Eine ungefähre Geschichte meiner Meditation

Wenn du eines aus dieser Nacherzählung meiner Meditationspraxis mitnimmst, nimm dieses mit: Meditation ist zum Wachsen da.

Meine erste Meditationserfahrung

Meine erste Meditationserfahrung, die ich wirklich als eine solche erinnere, ist eigentlich das Resultat einer Strafe durch meinen Vater. Nachdem mein Bruder und ich mal wieder völlig am ausgerastet sind, hat mein Vater uns angewiesen, uns flach auf die Sofas im Wohnzimmer zu legen. Wir (oder nur ich?) durften weder Arme noch Beine überkreuzen. Er hat uns dann Mozart angemacht und hat das Wohnzimmer verlassen. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir so auf dem Sofa lagen. Aber es war lang.

Ich kann mich noch exakt erinnern, wie ich mehr und mehr das Gefühl hatte, dass die Musik durch meine Brust in meinen Körper dringt. Ich kann noch fühlen, was ich damals gefühlt habe, aber bessere Worte als damals (ich vermute, ich war 8 Jahre alt) finde ich nicht. Es waren nicht mehr meine Ohren, die hörten, sondern meine Brust. Ich sage bewusst „Brust“ und nicht „Herz“, weil ich das eben nicht gefühlt habe. Wir wollen ja nicht zu esoterisch werden.

Ich kann nicht sagen, wieso, aber das ist eine Erinnerung, die mich immer wieder begleitet.

Der Anfang der Reise: 40 Tage Kundalini

40 Tage Kundalini, so müsste ich das Kapitel nennen, wenn ich ein Buch darüber schreiben würde. Doch die Geschichte dahinter ist äußerst langweilig. Zu der Zeit, das muss ungefähr 2011/2012, habe ich eine ganze Reihe von Experimenten gemacht. Damals hatte ich noch viel Freiheit, mein Leben vollzuladen.

Der Kontext meines Entschlusses ist wichtig, um zu verstehen, was ich da eigentlich gemacht habe.

Zu der Zeit habe ich angefangen, mich in Grund und Boden zu trainieren. Meine Trainingsmethoden wurden immer extremer. Ich habe begonnen, allerlei mentale Techniken zu verwenden, um meine Trainingsintensität noch weiter zu erhöhen. So habe ich beispielsweise angefangen, mir vor einem Trainingsblock vorzustellen, wie ein schrecklicher Sturm aufzieht, durch den ich mich durchkämpfen muss. Ich habe mir aber auch vorgestellt, wie meine Mutter von Ärzten ungerecht behandelt wird und ich ihnen mit bloßen Händen die Eingeweide herausreiße (meine Mutter musste wegen kleinerer Herzprobleme ins Krankenhaus). Kurz: Ich habe alles gemacht, was mir einfiel, um meine Trainingsintensität zu erhöhen. In dem Fall habe ich mich einfach wütend gemacht und mich aufgedreht.

Meine Anfänge der Meditation waren also nicht dadurch motiviert, dass ich auf der Suche nach Ruhe oder Frieden war. Ich war auf dem Kriegspfad. Mein Feind, das war ich selbst.

Meditation war eine Karte, die ich noch nicht gespielt hatte. Also habe ich einfach angefangen, einmal pro Tag je eine Übungsreihe für ein Chakra aus dem Buch Kundalini zu machen. Das ging wunderbar auf: Es gab 8 Chakren (die 7 üblichen und die „Aura“), also musste ich die nur 5 Mal durchgehen und dann hatte ich meine 40-Tage-Challenge. Wie damals für mich üblich musste ich die 30-Tage-Challenge besser machen.

Ich habe mich stumpf untergeordnet und lediglich exakt das gemacht, was im Buch beschrieben wurde.

Ich begann einige Veränderungen zu bemerken, die mit Meditation einhergehen, wie bessere Konzentrationsfähigkeit und eine höhere Achtsamkeit. Gut, dachte ich.

Während dieser Phase stießen zwei Impulse meiner Lebensführung aufeinander:

1. Ich war damals auf dem bewussten Weg, mir ein inneres Kloster aufzubauen. Ich hatte nur eine Frage im Kopf und der wollte ich mein Leben widmen: Was ist das gute Leben in der Moderne? Es war aber eine moralische Grundfrage, die mich angetrieben hat. Vor allem Kant und Nietzsche waren die Repräsentanten der beiden Grundpfeiler der Moralisierung meines Lebens. Dabei ging es weniger um die genauen Positionen, sondern mehr darum, dass beide auf gegenüberliegenden Enden eines Spektrums standen:

Kant stand für ein in sich schlüssiges Regelsystem, eine Moral, die von Vernunft getrieben wurde. Der Original Gangster der rationalen Ethik könnte man sagen. Heute versucht sich Sam Harris recht erfolglos daran. Meine Kritik an Sam Harris Arbeit wird in anderen Blogposts folgen.

