Wie man Flow und Deliberate Practice kombiniert

Flow und Deliberate Practice sind zwei der wichtigsten Begriffe des Trainierens und Übens. Sie beschreiben nämlich die mächtigsten Weisen des Trainings. Ericsson behauptet jedoch, dass Flow und Deliberate Practice einander ausschließen. Dem widerspreche ich. Hier lernst du, wie man Flow und Deliberate Practice miteinander in den Einklang bringt.

Flow

Flow bezeichnet einen mentalen Zustand, der dann eintritt, wenn wir uns Anforderungen aussetzen, die unseren Fähigkeiten entsprechen. Um so hohen Anforderungen gerecht zu werden, müssen wir uns voll und ganz auf sie konzentrieren. Weil alle unsere mentalen Kapazitäten gebunden sind, verschwinden zum Beispiel Grübeleien aus unserem Bewusstsein.

Wichtig dabei ist, dass wir uns voll und ganz dem Moment widmen. Wenn wir uns nicht auf das konzentrieren, was wir gerade tun, entsteht kein Flow. In den Flow zu geraten, ist keineswegs etwas, das sich garantiert einstellt, wenn wir uns in die richtige Situation begeben. Wir müssen den Willen und das Vermögen mitbringen, uns auf die uns gestellte Aufgabe zu konzentrieren. Aus diesem Grund ist es so wichtig, die eigene Konzentrationsfähigkeit zu trainieren und gegen die Moderne zu verteidigen. Dies ist einer der Gründe, weshalb ich so auf Kriegsfuß mit Smartphones oder sozialen Medien stehe: Beide sind gefährliche Risikofaktoren für die eigene Konzentrationsfähigkeit. Ich selbst besitze kein Smartphone, ich lese und verfolge nichts und niemanden auf sozialen Medien und halte auch die Präsenz von jedem, der dieses Problem kennt, für zumindest zweifelhaft.1

Doch Flow ist kein Selbstzweck. Wer nach Flowerlebnissen sucht, weil sie sich schön anfühlen, verkehrt als Hedonist Mittel und Zweck. Flow ist die Belohnung dafür, dass wir uns in eine bestimmte Beziehung zu den Anforderungen der Situation begeben.

Ein unkontroverses Beispiel eines problematischen Flows ist, wenn wir uns auf einer der sozialen Medien verlieren. Angetrieben durch eine kognitive Wunde lesen und klicken wir uns fremdbestimmt und getrieben durch unterschiedliche Anreize von Beitrag zu Beitrag oder schlimmer: Scrollen durch den Feed. Auch dabei werden wir von der Tätigkeit eingenommen, Grübeleien verschwinden und so weiter. Wenn wir jedoch wieder zu uns kommen, sind wir schlechter und nicht besser als vorher. Wir fühlen uns gewöhnlich auch schlechter, ob wir dies nun durch Verdrängung („Passiert schon mal. Ist nicht so schlimm.“) oder Selbstverachtung („Warum mache ich so eine blöde Scheiße?“) verarbeiten. Verdrängung und Verharmlosung sind übrigens Reaktionen, über die sich diejenigen freuen, die sich einen Teil deiner Seele durch ihre Erntemaschinen für Aufmerksamkeit einverleibt haben. Wer so denkt, ist eines der Schafe der Herde, Teil der dummen Masse. Wer einmal so denkt, ist es auch -- nur eben einmal. Doch woher wissen wir, dass es nur Ausnahmen sind, wenn wir uns dabei erwischen?

Doch was ist mit Tanzen? Wenn man nach den Gründen fragt, warum Menschen tanzen, ist ein Großteil der Antworten hedonistisch: Es geht um das gute Gefühl, darum, sich selbst zu verlieren, um Spaß und so weiter. Doch die schönsten Momente sind Flowmomente. Diese Momente zu erfahren, ist eine der wichtigsten Motivationen, von denen Tänzer berichten. Dabei gibt es keineswegs Unterschiede zwischen Menschen, die am Wochenende durch die Clubs ziehen, und beruflichen Tänzern. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden ist, dass erstere gewöhnlich direkt sagen, dass es um schöne Gefühle geht, während letztere gewöhnlich den snobistischen Anspruch haben, Kunst zu betreiben. Doch ob Prolet oder Boheme. In beiden Fällen wird der Flow um seiner selbst willen angestrebt.

Es sind beides Phänomene, die ich als den Konsum der eigenen Lebenszeit bezeichne. Das ist eines der wesentlichen Symptome des Hedonisten: Weil Genuss nur in der Gegenwart stattfinden kann, werden Vergangenheit und Zukunft auf ihre Eignung hin bewertet, Genuss in der Gegenwart zu erzeugen. Doch irgendwann ist man in der Zukunft angekommen. Hat man sich nicht um diese gekümmert oder diese für die Gegenwart geopfert, ist das, was man früher einmal war, das vergangene Ich, das einen selbst vernachlässigt oder gar beraubt hat. Die tatsächliche Gegenwart ist vor dem Hintergrund anderer Möglichkeiten schlechter, als sie sein müsste. Das Ergebnis sind psychische Instabilität, ein geringes Selbstwertgefühl, eine geringe Selbstliebe und eine allgemein schlechtere Stimmungslage.

