Fallbeispiel: Rekomposition - Mehr Muskeln, weniger Fett

Zusammenfassung: Improved Eating basiert auf der Skalierbarkeit der Ernährung. Das bedeutet, dass die Grundkonzepte für jeden Menschen gelten sollten, während sich die Unterschiede aus der individuellen Anwendung ergeben. Hier ist ein Beispiel für das klassischste aller Ziele des Trainings gegeben.

Rekomposition

Im letzten Fallbeispiel war der absolute Hauptfokus auf dem mageren Muskelaufbau. Es ging darum, ohne relevante Erhöhung des Körperfettanteils Muskelmasse aufzupacken.

In diesem Beispiel geht es um das klassischste Ziel des Trainings. Die meisten Menschen wollen Fett abbauen und gleichzeitig Muskeln aufbauen, wenn sie eine Veränderung des Körpers anstreben. So auch die Dame, deren Weg ich nachfolgend skizzieren werde:

Ich gehe dabei wie im letzten Beitrag vor:

  1. Ich stelle die Trainierende Alexandra vor. Ich vergleiche ihre Ziele und meine Ziele.
  2. Ich stelle ihren Trainingsplan vor.
  3. Ich beschreibe die Ernährungstrategie und kommentiere die Anwendung der Prinzipien von Improved Eating
  4. Am Ende gibt es natürlich den Bildervergleich und ein paar Maße

Alexandra

Alexandra ist eine alleinerziehende Mutter eines Sohnes im Kindergartenalter. Sie arbeitet halbtags und ist Ende 20, kurz vor 30.

Sie hatte ca. 2 Jahre Trainingserfahrung, und in den letzten 9 Monaten hat sie Krafttraining betrieben. Das Training war weitgehend ungeplant. Es hieß "hit the weights" oder "hit the treadmill".

Obwohl sie ein wenig unstet ist, ist es sie ehrgeizig. Wenn wir Vereinbarungen getroffen haben, dann hat sie diese alle eingehalten, was meinen Teil des Projekts natürlich viel dankbarer gemacht hat. Weil sie alleinerziehende Mutter ist, ist ihre Stressbelastung sehr hoch. Sie hat allerdings ihren Alltag sehr gut organisiert, so dass ich hier keine Quelle von Unsicherheit gesehen habe.

Ihre Stärke ist, dass sie einen ziemlich zähen Charakter hat. Das heißt, dass sie sich einerseits gut durch schwierige Phasen durchbeißen kann. Andererseits bedeutet es natürlich auch, dass ich als Trainer aufmerksam sein muss, dass sie keine allzu großen Kompromisse in der Übungsausführung eingeht oder sich anderweitig überlastet.

Ihr Ziel ist ein sehr klassisches Frauenziel. Sie hat sich ein Körperteil ausgesucht, auf den sie ihre Selbstkritik gerichtet hat. So wollte sie vor allem am Bauch abnehmen. (Frauen sind meiner Erfahrung nach nicht nur wesentlich selbstkritischer als Männer, sie sind meistens auch völlig überkritisch mit sich selbst)

Während Alexandra ein sehr einfach umrissenes Ziel hat, war mein Vorhaben mit ihr etwas komplizierter. Wie immer habe ich einige Ziele im Hintergrund verfolgt.