Nietzsche stand dagegen für die rohe Gewalt einer Lebenskraft, die immer noch in uns Menschen schlummert. Sein Wert besteht für mich nicht in großer Klarheit oder Widerspruchsfreiheit einer in sich durchdachten Position. Vielmehr hat er erforscht, was nötig ist, um tatsächlich in der Lage zu sein, eine Moral aus sich selbst heraus hervorzubringen.

Man könnte sagen, dass ich in Kant einen Zielgeber verstand, in Nietzsche dagegen einen Wegweiser, dass man ein solches Ziel verfolgen muss, wenn man Hoffnung auf Erfolg hat.

Ich habe Meditation als ein Mittel verstanden, mir die geistige Klarheit zu geben, um den Weg weiterzugehen, der meiner Ansicht nach nicht mehr gegangen wurde.

2. Die durch die Meditation entstehende Achtsamkeit begann, sich immer mehr mit meiner emotionalen Intensität zu beißen. Man kann diesen Konflikt sehr einfach zusammenfassen:

Ich war auf dem Kriegspfad gegen mich selbst. Das Ziel war es, Frieden zu schaffen durch eine totale Moralisierung des Lebens. Alles, was ich tat, versuchte ich durch einen moralischen Filter laufen zu lassen. Oder: Ich habe begonnen, alles auf den Prüfstein zu stellen und zu bewerten. Zwei Faktoren stechen hier hervor:

  1. Emotionale Intensität.
  2. Bewerten und Urteile fällen.

Doch Achtsamkeit ist die urteilslose, neugierige und offene Weise der selbstbestimmten Aufmerksamkeit. Achtsamkeit ist auch so ziemlich das Gegenteil von emotionaler Intensität. Emotionale Intensität führt nämlich zwangsläufig zu Urteilen.

Das löste für mich interessante Schwingungen hervor. Damit meine ich nicht das esoterische Zeug im Sinne von Vibrationen oder Wellenlängen. Ich fiel mal in das eine und mal in das andere Extrem.

Damals habe ich schon begonnen, die Theorie und Praxis von Sinn zu entwickeln. Das Fundament des Ganzen ist das Auflösen von Widersprüchen: Das Auflösen von Widersprüchen ist identisch mit der Anreicherung des Lebens mit Sinn.

Damit begann die nächste Phase meiner Meditationspraxis.

Meditation als universelle Lebensweise

Ich begann alles als mögliches Meditationsobjekt zu betrachten. Zu dem Zeitpunkt habe ich begonnen, während des Trainings eine möglichst intensive Konzentration zu erreichen, anstatt einen möglichst intensiven emotionalen Zustand. Ich meditierte bei allem. Beim Gehen, Einkaufen, Stehen, Training und so weiter.

Um das zu verstehen, muss ich erklären, was ich eigentlich meine, wenn ich von Meditation rede:

Meditation ist ein Überbegriff für alles, was aus den folgenden Komponenten besteht:

  1. Konzentration auf ein Meditationsobjekt.
  2. Das Meditationsobjekt.
  3. Die Absicht, einen bestimmten mentalen Zustand zu erzeugen.
  4. Ein übergeordneter Plan, um die einzelnen Meditationen zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufassen.

Das klingt komplizierter, als es ist:

Atemmeditation besteht in der Konzentration auf den Atem mit der Absicht, Achtsamkeit zu erzeugen. Diese führt man zum Beispiel täglich morgens aus, mit dem Ziel, sich auf den Tag vorzubereiten und den Geist zu trainieren.

Der Begriff der Meditation weicht insofern vom Alltagsbegriff der Meditation ab, dass er mehr meint, als nur die einzelne Sitzung. Meditation verhält sich zur einzelnen Sitzung, wie Training zur einzelnen Trainingseinheit. Wenn ich einmal ins Fitnessstudio gehe, dort ein paar Übungen mache und dann nie wieder hingehe, habe ich nicht einmal im Leben trainiert, sondern keinmal. Training ist das übergeordnete Muster, das aus den einzelnen Einheiten entsteht. So ist Meditation das Muster, das aus den einzelnen Sitzungen entsteht.

Wenn ich also sage, dass ich aus allem eine Meditation gemacht habe, dann meine ich das im obigen Sinne: Ich habe beispielsweise versucht beim Ausdauertraining eine möglichst hohe Konzentration zu erreichen, ohne mich von den unangenehmen Empfindungen dabei abzulenken, sodass Achtsamkeit mit einer hohen Intensität kombinieren konnte, um … tja, das sinnvolle Ganze habe ich damals nicht verstanden. Ich hatte eine ungefähre Vorstellung davon, wie es aussieht. Ich habe meinen Geist auf die gleiche Weise trainiert, wie ein Crossfitter für die jährlichen Spiele. Es gibt eine ungefähre Vorstellung von der Zielbelastung, bewährte Meilensteine, aber was genau passiert, weiß man doch nicht.

