Das Prinzip der bedingungslosen Verantwortung

Ein bekanntes Phänomen der Moderne ist es, die Verantwortung für seinen eigenen Körper aufzugeben. Wir gehen zum Arzt und hoffen auf Heilung. Wir gehen zum Fitnesstrainer und hoffen auf einen sexy Arsch oder einen dicken Bizeps.

Wir haben ein kulturell und wirtschaftlich bedingtes Problem, das sich in Übergewicht, Diabetes und ständiger Krankheit äußert. Die Reaktion darauf ist Wut darüber, dass die industriellen Hersteller von Nahrung in so ziemlich alles Zucker reinpacken, sich einen Teufel um die Gesundheit ihrer Kunden scheren, solange es nicht auffällt.

All diese Phänomene basieren auf dem Prinzip der Verantwortung. Wir übergeben die Verantwortung an Mediziner und Trainer. Wir werfen der Industrie vor, nicht verantwortlich zu handeln.

Foto: Jon Otosson

Ich habe selbst Kontakte zu Ärzten gehabt, die mich wütend machen sollten. So war ich beispielsweise vor einigen Jahren mit Schluckbeschwerden, Ohrenschmerzen, Halsschmerzen, Zahnschmerzen und halbseitiger Taubheit der Kopfhaut beim Allgemeinmediziner. Ich habe ihm erklärt, dass die Schmerzen wirklich groß sind, dass ich passionierter Kampfsportler bin und daher mein Schmerzempfinden eher schlecht ist. Das Problem wiederholte sich im zwei Wochentakt für 2—3 Tage und beim dritten Mal habe ich einen Arzt aufgesucht. Nach Hause gegangen bin ich mit ein paar Ibuprofen und der Diagnose: Entzündung der eustachischen Röhre. Das war völliger Quatsch. Entweder war der Arzt ein Idiot, nachlässig, fahrlässig oder grundböse.

Beim nächsten Schub habe ich meine Zahnärztin besucht (die beste Zahnärztin der Welt). Es hat sie ca. eine Sekunde Untersuchung gekostet, festzustellen, dass es mein Weisheitszahn war, welcher sich entzündet hatte. Auch wenn sie mehr vom Fach war, traue ich diesen Gedanken einem Allgemeinmediziner zu, auch wenn er sich dafür mehr als eine Sekunde nehmen müsste.

Ende von der Geschichte war, dass mein Zahn so entzündet war, dass er ohne wirksame Narkose gezogen wurde. Ich zitiere den Kommentar meines Vaters nach dem Eingriff:

Das war eine Prüfung, oder?

Ebenso kenne ich es, wenn ein Trainer sich überhaupt keine Mühe gibt. Als ich gerade anfing, mich mit Trainingstheorie zu beschäftigen, bin ich zu einem Trainer für Kampfsport gegangen und habe ihn um einen Trainingsplan für eine bessere Schnelligkeit gebeten. Die Antwort und sein Engagement waren, gelinde gesagt, sehr ernüchternd.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten, seinen Fokus zu wählen.

  1. Ich wähle mich.
  2. Ich wähle meinen Gegenüber.

Haben besagter Arzt oder Trainer sich verantwortlich verhalten? Sicherlich nicht. Sind sie verantwortlich für mich? Auch das sind sie sicherlich nicht.

Wir haben es hier mit zwei Verantwortungsbegriffen zu tun.

  1. Verantwortung als Entscheidung. Ich kann mich dazu entscheiden, Verantwortung zu übernehmen. Damit gehe ich von mir aus und freiwillig ein Verantwortlichkeitsverhältnis zu Sachverhalten oder Personen ein.
  2. Verantwortung als Voraussetzung für Schuld. Ich kann nur schuldig sein, wenn ich auch verantwortlich dafür bin. Schuld ergibt sich aus einer Verletzung von moralischen Pflichten.1

Nur der Fokus auf sich selbst führt zu einer Verbesserung deines Lebens. Wer sich selbst die Verantwortung entzieht, indem er mit dem Finger auf andere zeigt, gerät in eine problematische Richtung. Wir geben das Gefühl auf, die Welt kontrollieren zu können, wirksam in unserem Leben sein zu können.