Meine Ziele

  1. Rumpfstabilität: Alexandras große Schwäche ist die Rumpfstabilität. Sowohl das muskuläre Korsett, als auch ihre Technik Rumpfstabilität zu erzeugen waren schlecht. Ich habe immer wieder vor allem auf den letzten Punkt eingewirkt. Sie ist sehr gut darin ihre Kraft zu nutzen um stabile Positionen zu umschiffen. So hebt sie beispielsweise extra rückenlastig, weil die aufrechtere Haltung mehr Rumpfkontrolle erfordern würde. Ich bin froh, dass sich sie dies sehr verbessern konnte.
  2. Haltung: Sie hat einen ausgeprägten Hohlrundrücken. So sieht nicht nur ihr Bauch sehr viel größer aus, als er ist. Sie hat dadurch auch viele mechanische Nachteile in verschiedensten Bewegungen.
  3. Langfristiges Denken: Fast alle Trainierenden, besonders aber Frauen, haben das Problem über kurzfristige Schwankungen hinwegzusehen und den langfristigen Fortschritt im Auge zu behalten. Besonders das Gewicht war einige Male der Ausschlag gebende Punkt, dass sie manchmal etwas verzweifelt war. Leider (nur unter diesem Gesichtspunkt. Natürlich hat es mich für sie gefreut) hat sie während dieser drei Monate bereits so große Fortschritte gemacht, dass sie nun daran gewohnt ist, dass sich ihr Körper schnell und immer in die gewünschte Richtung verändert.
  4. Gehorsam: Ein wichtiger Aspekt im Verhältnis zwischen Trainer und Trainierendem ist, dass man sich der verteilten Rollen bewusst wird. Ich bin mit vielen Menschen ein sehr strenger Trainer. Ich einige mich genau darauf, zu welcher Investition der Trainierende bereit ist. Dabei ist für mich nicht wichtig, ob der Betreute nun 5 Tage seiner Woche investiert oder nur 2 Tage. Ich nehme aber jeden Menschen bei seinem Wort. Wir hatten die Vereinbarung, dass sie für 3 Monate jede Maßnahme umsetzt, die ich vorschlage. Das hat es mir sehr leicht gemacht, vor allem Punkt 3 umzusetzen. Auf einem Trainer lastet ein großer Druck perfekt zu sein. Dieser hat natürlich nicht immer Recht. Ein guter Trainer ist aber offen mit Unsicherheiten und Irrtümern. Training und Ernährung sind langfristig angelegte Selbstexperimente. Mir ist wichtig darüber offen zu sein und auch den Trainierende dafür zu sensibilisieren.

Training

Alexandras Training bestand vor allem aus Krafttraining mit einigen optionalen Ausdauersegmenten. In den ersten drei Monaten ging es mir vor allem darum ihr eine gute Kraftbasis zu vermitteln, welche sie als Ressource verwenden kann um in einer weiteren Trainingsphase gezielter auf ihr Ziel hinzuarbeiten.

Normalerweise lege ich solche Projekte langfristig an und in der ersten Phase geht es üblicher Weise um die Ausmerzung eventueller Probleme, die ausschließlich auf funktioneller Ebene angesiedelt sind. Während die Trainierenden von runden Hintern, dicken Bizepsen, Ab- und Zunehmen sprechen, denke ich vor ausschließlich in Rumpfstabilität, Kniebeugentechnik, Konzentrationsfähigkeit und ähnlichen Fähigkeiten, vor allem aber Fertigkeiten.

Sie hat 4-6x/Woche trainiert.

Krafttraining

Hier ist ein Anwendungsfall meiner Interpretation eines EMOM-basierten Trainings.

A

A1: Sumokreuzheben 6x4 (wurde später in klassisches Kreuzheben geändert)
A2: Liegestütz auf Knien 6x5 (Steigerung über die Wiederholungen)

B1: Klimmzüge, Parallelgriff 6x4 (Mit Unterstützung)
B2: Reverse Ausfallschritte mit einer Kurzhantel 6x5

C1: Unterarmstütz 4xmax
C2: Reverse Flys 4x12

B

A1: Kniebeugen 6x4
A2: Kurzhantelrudern 6x5

B1: Kurzhantelbankdrücken 6x4
B2: Kreuzheben, gestreckte Beine 6x5 (mit Kurzhanteln)

C1: Überkopfsitups 4xmax
C2: YWTL (Stabilisationsübungen für die Schultern)

Anmerkungen zum Training

Sie hat das Startintervall bei den A- und B-Blöcken auf 45s gesetzt. Manchmal musste sie dies ein wenig abwandeln, weil einige Übungen zu viel Zeit gekostet haben. Dann hat sie einen Supersatz daraus gemacht und dafür 45s Pause nach der jeweils zweiten Übung gemacht.

Der C-Block war immer als Supersatz mit kurzer Pause gestaltet. Sie hat das Training unter einer Stunde durchführen können.

Optional hat sie ein kurzes Intervalltraining (<15min) durchführen dürfen. Wie 99.99999999% der Frauen hat sie Ausdauertraining als wichtigstes Mittel zum Abnehmen gesehen. Dieses Intervalltraining hat meine Trainingsplanung kaum stören können, so dass sie dies frei entscheiden konnte. Nach einem Fehlschlag hat sie dies selbst vernünftig einschätzen können. (Sie hat sich eine Trainingseinheit über eine vernünftige Grenze hinaus belastet)

Sie hatte die Aufgabe jede Woche eine Steigerung vorzunehmen. In der ersten Woche nach Beginn hat sie die Satzzahl um auf 8x4 erhöht. In der darauf folgenden Woche hat sie das Gewicht erhöht, ist aber auf 6x4 zurückgegangen. So war eine Gewichtserhöhung immer begleitet mit einer Reduktion des Gesamtvolumens (von 32 Gesamtwiederholungen auf 24 Gesamtwiederholungen)

Sonstiges

Nach einiger Zeit hat sie angefangen morgens den Sonnengruß zu machen und in der letzten Zeit hat sie Abends eine Ganzkörper Dehneinheit gemacht. Langfristig wird sie noch einige leichte "Trainingeinheiten" extra machen. Die Anführungsstriche, weil es keine eigenständigen Trainingseinheiten werden, sondern vielmehr kurze 5-10minütige Übungsabfolgen, die sie zwischendurch machen kann. Die Übungen für diese kleinen Zwischenroutinen werde ausschließlich nach funktionellen Aspekten aussuchen.

