Lebenswandelskapital ist einer der ganz wichtigen Konzepte, um zu verstehen, wie man erfolgreich seinen Lebenswandel verbessert. Für Menschen, die glauben undiszipliniert zu sein, ist es beispielsweise nützlich zu verstehen, wie sie Willenskraft in Gewohnheiten speichern können.
Das Thema Abnehmen ist ein Paradebeispiel für ein Unverständnis gegenüber dem guten Lebenswandel. Wollen wir abnehmen, wählen wir üblicherweise die direktesten Mittel aus, um abzunehmen. Wir reduzieren die Nahrung, erhöhen unsere Bewegung durch Trainingseinheiten oder andere Maßnahmen. Kurz: Wir attackieren das Problem ohne jeden Umweg. Wir essen weniger und bewegen uns mehr. Die Kalorienbilanz ist das Werkzeug, von dem wir glauben, dass wir es beherrschen. Noch viel schlimmer: Wir glauben, bereits alles Nötige zu können, um abzunehmen.
In Wahrheit fehlt vielen Menschen wichtiges Lebenswandelskapital. Sie müssen in viele andere Dinge investieren, bevor sie ausreichend gerüstet sind, um abzunehmen.1 Dies erfordert Geduld, eine weitere wichtige Kapitalanlage für das Leben überhaupt.
Eine der wichtigen Gewohnheiten ist das tägliche Kochen. Wer nicht jeden Tag kocht oder zumindest für jeden Tag kocht, hat nicht genügend Kontrolle darüber, was er isst.
So eine Gewohnheit will aber aufgebaut werden. Müde und kaputt hat niemand am Abend noch große Lust zum Kochen. Doch eben deswegen heißt es: Investiere in dich, gerade wenn es schwer ist! Anstatt sich mit Tricks wie Proteinshakes oder irgendwelchen superschnellen und superleichten Menüs zu behelfen, wählen wir hier den schweren Weg. Wir kochen, auch wenn es uns schwer fällt. Mit der Zeit bauen wir die Gewohnheit auf und müssen uns immer weniger zwingen. Wir erledigen die leidige Arbeit, ohne die Entscheidung immer wieder in Frage zu stellen. Wir verhalten uns willensstärker, weil wir Willenskraft in diese Gewohnheit investieren. Sie wird als Lebenswandelskapitalanlage größer und wirft einen immer größeren Profit ab. Irgendwann ist unsere Ernährung gut, obwohl wir abends noch müde sind. Wo andere den leichten Ausweg suchen und später beim Abnehmen scheitern, können wir auf die investierte Willenskraft zurückgreifen. Wir machen es aus Gewohnheit und lassen uns von anderen sagen, dass wir ja sooo diszipliniert sind.
Eine andere wichtige Kapitalanlage des Lebenswandels ist die metabolische Flexibilität. Betrachten wir Ausdauertraining nur als Mittel dazu, Kalorien zu verbrennen, verschenken wir wichtige Investionsmöglichkeiten. So machen viele Menschen, sogar viele professionelle Fitnesstreibenden, “Cardio”. Was sie dabei häufig weglassen sind die einfachen Trainingsvariablen: Intensität, Progression, Variation usw. So verbessern sie ihre Ausdauer nur bis zu einem gewissen Grad. Ausdauertraining ist jedoch eines der wichtigen Mittel, um die metabolische Flexibilität zu trainieren. Mit einer hohen metabolischen Flexibilität kann man wesentlich leichter einen niedrigen Körperfettanteil erreichen und halten.
Die schlimmsten Siege sind Pyrrhussiege. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass du zwar momentanen Erfolg hast, dafür aber deine Erfolgsaussichten langfristig verkleinerst. Ein Beispiel sind die schnellen Abnehmkuren. Während man zwar kurzfristig abnimmt, verpasst man die Gelegenheit grundlegender Ernährungsumstellungen und damit die Möglichkeit, langfristig ein gesundes, schlankes und fittes Leben zu führen. Nicht nur das. Abnehmprogramme hinterlassen dich mit jedem Zyklus mit weniger Lebenswandelskapital. Weniger Muskelmasse, weniger Stoffwechselaktivität und häufig schlechte Lernerfahrungen (Lebenswandelschulden). So wird man darauf konditioniert, dass man nur eines von beidem haben kann: Entweder ein tugendhaftes, schlankes Leben oder ein frohes, fettes Leben.
Wer vernünftig und langfristig abnehmen will, der investiert in sich selbst, anstatt sich selbst auszubeuten. Deswegen ist langsamer, häufig deutlich schneller.
Reflexionsfragen:
- Wie kannst du durch den Aufbau von Lebenswandelskapital abnehmen?
- Wo hast du bisher versucht abzunehmen, aber gleichzeitig Lebenswandelschulden aufgenommen?
- Was sind deine nächten Schritte um mit mehr Lebenswandelskapital auf deiner Seite abzunehmen?
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Wenn ich von Abnehmen spreche, meine ich nicht, dass jemand für ein paar Wochen abnehmen kann und dann wieder zunimmt. Ich spreche von einer dauerhaften Veränderung. ↩
Zu 2. Als ich damals mit Crossfit begann, habe ich mich auch recht schnell mit der Paleoernährung befasst, um auch gesund und langfristig abzunehmen. Ich fand die Grundzüge gut, habe aber einfach aus Unerfahrenheit erheblich zu wenig Menge gegessen. (Wenns schon so gesund ist, braucht man nicht so viel davon – entsprechend extrem waren die Ergebnisse an Fettverlust) Das hatte zur Folge, dass ich dauerhaft extremen Mundgeruch hatte (das fand meine Frau recht unsexy) und noch viel schlimmer jeden Tag der Woche auf den „Shitday“ gegeiert habe. An diesem Tag verspürte ich neben starker Übelkeit durch Überfressen derartige Glücksgefühle, dass der drang danach zu einer regelrechten Sucht wurde. Ich träumte irgendwann von „Essensbetrug“. Als ich durch Stress und Familie meine Paleoernährung mit sehr viel kochen und anderen schönen Dingen wieder beiseite schob, blieb nun aber eine Sache. Ja, richtig der Cheatday.. und zwar jeden Tag, weil es so einfach und befriedigend war. 20 Kilo später sehe ich aus wie der dicke [edit: Keine negativen Kommentare bitte] und rede genauso einen Quatsch. Better choises every day sage ich nur und haue mir zum Selbstbeweis 20 Doughnuts rein, damit ich weiß, dass ich das noch kann :-) Abnehmen ist wirklich einfach, aber wenn man es zu schnell macht und keine Erfahrung damit hat, schleichen sich grundsätzlich schlechte Gewohnheiten ein.