Die Suche nach Flow und dem Moment, um des schönen Gefühls wegen, ist falsch.

Ich schreibe das, weil Flow allzu häufig glorifiziert wird. Der moderne Mensch ist in einem psychisch schlechten Zustand. Flow verspricht eine Methode, um sich endlich mal besser zu fühlen. Es ist nur verständlich, dass der Leidende sich mehr und mehr auf jedes Gegengewicht zum Leiden konzentriert. Es geht mir nicht darum, Menschen moralisch zu verurteilen. Ich habe im Gegenteil großes Verständnis dafür, wenn jemand die ganze Woche einer sinnentleerten Tätigkeit nachgeht und dafür das Wochenende zur Dauerparty erklärt. Genauso habe ich Mitleid mit Menschen, die versuchen, durch Tanzen sich eine Identität zu formen. Nur für die Arroganz der Boheme habe ich kein Mitleid.

Die Lösung ist, Flow als das schöne Nebenprodukt eines korrekten Lebensentwurfs zu sehen oder wenigstens auf korrekte Weise den momentanen Anforderungen des Lebens gerecht zu werden.

Wenn ich beispielsweise ein Haus für meine Familie baue und gerade die Mauern ziehe, ist Flow der Lohn dafür, dass ich mich voll und ganz auf diese ehrenvolle Aufgabe konzentriere. Wenn ich mit meiner Tochter spiele und sie zum millionsten Mal das gleiche Tierbuch durchblättern will, ist Flow der Lohn dafür, dass ich mich voll und ganz bemühe, die Tiergeräusche akkurat nachzuahmen. Wenn ich morgens joggen gehe, ist Flow der Lohn dafür, dass ich mich voll darauf konzentriere, die korrekte Geschwindigkeit einzuhalten. Wenn ich mich mit einem schwierigen Klienten unterhalte, ist Flow der Lohn dafür, dass ich mich voll und ganz auf seine Bedürfnisse und die mir gestellte Aufgabe konzentriere.

Bei all diesen Beispielen kann ich dadurch, dass ich mich voll und ganz auf meine Aufgabe konzentriere, einen guten mentalen Zustand erreichen. Ich konzentriere mich nicht auf die Aufgabe, um in den Flow zu geraten. Ich konzentriere mich, weil ich der Aufgabe gerecht werden kann. Wenn ich dies verstehe und mich daran halte, wird der Nebeneffekt von Flow sein, dass ich mich in einer besseren Zukunft wiederfinde. So hebe ich übrigens einen Teil des Problems auf, das uns in der Notwendigkeit, die Gegenwart für die Zukunft zu opfern, gestellt ist. Sich voll und ganz auf die Anforderungen der Situation einzulassen, gibt uns die Möglichkeit, das notwendige Opfer mit einer positiven Haltung anzunehmen.

Doch Ericsson wendet ein, dass Flow und Deliberate Practice einander ausschließen.

Deliberate Practice?

Um Deliberate Practice zu verstehen, gehen wir dem Gedankengang von Ericsson nach, wie er ihn in seinem Buch Peak dargelegt hat.2

Ericsson nennt „naives Üben“ als den fehlerhaften Standardmodus, um sich in einer Sache zu verbessern: Naives Üben meint, dass man nur die Sache selbst macht, um in ihr besser zu werden. Der naive Praktizierende geht davon aus, dass das bloße Ausführen einer Sache, schon zu Verbesserungen führt.3

Während das bloße Ausüben einer Sache zweifellos zu einer kleinen Verbesserung, vor allem am Anfang, führt, können wir darauf nicht verlassen. Im Falle von Ärzten ist sogar das Gegenteil der Fall: Je länger die Ärzte praktizieren, desto geringer ist ihre ärztliche Kompetenz.4

Das bloße Tun ist keine geeignete Strategie, um sich wirklich zu verbessern. Ericsson gibt als Gegenmodell, das zielgerichtete Üben:

Klare, spezifische Ziele. Jede Sitzung hat ein klares, definiertes Ziel. Dieses Ziel ist ein Meilenstein auf dem Weg eines langfristigen Ziels.5

Es gibt ein langfristiges Ziel. Das langfristige Ziel ist durch eine Reihe von Meilensteinen erreichbar.5 Du musst jederzeit wissen, was zu tun ist, damit Du besser wirst. Je spezifischer Deine Ziele sind, desto besser kannst Du daran arbeiten.