Ernährung

Ihre Ernährung ist weitgehend Steinzeiternährung + Milchprodukte und ein paar andere Kleinigkeiten. Die Milchprodukte waren ein einfaches Mittel um auf die nötigen Kalorien zu kommen. Sie hat keinerlei Unverträglichkeiten. Auf jeden Fall waren Getreide, Hülsenfrüchte, Zucker und pflanzliche Öle raus.

Ihre Ernährung war wieder ein Beispiel für die Anwendung des Konzepts G-Flux. Bevor sie sich unter meine Fittiche begeben hat, hat sie am Tag 1700kcal zu sich genommen. Das ist keine unübliche Form der Mangelernährung. Weil ihr Stoffwechsel so desolat aufgestellt war, war dies ihre einzige Methode ihr Gewicht zu kontrollieren.

Die Nebenerscheinungen eines so niedrigen G-Flux waren die Üblichen: Relativ wenig Muskelmasse, relativ hoher Körperfettanteil, schlechte Arbeitskapazität usw.

Die wichtigste Veränderung ihrer Ernährung war das gleichzeitige Anheben der Kalorien. Sie hat die Ernährung auf 2700kcal an Trainingstagen angehoben und diese leicht gesenkt, wenn sie nicht trainiert hat.

[pullquote position="right" hidden="true"]Je mehr Hüfte ihr pro Taille habt, desto eher habt ihr die Sanduhrfigur.[/pullquote]

Außerdem hat sie an Trainingstagen 80g Kohlenhydrate nach dem Training zu sich genommen (in Form von Banane, Reis und Ähnlichem. Es war immer in Form von Nahrung und nicht in Form von Supplementen). Außerdem hat sie einen Wheyshake mit 25g Wheyprotein und die eine Portion Kohlenhydrate direkt nach dem Training zu sich genommen.

Sie hat drei Mahlzeiten gegessen:

  1. Morgens: moderat Protein, moderat Fett
  2. Mittags: moderat Protein, moderat Kohlenhydrate
  3. Abends: Viel Protein, viel Fett

Zu jeder Mahlzeit hatte sie die Maßgabe Protein und Gemüse oder Obst zu sich zu nehmen.

Sie hat kein intermittierendes Fasten gemacht. Das heißt, die drei Elemente ihrer Ernährung waren:

  1. Steinzeiternährung + Milchprodukte + Reis
  2. Kalorienzufuhr auf Trainingstage angepasst
  3. Kohlenhydratzufuhr auf Trainingstage angepasst.

Sie hat nicht außergewöhnlich arm an Kohlenhydraten gegessen und sicherlich nicht irgendwie versucht in die Ketose zu kommen.

Sie hat in der Zeit einen großen Schummeltag gehabt: 10 Kugeln Eis, die sie alleine Essen musste. Das Resultat am nächsten Tag: Mehr Umfang an den Beinen, weniger Umfang am Bauch (könnte aber auch ein Messfehler sein). Ein richtig eingesetzter Schummeltag wirft dich nicht einfach nach hinten. Sie hat 1,5kg zugenommen (und wollte mir nicht glauben, als ich dies vorhergesagt habe), dabei hat sich ihr Körperfettanteil nicht verändert.1

Bei ihr habe ich unter anderem folgende Prinzipien angepasst:

Makronährstoffe

  • Protein (insbesondere tierisches Protein) ist gekoppelt an Krafttraining und das Gesamttrainingsvolumen.
  • Kohlenhydrate (insbesondere süßes Obst, stärkehaltige Gemüsesorten und Knollengemüse) sind gekoppelt an Ausdauertraining und das Gesamttrainingsvolumen.
  • Fett ist gekoppelt an Einheiten mit hohem EPOC und das Gesamttrainingsvolumen.

