Änderungen sind fast ausschließlich Folge einer veränderten Persönlichkeitsstruktur. Wir können uns für ein paar Stunden in der Woche zum Sport bemühen, auch wenn wir ihn nicht so gerne machen. Doch unser ganzes Leben auf Gesundheit auszurichten, das geht viel zu weit!

Doch genau das ist es, was man machen muss, will man denn ein wirklich gesundes Leben führen. Man gestaltet seine Umwelt so, dass sie Bewegung von uns wie völlig selbstverständlich einfordert. Was wären solche Möglichkeiten?

  • Ein Squat Desk. (Ich bin kein großer Fan von arbeiten im Stehen)
  • Die Pomodoro-Technik zum Arbeiten mit Zwischenroutinen
  • Ein Hund.
  • Ein Garten, den man nicht verwildern lässt.
  • Keine Spülmaschine.
  • Selber kochen.
  • Niemals einen Fahrstuhl benutzen.
  • Möbel reduzieren.
  • Klimmzugstangen in die Türen hängen
  • Auto abschaffen (oder wenigstens stark reglementieren)
  • Bewegungshobbys, wie Töpfern oder Vogelkunde

Einige Beispiele scheinen einleuchtender als andere, aber nehmen wir uns ein eher ungewöhnliches Beispiel heraus und sehen es uns unter dem Bewegungsaspekt an:

Selbst kochen scheint erstmal nichts mit Gesundheit zu tun zu haben, aber wenn man richtig kocht,...

  • ...steht man mehr als man sitzt. Man steht aber nicht nur, man geht auch herum, verändert am laufenden Band seine Körperposition.
  • ...arbeitet man auf komplexere Weise mit den Händen. Die vaskuläre Gesundheit (die Gesundheit der Adern) hängt stark davon ab, ob die umliegende Muskulatur benutzt wird oder nicht. Wer benutzt beim Joggen schon die Hände? Ich empfehle an dieser Stelle ausdrücklich das Buch Move Your DNA von Katy Bowman.
  • ...sitzt man nicht vor irgendeinem Bildschirm und lässt sich abends noch den Schlaf wegflimmern.3

Der Kontrast dazu wäre, sich einfach eine Pizza in den Ofen zu schieben, während man vor dem Fernseher sitzt und dabei per Facebook und Whatsapp den neusten Klatsch reinzieht.

  • Man holt sich das Ticket für den späteren Bandscheibenvorfall im Hals.
  • Man sorgt dafür, dass man weniger erholsam schläft.3
  • Man holt sich die Illusion von sozialem Leben in das Leben, dörrt das echte soziale Leben aus und versaut sich seine Gehirnchemie.4

Geist und Seele

Das gleiche Problem ist auch im Bereich der geistigen Gesundheit anzutreffen. Ich reiße es an dieser Stelle nur kurz an, weil ich dazu noch ausführlicher schreiben will.

Meditation ist das Gegenstück zum Training. Nun haben wir an dieser Stelle schon Training und Bewegung im Alltag voneinander getrennt. Benutzen wir dieses Modell, um das Gegenstück auf geistiger Ebene zu betrachten.

Können wir uns eine gesunde Psyche erhoffen, wenn wir morgens für 20min meditieren, aber dafür 8h Psychoterror mitmachen, weil unser Chef ein Arsch ist, der Straßenverkehr ein Arsch ist, das Leben ein Arsch ist?

Ich denke, dass die Antwort auf der Hand liegt. Das heißt nicht, dass die Meditation am Morgen nicht ungemein hilfreich ist. Sie wird nur keinen echten Ausgleich für den Rest des Lebens bieten können.

Was ist nun die Lösung? Nehmen wir erstmal an, dass es keine Option ist, dass du deinen Job kündigst oder dein Leben anderweitig auf links ziehst.

Doch, was dir als Option immer übrig bleibt, ist die Weise, wie du die Dinge angehst.