Das übergeordnete System war, dass ich meinen Geist mit ganz unterschiedlichen Herausforderungen bombardieren wollte. Dazu habe ich die unterschiedlichsten Meditationsübungen und -techniken ausprobiert. Atem, transzendental, Licht -- ich habe gefühlt schon alles irgendwie mal gemacht.

Allmählich schälte sich ein Muster heraus und kulminierte in einer einzigen Meditationsübung.

Meditation auf Zeit

Irgendwann, das muss zwischen 2013 und 2014 gewesen sein, habe ich mich gefragt, wie ich Meditation als Training des Geistes gestalten kann. Ich habe unterschiedlichste Methoden ausprobiert. Doch woher sollte ich wissen, ob ich mich überhaupt verbessert habe? Wie konnte ich also meine Meditationsfähigkeit messbar machen?

Dabei bin ich auf eine einzige Möglichkeit gestoßen: Zeit.

Eine der üblichen Schwierigkeiten bei Meditation ist, dass einem die Puste ausgeht. Man kann sich irgendwann nicht mehr konzentrieren. Also habe ich begonnen, meine „meditative Ausdauer“ zu trainieren. Das Setup ist extrem einfach:

  1. Lege dir eine Stoppuhr zurecht.
  2. Begib dich in eine Position, in der du aufrecht sitzen kannst, aber deine Muskeln nicht der limitierende Faktor sind (Lotussitz, ohne Rückenstütze, ist vor allem körperlich schwierig).
  3. Schließe die Augen und beruhige deinen Geist, sodass keine Gedanken mehr entstehen, und drücke auf „Start“.
  4. Wenn du merkst, dass du den mentalen Zustand der Stille aufrechterhalten kannst, drückst du die Stopp-Taste.
  5. Beim nächsten Mal schaffst du hoffentlich mehr.

Es scheint, als hätte ich die am wenigsten spirituelle Methode der Meditation gefunden. Doch die Effekte waren äußerst erstaunlich: Wann immer ich es geschafft habe, meinen Geist für 20–40 Minuten zu beruhigen (ich kann mich nicht mehr an den Schwellenwert erinnern), veränderte sich mein mentaler Zustand äußerst stark. Zeit und Raum spielten keine Rolle mehr.

Außerdem habe ich viele mystische Erfahrungen gemacht. Einige davon:

  1. Ich habe meinen Körper verlassen und schwebte als reines Bewusstsein über meinem Körper und konnte mein Zimmer beobachten.
  2. Mein Körper hat sich in Glas verwandelt. Ein Männchen, das schon immer in mir gewohnt hat, hat eine kleine Tür in meinem Bauch aufgemacht und fing an, auf mir ein Rad nach dem anderen zu schlagen. Ihm wurde langweilig und hat sich im Schneidersitz auf meinen Kopf gesetzt, um sich über mich lustig zu machen.
  3. Ich habe gleißende Lichtexplosionen gesehen und raste durch das unendliche All.
  4. Ich habe Gottes Präsenz gespürt und mit Gott geredet. Gesagt hat er nichts. Ich hatte eher nur die Sicherheit, seiner Anwesenheit und deinen Eindruck, als würde mir etwas mitgeteilt.

Ich kann diese Erfahrungen nicht umfassend bewerten. Ich glaube auch nicht, dass ich da nützliche Erkenntnisse gewinnen könnte.

Meine allgemeine These ist, dass man während dieser Erfahrungen lediglich erlebt, wie das Gehirn arbeitet. Je nachdem, wer diese Erfahrungen hat und woran man denkt, werden dann diese Erfahrungen ausfallen.

Doch ich kann berichten, dass jede dieser Erfahrungen einen bleibenden Effekt erzeugen. Es wäre für mich keine allzu abwegige These, dass man beobachten kann, wie das Gehirn sich in Reaktion auf die Erfahrung verändert.

Was mache ich aktuell

Aktuell meditiere ich nicht. Der Grund ist ein ganz profaner: keine Zeit. Ich wüsste nicht, wann ich Meditation unterbringen sollte, ohne anderes aus meinem Leben zu entfernen.

Das heißt nicht, dass ich nicht Dinge mache, die einen meditativen Effekt haben. Ich spaziere und jogge mit meinem Hund. Das nutze ich manchmal, um einzelne Meditationssitzungen zu haben. Oder ich sitze manchmal für einige Minuten da, ohne dass ich meinen Gedanken erlaube, in meinen Geist zu dringen.