In ihrem Buch Morgen bin ich ein Löwe beschreibt Arnhold Lauveng eine Studie von Janoff-Bulman, in welcher befragte weibliche Missbrauchsopfer sich selbst die Verantwortung zuschreiben. Das klingt erstmal verrückt und die gewöhnliche Intuition wird sein, dass die Therapie auch beinhaltet sollte, diese Schuldgefühle abzubauen.

Doch die Aufgabe der Verantwortung, so Lauveng, geht einher mit einer Aufgabe von Kontrolle. Die Konsequenzen der Aufgabe der Verantwortung wären schlimm:

War das grausame Erlebnis auf einen Fehler zurückzuführen, den sie begangen hatten, eine bewusste Handlung, die in Zukunft geändert oder vermieden werden konnte, so behielten die Betroffenen wenigstens noch eine gewisse Kontrolle über ihr Leben. War das nicht der Fall, stimmte es wirklich, dass sie nichts hätten sagen oder tun können, um die Geschehnisse zu verhindern, wurden sie zu hilflosen Opfern eines rein zufälligen Spiels, wodurch die Welt dann zu einem höchst bedrohlichen, unberechenbaren Ort wurde.”2

Das heißt nicht, dass wir einen Missetäter aus seiner Schuld entlassen brauchen. Doch man sollte immer auch selbst Verantwortung übernehmen, wenn man sich eine gute geistige Haltung bewahren möchte.

Ein sehr medienwirksames Beispiel ist der Offizier, welcher sich mit der Ankündigung “Ich übernehme die volle Verantwortung” vor seine Untergebene stellt und sie schützt. Ihn trifft keine Schuld an ihrem Fehlverhalten und trotzdem übernimmt er die Verantwortung, denn er trifft in dem Augenblick die Entscheidung, etwas an den Ursachen dieses Fehlers zu ändern.

Mit der gleichen Haltung können wir der Situation begegnen, wenn wir beispielsweise von einem Arzt enttäuscht werden. Wenn er sich nicht kümmert, schlampig ist oder vielleicht sogar sein Bestes gegeben hat, was aber nicht ausgereicht hat, solltest du dich daran erinnern, dass du das Kommando in deinem Leben hast. Der Arzt ist nicht dein Vorgesetzter und du erst recht nicht sein Schutzbefohlener. Er ist einer der Mitarbeiter in deinem Leben und wenn einer von diesen Mitarbeitern seine Aufgabe nicht erfüllt hat, egal ob er nicht wollte oder konnte, übernimmst du die Verantwortung dafür, diesen Missstand zu beheben.

Mit der gleichen “Mach, dass das weggeht!”—Einstellung zum nächsten Arzt zu rennen, wird das Grundproblem nicht ändern. Es ist diese Einstellung selbst, die langfristig und grundsätzlich Ursache für Missstände im Leben ist.

In diesem Beitrag geht es eigentlich nicht zentral um das Thema Schuld. Es geht vielmehr um die Befreiung von einer Opferhaltung. Je mehr man sich selbst als Opfer sieht, desto passiver wird und bleibt man. Dieser Beitrag ist eine Aufforderung, dein Leben in die Hand zu nehmen. Doch dafür muss man bedingungslose Verantwortung für sein Leben übernehmen.

Für uns sollen hier vor allem zwei Bereiche wichtig sein.

  1. Verantwortung für unseren Körper.
  2. Verantwortung für unsere Psyche.

Verantwortung für unseren Körper

Ich bin selbst für meinen Körper, seine Gesundheit, seine Robustheit und seine Fitness verantwortlich. Ärzte, Trainer, Heilpraktiker und welches Getier sonst noch in diesen Wäldern kreucht und fleucht sind Werkzeuge in meinem Leben.

So formuliere ich diesen Glaubenssatz in meinem Leben. Ich hätte noch penetranter beim Arzt nach Therapieplänen fragen können, auf einem Folgetermin bestehen können oder sonstwas machen können. Ich übernehme die Verantwortung und bin selbst Schuld an der Situation, denn ich hätte mehr machen können.