  1. Der Straßenverkehr. Du darfst dich in diesem Bereich deines Lebens auf keinen Fall hetzen. Das heißt, dass du nicht kurz vor knapp losfahren solltest. Wie viel Minuten sparst du wirklich, wenn du rast? In den meisten Fällen werden das nur sehr wenige sein. Wenn du 30min fährst und es tatsächlich schaffst 20% schneller zu fahren, sparst du 6 min. Ich denke, ich kann dir zutrauen, dass du 6 min früher losfährst. Ich kann die Haltung zur zeitlichen Knappheit verstehen. Schließlich will man keine Sekunde zu viel im Auto, in der Bahn oder im Zug verschwenden. Also mach etwas Produktives aus deiner Fahrt. Bist du im Auto, hör dir Podcasts oder Hörbücher an. Nimm dir ein Buch mit, wenn im Zug oder der Bahn sitzt. Wenn du diese Zeit regelmäßig unterwegs verbringst, plan diese Zeit bewusst für dich als Selbstentwicklungszeit ein. Fährst du nur 30min zur Arbeit, hast du 5h pro Woche Zeit, dich inspirieren und begeistern zu lassen. Ist das nicht fantastisch? 21,75h jeden Monat in die eigene Entwicklung zu investieren. Das machen nur die wenigsten. So kannst du deine Pendelzeit umwerten.
  2. Berufsalltag. Mihaly Csikszentmihalyi ist die Adresse, wenn es um den Flow geht. Im Wesentlichen geht es darum, dass man sich in seinen Tätigkeiten bewusst Herausforderungen sucht, die den eigenen Fähigkeiten entsprechen. In den Semesterferien habe ich, so wie viele Studenten, gejobbt. Meine Aufgabe war es, an einer automatischen Säge Rohre zu entgraten. Das war eine eintönige und langweilige Aufgabe. So habe ich das auch empfunden, bis ich versucht habe meine Arbeitsabläufe zu optimieren. Ich habe nach winzigen Kleinigkeiten gesucht, die ich verbessern konnte und die Zeit verwandelte sich von Qual zu Spaß. Csikszentmihalyi spricht sich dafür aus, dass man in jeder Tätigkeit Flow empfinden kann. Ich bin seiner Meinung. Wenigstens kann man so seine Situation oft deutlich verbessern, in dem man die Art und Weise der Arbeit verändert.
  3. Achtsamkeit. Achtsamkeit ist eine Geisteshaltung und vielleicht auch ein Charakterzug. Ein anderes Wort könnte Bewusstheit sein. Bekommst du auch wirklich mit, was du gerade tust, oder bist du wieder auf Autopilot? Dieser Autopilot hat einen sehr negativen Einfluss auf dein Leben. Das Thema ist zu komplex, um es in diesem Beitrag abzuhandeln, aber der verlinkte Wikipedia-Artikel ist eine erste Möglichkeit, dich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Abschließende Worte

Was ist die Moral von der Geschichte? Der erste Schritt in Richtung Gesundheit und Fitness sind die guten Gewohnheiten. Es sind Dinge, wie Sport, gute Ernährung und eine meditative Praxis. Doch was kommt danach?

Um den nächsten Schritt zu gehen gilt es innere Veränderungen anzustreben, deren Ausdruck dann nicht nur in gesundem Verhalten ist. Deine unmittelbare Umwelt wird gesünder und fordert Gesundheit von dir ein.

Reflexionen

  • Wie viel Bewegung hast du tatsächlich im Alltag?
  • Nimm dir einen Stift und zeichne einen Zeitstrahl auf Papier. Gehe Stunde für Stunde deines Tages durch. Wie viel Zeit verbringst du mit Sitzen oder liegen? Wie viele Stunden davon sind ununterbrochen? Trage die Tätigkeiten in diesen Zeitstrahl ein.
  • Nimm dir den Zeitstrahl vor und überlege dir, wie du die einzelnen Tätigkeiten verbessern kannst. Mehr Bewegung? Mehr Achtsamkeit? Nutzen von eigentlich passiver Zeit? (z.B. Autofahren)

Handlungen

  • Nimm dir den nächsten Schritt vor.
  • Schreibe dein Ziel schriftlich nieder. (z.B. immer Podcasts im Auto hören)
  • Bereite alles dafür vor, dass du dich nicht mehr darum kümmern musst. (Podcasts abonnieren, gute Heraussuchen, alles auf einen Stick packen usw.)
  • Trainier dieses neue Verhalten

Fotorechte

Photo Credit: irishwildcat via Compfight cc


  1. Seltsam, dass psychische Probleme fast auch immer mit von körperlichen Symptomen begleitet sind, oder? 

  2. Wijndaele, K., Duvigneaud, N., Matton, L., Duquet, W., Delecluse, C., Thomis, M., Beunen, G., Lefevre, J., & Philippaerts, R. M. (2009). Sedentary behaviour, physical activity and a continuous metabolic syndrome risk score in adults. Eur J Clin Nutr, 63(3), 421-9. Abstrakt 

  3. Wahnschaffe, A., Haedel, S., Rodenbeck, A., Stoll, C., Rudolph, H., Kozakov, R., Schoepp, H., & Kunz, D. (2013). Out of the lab and into the bathroom: evening short-term exposure to conventional light suppresses melatonin and increases alertness perception. Int J Mol Sci, 14(2), 2573-89. Abstrakt 

  4. Mehr dazu in einem anderen Beitrag. Wer jetzt schon Interesse daran hat und bereit ist ein bisschen zu recherchieren, kann mal nach "Facebook" und "Dopamin" suchen.