Einen Kodex nimmt man demütig an
Der nachfolgende Abschnitt ist aus dem Manuskript für den fünften Band der Lebenswandelreihe: Lebenswandel - Selbstentwicklung.
Teil der Methoden der Selbstentwicklung ist die Entwicklung eines persönlichen Ethos. Eines Kodex. Doch, ob dieser Kodex gut ist, ist nicht einem selbst überlassen. Wer glaubt, es sei einzig und alleine die eigene Entscheidung, wie er sein Leben zu leben hat, ist arrogant und nichts weiter. Diese Arroganz wird bestraft und der Träger der Arroganz wird Opfer dieser Bestrafung werden. Wohlgemerkt, der arrogante Mensch ist nicht das Subjekt seines Lebens und ist damit auch nicht derjenige, der bestraft wird. Vielmehr ist er das Werkzeug von etwas Arrogantem, das benutzt wird. Der arrogante Mensch ist nicht selbst Subjekt seines Lebens, das wird von seinem Ego gelebt. Er ist nicht derjenige, den das Leben versucht zu bestrafen, er ist nur derjenige, der den Schaden davonträgt. Der Arroganz ist es egal, was ihrem Sklaven geschieht. Es gibt schließlich genug anderes Menschenmaterial auf der Welt.
Als Menschen stehen wir vor einer einfachen Entscheidung: Geben wir unsere Arroganz auf, geben den Gedanken auf, dass das Leben uns zu unserem eigenen Nutzen geschenkt wurde, oder verharren wir im Irrglauben, die Welt bestehe aus Werkzeugen und Hindernissen, die uns unseren Zielen näher bringen oder im Wege stehen. Es spiegelt sich darin die Entscheidung wider, ob wir eine lebendige Lebenswelt schaffen oder wir einsam und zurückgewiesen unser Leben bloß mit Dingen füllen können. Wir können uns dieser Entscheidung nicht entziehen und schon gar nicht mit einem Trick lösen: Allzu häufig versuchen Menschen sich einem Höheren nur soweit unterzuordnen, als es ihnen selbst nützlich scheint. Doch das macht ihre Lebenswelt nicht lebendig, sondern untot. Das, was hätte lebendig sein können, wird zum Untoten, wird hässlich und missgestaltet.
Unsere Welt wird erst dann lebendig, wenn wir den Gedanken aufgeben, das Wichtigste unseres Lebens zu sein. Erst dann, wenn wir ihn wirklich aufgegeben haben, wird uns das geschenkt, was das Leben uns wirklich bieten kann. Der Tod des Egos wird belohnt, seine Vertuschung und Verleugnung nicht. The Biggest Ego Trip Going is Getting Rid of Your Ego, sagt Alan Watts. Man kann Ego nicht sterben lassen, wenn man es nur für das Ego machen will. Die Buddhisten wissen es schon lange: Bodhichitta ist der Wille die Erleuchtung zum Wohle aller Wesen und nicht zum eigenen Wohle zu erlangen.
Das ist die Glaubensgrundlage, der Ausgangspunkt der Ethoskomparatistik.
Erläuterungen zu diesem Text:
Ethoskomparatistik ist fachchinesisch dafür sich unterschiedliche Regelwerke für gutes Handeln vergleichend anzuschauen. Wenn ich irgendwann das Manuskript für dieses Buch fertiggestellt habe, werde ich diese unnötig geschwollenen Worte herausstreichen. Es soll in einfacher Alltagssprache geschrieben sein. Aber dies ist kein Einblick in das Endprodukt, sondern der Stand der Dinge.
Zur Anschauung will ich hier noch drei Fallbeispiele für Kodizes geben. Alle drei sind direkt aus meinem Zettelkasten herauskopiert. Ein paar Erläuterungen vorab:
- Ethos des Athleten nach Gambetta. Ein Selbstentwicklungsproblem im Bereich der Bewegung ist, der Bewegung einen falschen Stellenwert zu geben. Leute verlieren sich darin und verwechseln im Grunde Mittel und Zweck. Eine sehr deutliche Demonstration ist die Dokumentation Price of Gold. Sie zeigt wie Menschen sich in Bewegung verfangen können. Dennoch können von Athleten lernen, wie man als Mensch sein muss, wenn man etwas meistern will.
