Kennst du dich selbst?

Ein Zitat aus dem baldigen Buch “ Reflexion und Analyse des Lebenswandels:

So begann ich im Boxen meine Identität als Mann zu entdecken. Obwohl mein Vater, wie auch meine Mutter, strikt gegen das Boxen war, bemerkte ich, dass er den einfachen und ehrlichen Stolz eines Vaters empfand, den ein Russlanddeutscher empfindet, wenn sein Sohn zu einem Mann wird und er beginnt daran zu glauben: “Ich hinterlasse der Welt etwas von mir.”

Die größte Resonanz auf mein Schreiben erhalte ich, wenn ich coole Theorien oder einen coolen Mechanismus veröffentliche. Die erfolgreichsten Beiträge auf diesem Blog sind der Artikel über Getreide und über das intermittierende Fasten. Ich schätze, dass dies daran liegt, dass die meisten Menschen Tools und “das Wie” des Ganzen interessiert. Getreide ist schlecht! Hier die Gründe. Iss kein Getreide. Intermittierendes Fasten ist gut! Hier sind die Gründe. Iss kein Frühstück.

Doch in meiner Arbeit stelle ich vor allem eines fest: Die allerwenigsten Menschen brauchen mehr oder bessere Tools. Sie brauchen einen Prozess, in welchem sie sich selbst erkennen und verstehen, welcher Platz in der Welt der ihrige ist. Teil eines solchen Prozesses ist eine tiefe, eine unangenehm tiefe, Analyse des eigenen Lebens und eine Reflexion darauf, was die tiefen Beweggründe dafür sind, sich überhaupt Gedanken über den Lebenswandel zu machen.

Ich habe eine ganze Weile gefühlte tausend Blogs über Persönlichkeitsentwicklung, Personal Development, Training, Gesundheit, Powerlifting, Turnen, Ernährung und viele Stunden Videomaterial auf Youtube in mein Hirn gedrückt. Das hat schon einer kurzen Weile aufgehört. Ich habe festgestellt, dass nur ein winziger Bruchteil überhaupt wirksam in meinem Leben war und ich schon von Anfang an vorhersagen konnte, was wirksam werden würde.

Ich habe mir die ganzen Blogs angesehen und habe mich gefragt: “Wenn die doch alle so genau wissen, wie man ein richtig geiles Leben führt, warum sieht man dann so wenig beeindruckende Menschen?” Wie kann es sein, dass ein Mensch über ein kugelsicheres Leben schreibt und dabei ein dicker, alter Mann ist? Versteh mich nicht falsch. Das Alter ist es nicht. Paul Chek ist ein extrem fitter alter Mann, und dass er so alt ist (ca. 50), macht seinen einarmigen Klimmzug um so beeindruckender.

Das Internet quillt über von Werkzeugen, von Trainingsmethoden und 30-Tage-Challenges. Überall wird von Habitbuilding, der Ausprägung von Gewohnheiten, gesprochen und die verrücktesten psychologischen Tricks werden präsentiert. Mir ihnen soll man sich auf möglichst einfache Weise irgendwelchem Verhalten bringen können, von denen man glaubt, sie seien gut für die Gesundheit, die Fitness oder gar bloß das Wohlbefinden.1 Das sind alles wichtige Dinge, aber es ist doch seltsam, dass so wenig Menschen von denen, die ”es” predigen, tatsächlich auch diesen Weg gehen. Nicht einmal diese, gehen IRGENDEINEN Weg.

Das führt mich zurück zu diesem Zitat aus Reflexion und Analyse des Lebenswandels:

So begann ich im Boxen meine Identität als Mann zu entdecken. Obwohl mein Vater, wie auch meine Mutter, strikt gegen das Boxen war, bemerkte ich, dass er den einfachen und ehrlichen Stolz eines Vaters empfand, den ein Russlanddeutscher empfindet, wenn sein Sohn zu einem Mann wird und er beginnt daran zu glauben: “Ich hinterlasse der Welt etwas von mir.”

In diesem Zitat steckt einer der Gründe, weshalb ich mich drei Jahre lang bis und manchmal weiter über die Grenzen belastet habe, seit vielen Jahre nicht von meinem Ernährungsplan abweiche, nicht ins (ZNS-)Übertraining komme, viele Formen von Marketing- und Blogtechnik nicht anwende, obwohl sie meinen monetären Erfolg deutlich beschleunigen würden und für so viele Dinge mehr in meinem Leben, bei welchen ich als super diszipliniert oder manchmal nur als Freak gelte.

Es ist nicht das Knowhow, das fehlt. Es ist das Knowwhy, das entscheidet, wie das Leben ist. Wir haben alle so unglaublich viel Veränderungswiderstand in uns, weil die Widerstände schon in der Kindheit und Pubertät aufgebaut werden. Erlangen wir das Erwachsenenalter, haben wir bereits feste Programme und Vorstellungen, wie das Leben funktioniert. Wir glauben, zu wissen, worauf es im Leben ankommt. Das gibt uns Sicherheit und diese verteidigen wir so erbittert, dass eine echte Veränderung des Lebenswandels ein langer und oft schmerzhafter Prozess ist.

Wenn mich jemand fragt, warum ich so einen dicken Bizeps habe, verweise ich auf schwere Klimmzüge und auf die Überschätzung von Isolationsübungen. Die Augen sind groß, wenn ich sage, dass man keine Bizepscurls für einen dicken Bizeps braucht. Eine ehrliche Antwort wäre es jedoch, dass meine Mutter als kleine und zierliche Frau zwei volle Einkaufstaschen pro Hand 600m nach Hause getragen hat, sodass sich die scharfen Kanten der Griffe der Plastiktüten sich so tief in das Fleisch ihrer Hände geschnitten haben, dass ich nicht nur den Anblick immer vor Augen behalten werde. Ich werde mich auch immer an das Gefühl erinnern, als ich verstanden habe, dass Schmerz kein Grund ist aufzuhören. Dies war die Normalität meines Lebens. Damals habe ich mir keine Gedanken gemacht und dachte, dass das Leben nur so funktioniert, nur so funktionieren kann.

Lerne, zu sein, wie du sein sollst.

Damit hören wir gewöhnlich mit Abschluss der Pubertät auf, leben nur allzu häufig in der Illusion, dass man so genommen werden sollte, wie man ist.2 Das ist einer der kindlichen Wünsche, welche wir uns noch als Ausgewachsene aufbewahren, um das Erwachsenwerden zu vermeiden.

Werde, der du bist.

Hat Nietzsche gesagt. Ist zwar schwerer zu verstehen, klingt aber knackiger.

In aller Kürze: Dein Lebenswandel sollte dich berühren. Nicht nur ein bisschen, sondern zutiefst und dich immer wieder neu erschüttern, damit dir die Gelegenheit geschenkt wird, dich zum Besseren zu verwandeln.

Reflexionsfragen

  • An welchen Stellen deines Lebens hast du schon versucht eine allmähliche Veränderung anzustreben und bist gescheitert?
  • Welche Persönlichkeitsveränderungen hast du dabei begleitend und absichtsvoll vorgenommen?
  • Was sind deine größten biographischen Ressourcen? Eine biographische Ressource ist ein Ereignis, dass dir Kraft und Stärke gibt, wenn du daran denkst.

  1. Eine interessante Überlegung ist, welchen Nutzen es haben kann, wenn man es sich möglichst schwer macht. 

  2. Wie kann man von anderen verlangen, so genommen zu werden wie man ist? Warum sollte es in der Verantwortung des Gegenübers liegen, sich um die eigenen Fehler durch Toleranz zu kümmern?