Das entlässt den Arzt nicht aus seiner Verantwortung in einem sozialen Sinne. Wenn ein Arzt fahrlässig handelt, beispielsweise bei einer Operation vergisst zu desinfizieren,3 sollte er bestraft werden, solange dahinter eine Erziehungsabsicht steckt.

Doch mein Leben ist nicht die Gesellschaft. Ich sehe es als meine Pflicht mein Leben und meine Welt so zu gestalten, dass ich nicht in Passivität abrutsche. Daher hört man von mir sehr häufig den Satz “Ich übernehme die Verantwortung.” Es ist mein Mantra, das mich daran erinnert, dass ich am Steuer meines Lebens sitze.

Ich frage mich nicht, was irgendwer anders hätte tun können. Das interessiert mich nicht, denn das sind Luftschlösser. Mich interessiert, was ich im Hier und Jetzt tun kann.

Zu dieser Verantwortung gehört für mich, dass ich mich intensiv mit meinem Körper auseinandersetze. Wie kann ich Verantwortung für etwas übernehmen, wenn ich nichts darüber weiß und nichts davon verstehe? Mehr schlecht als recht. Dass ich viel Zeit investiere, die menschliche Physiologie zu verstehen, ist Teil meiner Verpflichtung mir selbst gegenüber. Es ist eine Konsequenz daraus, dass ich die volle Verantwortung für meinen Körper übernehme.

Das hat dazu geführt, dass ich meinen eigenen Therapieplan aufgestellt habe, welcher vom Standardvorgehen deutlich abweicht. Das Resultat: Acht Wochen, nachdem ich mir einen schweren Bündelriss in der Wade zugezogen habe (selbstverschuldet), habe ich meinen ersten Sprint auf dem Asphalt wagen können.

Doch nicht alles ist eitel Sonnenschein im Land. Weil ich immer noch ich selbst bin, fehlt mir natürlich die Außenperspektive. Das heißt, dass ich durch meine Haltung viel aktiver bin als ohne, dafür aber auch schlechte Entscheidungen treffe, welche ich durch eine entsprechende Außenperspektive hätte anders treffen können.

Verantwortung abzugeben fühlt sich schön an und entspannt, wenn man nicht der totale Kontrollfreak ist. Durch das Prinzip der bedingungslosen Verantwortung ist dies etwas, was zu kurz kommt.

Ab wann wird Verantwortung zu einem Problem? Das ist eine schwierige Frage. Ebenso wie beim Problem der Orthorexie hängt die Antwort, von der Richtung der Frage ab. Man könnte es zum Problem deklarieren, wenn die Übernahme von Verantwortung zu Unglück führt. Dann fängt man sich die Probleme einer hedonistischen Position ein und muss rechtfertigen (vor allem vor sich selbst), Glück höher bewertet zu haben als die Verantwortung. Die aktuellen Psychologie nimmt dies als Grundannahme an:4 Wenn uns etwas unglücklich macht, ist es schlecht. Diese Position ist aber alles andere als wasserdicht. Ich breche diesen Beginn einer philosophischen Erörterung von Lebenssinn ab und lasse an dieser Stelle das Problem ungelöst. Auch die Lösung dieses Problems obliegt der individuellen Verantwortung.

Verantwortung für unsere Psyche

Ich beginne wieder mit meinem Glaubenssatz:

Ich übernehme die volle Verantwortung für meine Psyche und ihren Inhalt. Andere Menschen, die äußeren Umstände, der Bus, mein Körper, meine Gesundheit und meine Krankheiten sind niemals schuld an meinem Inneren.

Das Prinzip der bedingungslosen Verantwortung gilt auch für deine Psyche. Häufig weisen wir die Verantwortung für unsere inneren Zustände äußeren Faktoren und noch viel häufiger anderen Menschen zu.

Du machst mich wütend!

In diesem Satz finden sich die Hauptelemente von Verantwortungslosigkeit wieder.

  1. Passivität. Der Sprecher, welcher diesen Satz spricht, ist derjenige, mit welchem etwas gemacht wird.
  2. Fokus auf Äußeres. Der Fokus ist auf etwas gelegt, das nichts mit dem Sprecher zu hat.