- Ethos des Kindes nach Peterson. Jordan Peterson macht den genialen Schritt einen ersten Ethos zu formulieren. Kinder können diesen allerdings nicht selbst entwickeln. Es ist sehr wichtig, dass Kinder zumindest einen Ethos vermittelt bekommen. Das ist die Aufgabe der Eltern. Kinder brauchen mehr Orientierung als Freiheit. Es ist ein bizarres Missverhältnis, dass wir in der Moderne weitgehend akzeptiert haben, dass wir mit Freiheit und der Beliebigkeit, was wir mit unserem Leben anfangen sollen, überfordert sind, doch gleichzeitig unsere Kinder mit eben dieser Freiheit konfrontieren und Vernachlässigung für gute Erziehung halten. Es sind nicht diejenigen, die sich in ihrer Pubertät von den alten Werten ganz oder teilweise befreien wollen, welche die größten Probleme bekommen. Es sind diejenigen, denen die Klarheit und Sicherheit eines Ethos vorenthalten wurde. Moralische Vernachlässigung ist das Gegenstück zur Tyrannei (Helikopter-Eltern) und nicht weniger schädlich.
- Ethos von Druss, die Legende. Wer David Gemmel liest, mag übersehen, dass seine Bücher, besonderes der Drenai-Zyklus eine sensible Auseinandersetzung mit Themen wie Ehre, Loyalität, Erlösung und der Zerbrechlichkeit des Mannes sind.
- Es gibt noch mehr Kodizes: Die 10 Gebote, Jesus Aktualisierung zu einem Metagebot, den edlen achtfachen Pfad der Buddhisten, implizite Kodizes in der Sozialstruktur unterschiedlicher Säugetiere, Kodizes in Literatur, Mythen, Subkulturen und viele mehr. Um an ihr Innerstes heranzukommen muss man sich aller Methoden bedienen. Sei es Verhaltensbiologie, Neurotheologie, Spieltheorie (ich empfehle das verlinkte Spiel dringend, wenn man verstehen will, wie Vertrauen durch uns hervorgebracht wird: The Evolution of Trust) und mehr. Das sei erwähnt als Ausblick darauf, was euch mit dem letzten Band der Lebenswandelreihe erwartet.
Ethos des Athleten
Interpretierte Übersetzung von "Being an Athlete".1
- Es geht nicht darum, der Sieger zu sein. Es geht darum den Weg eines Athleten zu gehen. Es geht um die Schritte, die man gehen muss, um in der Welt der Athleten aufgenommen zu werden.
- Ein Athlet zu sein ist etwas Besonderes. Als Athlet ist man Teil einer besonderen Gemeinschaft, die nach Meisterschaft als Zweck an sich anstreben.
- Ein Athlet zu sein, dreht sich nicht um Talent. Es geht darum, das in einem selbst angelegte Potential zu entfalten.
- Ein Athlet zu sein, bedeutet nicht, seine Härte und Leidenschaft herauszuposaunen, sondern den Weg ruhig und entschlossen zu gehen. Es geht darum, sich auf die gestellte Aufgabe zu konzentrieren und dann methodisch zur nächsten überzugehen.
- Ein Athlet zu sein, ist nicht angenehm, weder körperlich, noch psychisch oder emotional. Ein Athlet zu sein, bedeutet beständig gegen die eigenen Grenzen zu gehen und diese zu erweitern.
- Ein Athlet zu sein, ist nichts, was man tut, sondern etwas, das man ist. Es ist keine Sache, die man zwei Stunden pro Tag macht, sondern die Hingabe jede Minute des Tages ein Athlet zu sein.
- Ein Athlet zu sein, heißt sich konkrete, messbare und realistische Ziele zu setzen. Ziele sind nichts als heiße Luft, ohne einen Plan sie zu erreichen. Der Athlet hat einen Plan und befolgt ihn.
- Ein Athlet zu sein, heißt den Willen zu haben Risiken einzugehen und die eigenen Fähigkeiten auszutesten und neue Methoden und Techniken auszuprobieren. Es heiß, trainierbar zu sein.
- Ein Athlet zu sein, heißt athletische Klugheit zu besitzen. Es heißt, sich und den eigenen Körper zu kennen. Es heißt, sich nicht mit anderen zu vergleichen. Es heißt, sich beständig im Glauben daran zu handeln, dass man selbst Schmied des eigenen athletischen Schicksals ist. Was immer auch sein kann, es hängt von dir selbst und nicht von deinem Trainer, deinen Eltern oder deinen Fans ab.