Aber ich habe keine systematische Meditationspraxis. Vielmehr nutze ich die aufgebauten Fertigkeiten, um bestimmte Effekte zu erzeugen. Meditation spielt für mich eine ähnliche Rolle wie Schattenboxen oder Swings mit der Kugelhantel. Ich boxe nicht und ich betreibe keinen Kugelhantelsport. Vielmehr nutze ich Schattenboxen als Lockerung und Ausdauerübung und Swings in meinen Zwischenroutinen. So nutze ich lediglich die Fertigkeit, meinen Geist frei von Gedanken zu halten, um Luft zu holen oder meine Spaziergänge erholsamer zu gestalten.

Doch das ist mir nur möglich, weil ich bereit war, einen hohen Preis zu bezahlen. Zeit und Energie sind immer nur dann investiert, wenn man danach eine Dividende kassieren kann.

Was das für die Praxis heißt

Meditation für Kinder: Ich habe noch keine direkten Schlussfolgerungen. Aber als Vater einer Tochter überlege ich in zwei Richtungen: Wie kann ich meiner Tochter Zugang zu solchen Erfahrungen verschaffen und welche konkreten Meditationstechniken sind überhaupt für Kinder geeignet? Alleine die ersten Suchergebnisse von Google stoßen mich ab: Meditation wird so entkernt und schlecht präsentiert, wie in jedem Lifestyle-Magazin. Aber meine Tochter ist noch jung und dafür bleibt noch Zeit.

Moral und Meditation: Das ist ein Punkt, den sehr viele Meditierende nicht berücksichtigen, und auch im kollektiven Denken des Internets kaum eine Rolle spielt. Meditation hat sich nicht im luftleeren Raum entwickelt. Sie hat sich in einem religiösen Kontext entwickelt und ist eigentlich eine Lösung für den Widerstand dar, den der menschliche Geist leistet, wenn man den spirituellen Anteil des Glaubens ernst nimmt.

Vergleichen wir Bodhichitta aus dem Buddhismus: Bodhichitta ist die Haltung, Erleuchtung nicht zum eigenen Wohl, sondern zum Wohl aller Lebewesen anzustreben.

Man sitzt nicht stundenlang irgendwo herum, „meditiert“, weil man so gestresst ist. Erleuchtung ist kein Egotrip, sie ist ein Geschenk dafür, dass man das rechte Ziel verfolgt: das Wohl aller Lebewesen.

Dass christliche Meditationstechniken einen christlichen Hintergrund und damit eine christliche Zielsetzung haben, erklärt sich in unseren Regionen hoffentlich von selbst.

Meine persönliche Auseinandersetzung spiegelt die religiöse Spannung zwischen Gesetz („Du solltest …“), dem Geist des Gesetzes (z. B. Bergpredigt) und dem spirituellen Weg zur Erfüllung des Gesetzes wider.

Hinter dieser Phase meiner Meditation steckt eine tiefe Glaubenskrise. Ich halte diese Krise für eine Phase, durch die man zwangsläufig durchmuss. Man braucht wenigstens etwas, das einen vorantreibt, etwas, das wichtiger ist, als man selbst. Ansonsten fehlt die Ernsthaftigkeit und Intensität.

Meditation als universelle Lebensweise: Hier will ich am ehesten eine Warnung aussprechen. Eine solche Lebensweise wird gerne romantisiert oder noch schlimmer: von irgendwelchen Gurus instrumentalisiert, um Leuten zu einem Heilsversprechen zu verkaufen.

Der größte Vorteil davon, Meditation zu universellen Lebensweise zu erklären, ist das gesteigerte Trainingsvolumen und die Vielfalt der Übungen, die man macht. Das ist der einzige praktische Nutzen. Man kriegt auch keine Erleuchtung und ist danach Mr. Superduper.

‌ Meditation auf Zeit: Die für mich hervorstechende praktische Implikation ist, dass hinter großartigen Erfahrungen und Einsichten allzu häufig etwas Banales und gerade zu vulgär Profanes steckt.

Ich habe mystische Erfahrungen und „Erleuchtungsmomente“ (ein Begriff, mit dem ich auf Kriegsfuß stehe) durch ganz banales Meditationsausdauertraining erreicht.

Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ich die andere Phase nicht durchlaufen hätte. Es interessiert mich ehrlich gesagt nicht. Ich bin schließlich kein Erleuchtungsprophet, sondern allenfalls so etwas wie ein gläubiger Lebensphilosoph und Trainer. Ich gebe Leuten Meditationsübungen und gut ist. Aber es gibt Menschen, die mich nach meiner Meditationsgeschichte fragen. Hier ist sie also.