In diesem Augenblick gibt der Sprecher die Verantwortung ab. Daher finden wir diesen Satz vor allem als Ankündigung von Wutanfällen, welcher bei wechselnder Heftigkeit doch eines gemeinsam haben: Der Angefallene lässt Vorsicht und Rücksicht fallen.

Niemand außer mir selbst ist verantwortlich für meine psychischen Zustände und niemand außer dir selbst ist verantwortlich für deine. Wer die Verantwortung in diesem Punkt abgibt, macht sich selbst zum Kind. Wer keine Verantwortung für sich, und dazu gehört auch die eigene Psyche, übernimmt, nimmt sich selbst nicht für voll. Er kann daher auch nicht erwarten, von anderen für voll genommen zu werden.5

Disziplin oder Clever sein?

Ich glaube nicht, dass es ohne Disziplin, im Sinne einer Härte zu sich selbst, geht. Das Leben auf Genuss und Freude auszurichten, ist schlicht und ergreifend kindisch. Es geht um so viel mehr als das und als erwachsener Mensch sollte man sich seiner Verantwortung anderen Menschen und seiner Umwelt gegenüber bewusst sein.6

Andererseits darf man sich nicht überfordern.7 Von Jetzt auf Gleich das gesamte Leben umzukrempeln ist nicht sehr vielversprechend und hat erst dann eine relevante Erfolgswahrscheinlichkeit, wenn man eine plötzliche und gewaltige Veränderung der Persönlichkeit erfahren hat. Viel geschickter ist es, anstatt seine Willensenergie ständig anzuzapfen und Situationen zu produzieren, die Disziplin erfordern, sich eine Infrastruktur aus Gewohnheiten und Ritualen einzurichten, sodass man gar nicht erst in die Bredouille kommt, Disziplin verwenden zu müssen.

An dieser Stelle haben wir zwei Techniken, auf unser Leben Einfluss nehmen zu können. Wir haben Wille und Cleverness. Im Sinne der bedingungslosen Verantwortung spielt es keine Rolle, ob du willensstark oder clever bist. Doch eines von beiden solltest du schon sein. Verantwortung für dein Leben zeigt sich darin, dass du ständig und im vollen Umfang deiner Kräfte daran arbeitest, dass dein Leben so aussieht, wie du es dir wünscht. Ob du deiner Verantwortung gerecht wirst, hängt nicht vom Ergebnis ab, sondern von deinen Anstrengungen.

Probleme und Einwände

Es gibt verschiedene Einwände und Probleme dieses Konzepts. Doch meistens erweisen sie sich als Scheinprobleme.

  1. Problem der Werbung und der Manipulation
  2. Problem der Unwissenheit
  3. Problem der Kindheit

Was ist mit Werbung?

Wenn wir uns Werbung ansehen, stellen wir fest, dass die Werbeversprechen sich immer auf Kernbedürfnisse von uns Menschen richten.

Das Produkt wird als Mittel dargestellt, mit welchem wir zum Beispiel Freundschaft, Liebe, Sicherheit oder Individualität erreichen.

Doch anstatt Freundschaft oder Sicherheit zu kriegen, landet ein Fertiggericht in unserer Schublade und ein Auto mit allen Extras in unserer Garage.

In der Werbung können wir sehen, was wir eigentlich wollen. Wir brauchen nur die Courage, uns auch das Eigentliche zu nehmen. Werbung funktioniert solange, und mit “funktionieren” meine ich "kann uns manipulieren", wie wir nicht wissen, wie man Freundschaften pflegt oder liebt.

Selbst Bilder von Essen und insbesondere Fastfood lösen bereits Hunger und Appetit aus.8

Pettigrew et al. fanden heraus, dass nach einer einzigen Werbung die Wahrscheinlichkeit, sich für das Beworbene Produkt zu entscheiden und das Verlangen, das Produkt zu konsumieren, erhöht war. Die Probanden dachten häufiger, dass man das Produkt öfter konsumieren kann.9

Bei manchen, besonders penetranten Werbungsstrategien, frage ich mich häufig, ob die Werbespezialisten Vollidioten sind. Doch in diesem Augenblick bin ich schon auf die Werbung hereingefallen und meine Frage ist beantwortet: Nein. Da sitzen ein Haufen kluge Köpfe dahinter. Werbung wird eingesetzt, weil sie funktioniert. Und die penetrante Werbung setzt Mittel ein, die hinter dieser Penetranz verborgen sind. Die beiden Wikipedia-Artikel Werbung und Werbekritik lohnen sich zur Ausbildung erster Abwehrmaßnahmen.