- Ein Athlet zu sein, ist nicht selbstverständlich. Es ist ein außergewöhnliches Privileg. Es ist die Gunst sich selbst zu testen und höher, schnellr und weiter zu reichen, um das Beste zu sein, was zu sein kannst. Sei dankbar.
Ethos eines Kindes
Aus 12 Rules for Life von Jordan Peterson.2
Diesen können wir zu einem Ethos umformulieren. Einen Ehrenkodex für Kinder.
- Beiß, tritt oder schlage nicht, außer in Selbstverteidigung.
- Quäl oder drangsaliere keine anderen Kinder, damit du später nichts ins Gefängnis kommst.
- Iss zivilisiert und dankbar, sodass deine Mitmenschen sich freuen, wenn du da bist und dich gerne mit Essen versorgen.
- Lerne zu teilen, damit andere Kinder mit dir spielen.
- Sei aufmerksam, wenn Erwachsene mit dir sprechen, damit sie dich nicht hassen und dir etwas beibringen wollen.
- Geh vernünftig und friedlich schlafen, damit deine Eltern Zeit für Zweisamkeit haben und es dir nicht übelnehmen, dass du da bist.
- Lerne für deine Sachen zu sorgen, damit du lernst, wie man das macht und weil du dich glücklich schätzen kannst, dass du sie hast.
- Sei eine gute Gesellschaft, wenn etwas Spaß macht, so dass du zu solchen Aktivitäten eingeladen wirst.
- Handle so, dass andere Menschen in deiner Nähe glücklich sind, damit sie dich in ihrer Nähe haben wollen.
Diese Regeln können wir abstrahieren zu:
- Keine Gewalt, außer zur Selbstverteidigung: 1,2
- Sei angenehmer Umgang zu deinen Eltern (und Erwachsenen) 3,5,6 und allgemein 5,8,9
- Führe ein ordentliches Leben 3,6,7
Diese Regeln können die Samen des späteren Ethos sein:
- Aus den selbstevidenten Regeln für Kinder können wir die Regeln eines Erwachsenen ableiten.
- Aus den Regeln des Kindes können wir ableiten, wie ein Erwachsener Mensch sein wird, der sich an solche Regeln hält.
Ethos von Druss
Im Buch "Druss - Die Legende" ist Druss ein junger Mann, dessen Dorf überfallen wird. Dabei wurden die Frauen verschleppt, während die Männer getötet wurden. Auch seine eigene Frau wurde verschleppt.
Während des Überfalls tötete er sechs Angreifer, was angesichts seiner mangelnden Kampferfahrung beeindruckend ist.
Im Laufe der Geschichte lernt er Shadak kennen, einen Kopfgeldjäger, der hinter den gleichen Räubern ist, die Drums nun verfolgt. Sie freunden sich an und Shadak ist von Druss natürlicher Begabung zum Kampf beeindruckt. Er merkt an, dass er viel von Bardan in sich habe. Bardan ist der Großvater von Druss, allerdings als schrecklicher Schlächter berüchtigt.
Druss weist die Ähnlichkeit hastig von sich, doch Shadak besteht auf dem Vergleich. Druss habe die Kraft, Koordination und den Verstand eines Kriegers. Diese würden von Vater zu Sohn vererbt.
Daraufhin erläuter er Druss den Unterschied zwischen einem Helden und einem Schurken: Es ist der Ehrenkodex. Dieser ist die Verantwortung, die ein wahrer Krieger als Bürde auf sich nehmen muss, will er kein Schurke sein. Es gebe zwar verschiedene Perspektiven, aber der Kern sei immer der gleiche.
Vergewaltige nie eine Frau. Tue nie einem Kind etwas zuleide. Du sollst nicht lügen, betrügen oder stehlen. Das kannst du geringeren Männern überlassen. Beschütze die Schwachen vor den starken Bösen. Und laß (sic!) dich nie von Gewinnstreben auf den Pfad des Bösen locken.3
Der Unterschied zwischen einem Helden und einem Schurken besteht rein im Ehrenkodex. Beides sind mächtige Menschen. Das Vorhandensein eines Ehrenkodex kommt einem Vorzeichen gleich. Macht wird durch den Kodex gut und durch das Fehlen eines Kodex böse.
Abschließende Worte
Eine einfache Reflexionsfrage: Wenn du dich selbst als einen Fremden beobachten würdest, ohne deine Gedanken und Absichten zu kennen, was ist diesem Menschen das Wichtigste? Was offenbaren seine Taten?