Angewendete Prinzipien:

Prinzip des G-Flux. Bisher habe ich noch keinen Artikel dazu geschrieben, daher lege ich dir den Artikel von Precision Nutrition nahe: All about G-Flux

Tagesrhythmus

  • Die größte Mahlzeit kommt immer nach dem Training.
  • Die Kohlenhydrate sind immer in den Mahlzeit direkt nach dem Training.

Angewendete Prinzipien:

Das Prinzip des Hungers. Nachzulesen in Die wahre Natur des Hungers und Steinzeiternährung, Training und intermittierendes Fasten.

Prinzip der metabolischen Flexibilität. Nachzulesen in Die metabolische Flexibilität - Ein kleiner Überblick

Lebenswandel

  • Maßnahmen der einen Kategorie der Gesundheit sollten immer einen Ausgleich in einer anderen Kategorie finden. Nachdem ich ihr Training umgestellt habe, war der nächste Schritt keine Erhöhung der Trainingsbelastung sondern Arbeit an der Mobilität.
  • Gewohnheiten und Routinen sind zentral. Sie hat bereits regelmäßig und selbstverständlich gekocht. So konnte ich stärker in ihre Ernährung eingreifen, ohne sie zu überlasten.

Angewendete Prinzipien:

Prinzip des Ausgleichs. Nachzulesen in Kategorien der Gesundheit - Ausgleich

Prinzip: Kochen als Habitus. Nachzulesen in Kochen als Habitus

Prinzip der Entscheidungsermüdung. Nachzulesen in Entscheidungsermüdung und Lebenswandel

Ergebnis

Vorab: Bedenke, dass dies ein Fallbeispiel eines individualisierten Vorgehens ist. Auf der einen Seite sind die Grundprinzipien immer gleich. Auf der anderen Seite ist die Anwendung dann von Mensch zu Mensch unterschiedlich.

Beispiel: Ich mache selbst auch Kaloriencycling. Ich gehe von ca. 6000kcal an schweren Trainingstagen auf ca. 2500-3000kcal an leichten Trainingstagen herunter (was dann gleichzeitig meine wöchentlichen Fastentage sind). Ihr Unterschied ist bei weitem nicht so groß, weil ihre metabolische Flexibilität noch nicht so weit ist.

Fotos

Auf den Bildern sieht man deutlich, dass sie enorm an Körperfett verloren hat. Ich erinnere, dass dies nicht mein Hauptziel war. In den ersten drei Monaten (das ist der Abstand dieser Bilder) habe ich reine Kraftziele verfolgt.

Allerdings ist es üblich, dass sich der Körper trotzdem verändert, weil er die Findung eines neuen und gesünderen Gleichgewichts repräsentiert. Alexandra hat hart trainiert und war sehr diszipliniert mit der Ernährung. Sie hat sich diese Veränderungen hart erarbeitet und daher sehr verdient.

Maße

30-04-2014: Gewicht 62,5kg

  • Bizeps 29,5cm
  • Taille 71cm
  • Hintern 98cm
  • Oberschenkel 58cm

07-07-2014: Gewicht 63kg

  • Bizeps 31cm (+1,5cm)
  • Taille 69cm (-2cm)
  • Hintern 100cm (+2cm)
  • Oberschenkel 55cm (-3cm)

Protipp für die Frauen: Das Verhältnis von Taille zu Hüfte ist eine nützliche Metrik um die Veränderung eurer Figur festzustellen. Je mehr Hüfte ihr pro Taille habt, desto eher habt ihr die Sanduhrfigur. Das ist ein Maß, dass ich für die optischen Veränderungen nutze. (Die Waage ist nahezu immer das schlechteste Maß)

Abschließende Worte

Alexandra ist der Fall eines Menschen, der hart gearbeitet hat und entsprechende Resultate erhalten hat. Sie hat viel Zeit und Energie investiert. Dabei hat sie die Mehrfachbelastung aus Job, Kind und Training gut organisiert.

Ich bedanke mich für ihr Durchhaltevermögen.

Fragen

  • Wie groß ist dein G-Flux? Wenn man einen durchschnittlichen Flux eines Jäger und Sammlers haben möchte, muss man mit 49kcal/kg/Tag sein Gewicht halten können.
  • Wie leicht fällt es dir an Basics zu arbeiten und darauf zu vertrauen, dass es sich später auszahlt, obwohl du für einige Wochen keinerlei Fortschritt siehst?
  • Fällt es dir leichter auf einen Trainer zu vertrauen oder kannst du sogar auf einen Prozess vertrauen?

  1. Diese Gewichtszunahme war der Auslöser für die Überlastung am darauffolgenden Tag. Deswegen ist es so wichtig, dass man auf den Prozess und den Trainer vertraut.