Wie soll man sich denn gegen so raffinierte Machenschaften wehren? Wir werden von allen Seiten bombardiert. Ist es da nicht einfach “menschlich”, wenn man schwach wird? Bereits hier haben wir eine falsche Unterscheidung getroffen. Warum sollte “schwach werden” menschlich sein, stark bleiben dagegen “übermenschlich”?

Wir haben es hier nicht mit der Frage zu tun, ob man überhaupt Verantwortung im Kontext von Werbung und Manipulation übernehmen kann, sondern ob man gewillt ist, diese Verantwortung trotz der Verlockung übernimmt, diese mit einer guten Ausrede abzugeben.

Eine Gesellschaft mit Individuen, die für sich selbst bestimmen dürfen, kann nur auf der Annahme aufgebaut werden, dass diese auch für sich selbst bestimmen können. Wenn man nun annimmt, dass ”die breite Masse” manipuliert wird, spricht man jedem einzelnen dieser Menschen sein individuelles Vermögen sich zu entscheiden ab.

Kurz: Wenn man behauptet, dass Menschen manipuliert werden, spricht man ihnen die freie Entscheidungsfähigkeit ab, sodass man als freier Mensch eigentlich die Entscheidungen für diese Menschen übernehmen muss. Schließlich müssen diese Armen vor ihrer eigenen Manipulierbarkeit geschützt werden.

Ist es nicht seltsam, dass jeder sagt, dass die breite Masse manipuliert wird, sich die Menschen, welche dieses behaupten, aber kaum von sich sagen und schon gar nicht daran glauben, dass sie selbst nur Marionetten sind? Zumindest habe ich niemanden erlebt, der diese Überzeugung von sich hatte.

Solange wir annehmen, dass wir in einer (mehr oder weniger) freien Gesellschaft leben, können wir nicht behaupten, dass der Großteil der Menschen manipuliert wird.

Die Gegenseite ist, dass wir annehmen, dass die meisten Menschen heutzutage nichts von den Problemen wissen wollen, aktiv die Augen verschließen und ihre Probleme und die der anderen verdrängen.

Beide Versionen sind nicht erfreulich.

  1. Wer von der Manipulation der Massen ausgeht, gerät in einem praktischen Widerspruch, wenn er sich nicht als ebenfalls manipuliert wähnt, oder zu einer antihumanistischen Haltung, wenn man Menschen als grundsätzlich manipuliert annimmt.
  2. Wer nicht von der Manipulation der Massen ausgeht, muss sich einen Reim darauf machen, weshalb wir immer noch in einer Kultur aus Umweltzerstörung, Ausbeutung, Egozentrismus und Krankheit leben. Auch das ist keine angenehme Sache, führt aber nicht zu so negativen Konsequenzen.

Ich habe keine Ahnung von XY!

Das ist ein Einwand, der sehr leicht abzuweisen ist. Unwissenheit hat einen Grund. Dieser Grund ist nicht, dass die gesamte Materie so nebulös ist. Der Grund ist vielmehr, dass die wenigsten Menschen ihrem eigenen Leben eine entsprechende Priorität einräumen.

Ich war vor einem halben Jahr als Aufsicht bei einem Klassenausflug in den örtlichen Tierpark dabei. Dabei konnte ich mich mit einem Erstklässler (!) über so ziemlich jede Tierart austauschen. Er kannte das Verhalten, er hatte ein grobe Ahnung von ihrer Taxonomie und kannte ihren Platz im Ökosystem.

Ich kenne mich recht gut mit Tieren aus, weil ich viele Jahre meines Lebens Ethologe (Grundschule und Unterstufe) werden wollte. Damals habe ich in Tierlexika geschmökert. Mich steckt man nicht so leicht in die Tasche, wenn es um Tierkunde geht.

Dieser kleine Erstklässler konnte sich mit einem tierinteressierten 30-jährigen unterhalten (das bin ich). Das lag nicht daran, dass dieser kleine Junge ein Genie war. Er war aufgeweckt, aber alles andere als außergewöhnlich begabt. Er war begeistert und hat der Tierkunde eine hohe (vielleicht die höchste) Priorität in seinem Leben eingeräumt.

Ich bin immer wieder begeistert und positiv überrascht, wie sicher manche Menschen in manchen Wissensgebieten sind, obwohl sie eine handwerkliche Laufbahn eingeschlagen haben und nur eine Hobbybeziehung zu diesem Wissen führen. Trotz Zeit- und Energiemangels schaffen es diese Leute, Expertise zu entwickeln.

Wenn jemand etwas nicht weiß, ist das erstmal nicht schlimm. Doch die allerwenigsten räumen dem Studium von Körper und Geist einen relevanten Zeitraum ein. Auf Nachfrage sagen sie, dass sie doch eine Menge im Internet gelesen haben und ein paar Dokus haben sie auch gesehen.

Frag einfach mal in deiner Bekanntschaft herum. Wie viele Menschen haben sich schon mal in die nächste Bibliothek (vielleicht sogar Universitätsbibliothek) gesetzt und haben in sich ein Thema eingearbeitet? Das sind nicht so viele.

Der eigene Körper und die eigene Psyche sind die Vehikel, auf denen wir DIE verrückteste Achterbahnfahrt unseres Lebens fahren: Das Leben selbst. Die allerwenigsten haben eine Anleitung, interessieren sich aber nicht wirklich dafür.

Niemand kann etwas dafür, dass er ohne Wissen geboren wird, aber jeder kann etwas dafür, dass er nichts tut, dass er nichts lernt.

Was ist mit den Kindern?

Das ist ein riesiges Problem und ich erlebe es in meinem Bekanntenkreis, dass Kindern ein völlig destruktives Modell von Körper und Geist vermittelt wird. Ich kann mich hier überhaupt nicht weit aus dem Fenster lehnen, weil ich selbst keine Kinder habe. Ich kann nur aus weiter Ferne sagen, was ich für sinnvoll halte und was nicht.

Eines kann ich mit Sicherheit sagen: Das Wesen der Kindheit besteht darin, dass man erlernt, Verantwortung zu übernehmen. Das bedeutet notwendig, dass für Kinder das Prinzip der bedingungslosen Verantwortung nicht gilt.

Kinder sind unsere Schutzbefohlenen und daher ist es unsere Pflicht, als Erwachsene auf sie aufzupassen. Das bedeutet, dass man ihnen gefälligst einen gesunden Lebensstil vorzuleben hat (oder wenigstens, was man dafür hält) und auch nicht bei Rot über die Ampel geht, wenn Kinder dieses Verhalten beobachten können. (Das gilt auch, wenn es nicht die eigenen sind)

Daraus möchten nun einige Menschen folgern, dass aufgrund von Schädigungen in der Kindheit eine eingeschränkte Verantwortung im Erwachsenenalter gilt. Doch so funktioniert das nicht. Verantwortung ist die Eintrittskarte in das Erwachsenenleben.

Verantwortung als Entscheidung meint nicht, dass man die Narben vergangener Zeiten verneint oder verdrängt. Er meint, dass man akzeptiert, dass man nun Verantwortung übernimmt und sich um diese Narben kümmert.

Das Prinzip der bedingungslosen Verantwortung bedeutet also, dass man sich nicht in die Passivität zurückgleiten lässt, wenn man bestimmte Verhaltensdispositionen anerzogen bekommen hat. Es lässt nur eine Aussage zu:

Ich lasse mich nicht davon abhalten, das Richtige zu tun, wenn es noch so hart oder anstrengend ist.

Keine Einwände

Ich habe einige Konsequenzen von Einwänden aufgezeigt und hoffe, dass ich demonstrieren konnte, dass diese Einwände keine guten Konsequenzen haben. Ich habe mich auf die Konsequenzen dieser Einwände konzentriert, weil es hier um keinen natürlichen Zusammenhang geht. Es ist keine Frage einer Neurowissenschaft des Willens. Sie kann ihr nicht vernünftig gestellt werden, weil wir mentale Phänomene nicht auf physiologische Phänomene reduzieren können. Während einige Neurowissenschaftler glauben, das Rätsel gelöst zu haben, ist es logisch ausgeschlossen, dass sie überhaupt etwas mitzureden haben.

Das Prinzip der bedingungslosen Verantwortung ist ein präskriptives Konzept. Das heißt, dass wir uns aufgrund der Annahmen und Konsequenzen dazu entscheiden, dieses Konzept als Haltung anzunehmen.

Ich will eine (Teil-)Antwort auf die Frage geben: Wie sollte man sein Leben gestalten? Die Antwort kann nur eine Entscheidung sein. Daher wähle ich auch den Verantwortungsbegriff als Entscheidung.

Zusammenfassung

Viele Dinge in unserem Leben hängen von unserer Haltung ab. So hängen unsere Gesundheit, Robustheit und Fitness von unserer Haltung ab, ob wir Verantwortung auch dann übernehmen, wenn uns keine Schuld trifft. Sie hängen davon ab, ob wir uns an das Steuerruder unseres Lebens setzen oder bloß Zuschauer sein wollen.

Beides hat seine eigenen Vorteile, doch Passivität ist kein guter Nährboden für ein Leben, dass sich zu Gesundheit und Fitness entwickelt. Oder anders:

Nichts, was sich zu haben lohnt, kriegt man umsonst. Für alles, was sich zu haben lohnt, muss man arbeiten.

Wer sich für den philosophischen Hintergrund einer solchen Haltung interessiert, sollte in Richtung “amor fati” (Liebe zum Schicksal) forschen.

Ein sehr gutes Buch zum Thema Verantwortung und Krankheit ist das zitierte Buch von Arnhold Lauveng "Morgen bin ich ein Löwe. Sie berichtet von ihrem Umgang mit ihrer Schizophrenie.

Fragen

  • In welchen Augenblicken gibst du Verantwortung ab?
  • In welchen dieser Situationen hätte die Übernahme von Verantwortung zu einem besseren Ausgang geführt?
  • Wann gleitest du in Passivität ab?
  • Welche konkreten Handlungen nimmst du vor, um die Passivität durch Aktivität abzulösen?

  1. Es gibt auch die juristische Schuld, aber die soll uns an dieser Stelle nicht kümmern. 

  2. Arnhild Lauveng (2008): Morgen bin ich ein Löwe. Wie ich die Schizophrenie besiegte, München: btb, 76. 

  3. Das Beispiel ist albern, aber du weißt, was ich meine. 

  4. Auch fremdes Glück wird in diese Überlegung mit einbezogen. Wir haben es in der Psychologie mit einer utilitaristischen Haltung zu tun. 

  5. Ich hoffe, niemand nimmt Kinder für voll. Man sollte sie ernst nehmen, aber als Kind ist man per definitionem nicht voll erwachsen. 

  6. Das Thema Disziplin ist übrigens nicht nur ein interessantes Thema, sondern gleichzeitig auch eine Technik von (uns) Trainern Verantwortung abzugeben.  

  7. Es sei denn, auch hiermit verfolgt man ein bestimmtes Ziel. Manche Menschen brauchen das Gefühl der Überforderung, um zu lernen, dass alles halb so schlimm ist. 

  8. Monteleone, P., Piscitelli, F., Scognamiglio, P., Monteleone, A. M., Canestrelli, B., Di Marzo, V., & Maj, M. (2012). Hedonic eating is associated with increased peripheral levels of ghrelin and the endocannabinoid 2-arachidonoyl-glycerol in healthy humans: a pilot study. J Clin Endocrinol Metab, 97(6), E917-24.  

  9. Pettigrew, S., Tarabashkina, L., Roberts, M., Quester, P., Chapman, K., & Miller, C. (2013). The effects of television and Internet food advertising on parents and children. Public Health Nutr, 1-8.