Beispiel (von Ericsson): Wenn Du ein Handicap beim Golf um fünf Schläge reduzieren willst, ist das ein gutes Ziel, gibt Dir aber noch keine Handlungsanweisungen. Ein besseres Ziel wäre es, mehr Bälle auf den Fairway (das Rasenstück zwischen Abschlag und Loch) zu bringen. Doch dann muss man noch genauer werden. Wie genau schafft man das? Vielleicht muss man den Hook (Linksdrift bei einem Rechtshänder) seiner Schläge reduzieren. Man fragt also einen Golflehrer, wie genau man das machen kann.5

Umwandlung unklarer Ziele in klare Zwischenziele. Wenn ein langfristiges, aber dadurch vages Ziel gefasst ist, wandelt man dies in eine Reihe von kleineren Teilzielen um, die sehr klar und messbar sind. Daraus ergibt sich ein Plan, der nachvollziehbare Schritte beinhaltet.6

Konzentration. Zielgerichtete Übung muss hoch konzentriert sein.7

Rückmeldung. Absichtsvolle Übung braucht Rückmeldung. Nur so weiß man, ob man etwas richtig oder falsch macht. Außerdem braucht man Rückmeldung darüber, was genau man falsch gemacht hat.8

Verlassen der Komfortzone. Für Ericsson die wichtigste Eigenschaft des zielgerichteten Übens. Wer sich nicht anstrengt, verbessert sich nicht.

Genauer heißt das: Versuche etwas zu tun, dass Du noch nie zuvor konntest. Manchmal ist es leicht, etwas Neues zu erreichen. Doch manchmal landest Du bei einem Plateau. Dann ist der Trick nicht einfach härter zu arbeiten, sondern die Methoden zu ändern, die geeignet dafür sind, dieses Plateau zu durchbrechen.9

Konzentration auf die Entwicklung mentaler Repräsentationen. Die Verbesserung der Fertigkeiten hängt zentral von der Entwicklung und Verbesserung der mentalen Repräsentationen ab.10 Beispiele für mentale Repräsentationen sind die Muster, die man auf dem Schachbrett sehen kann, oder das Muster der Körperposition, die man beim Handstand erfühlen kann.

Inkrementelle Entwicklung. Zielgerichtete Übung erfordert es, dass man auf bereits aufgebauten Fähigkeiten aufbaut.11]

  1. Man baut auf bereits erreichten Fertigkeiten auf. Diese sind nun die neuen Teilfertigkeiten für eine noch komplexere Fertigkeit.
  2. Man konzentriert sich auf eine Teilfertigkeit, eine bereits erworbene Fertigkeit.

Ein guter Trainer hat einen Überblick über die grundlegenden Fähigkeiten und vermittelt dieses systematisch, sodass man im fortgeschrittenen Trainingsalter nicht wieder die Fundamente neu erlernen muss.11

Ich will der Vollständigkeit halber erwähnen, dass Ericsson nochmal zwischen bloßem, zielgerichtetem und Deliberate Practice unterscheidet. Deliberate Practice zeichnet sich dadurch aus, dass es einen klaren Weg gibt, um sich zu verbessern. Man hat einen etablierten Weg, der durch einen Lehrer oder Trainer vermittelt wird.12 Wenn ich mich beispielsweise mit einem Kumpel treffe, um Bodenkampf zu trainieren, zählt dies nach Ericsson nicht als Deliberate Practice. Erst wenn man unter der Anleitung eines Trainers oder Lehrers angeleitet wird, zählt dies. Ich denke nicht, dass diese Unterscheidung sinnvoll ist. Wegbereiter erarbeiten neues Wissen über Fertigkeiten. Doch ich denke, dass es sinnvoller ist, auch dies als Deliberate Practice zu bezeichnen, wenn sie zielgerichtet im obigen Sinn üben. Auch wenn sich zwei Menschen zum Bodenkampf treffen und dabei zwar zielgerichtet, aber nicht unter Anleitung üben, würde ich das ebenfalls als Deliberate Practice bezeichnen. Ich vermute, dass Ericsson diese Unterscheidung wichtig ist, weil es ihm vor allem um wahre Pionierleistungen geht, weshalb er beispielsweise betont, dass auch die großen Wegbereiter wie Picasso oder Usain Bolt die bereits bekannten Grundlagen ihrer Domäne erlernt haben und nicht etwa auf bereits etabliertes Wissen verzichtet haben.13

Der scheinbare Widerspruch von Flow und Deliberate Practice

Der scheinbare Widerspruch springt einem deutlich ins Auge. Flow stellt sich ein, wenn unsere Fähigkeiten im Einklang mit den an uns geforderten Ansprüchen sind. Dabei empfinden wir angenehme Gefühle. Unser Selbst verschwindet, wir gehen in der Tätigkeit auf, fühlen uns eins mit dem Moment. Der deutsche Titel eines der Bücher von Csíkszentmihályi lautet sogar: Flow: Das Geheimnis des Glücks.

Bei Deliberate Practice geht es jedoch darum, über sich hinauszuwachsen. Das geschieht erst dann, wenn man die Komfortzone verlässt. Daraus folgt, dass man sich bei Deliberate Practice gerade nicht wohlfühlt. Ericsson schreibt selbst:

Selbstverständlich können Experten während ihrer Leistung manchmal sehr angenehme Zustände ("Flow", beschrieben von Mihaly Csikszentmihalyi, 1990) erleben. Diese Zustände sind jedoch unvereinbar mit Deliberate Practice, bei dem der Übende eine (in der Regel geplante) auf eine Weise trainiert, die darauf abzielt, durch volle Konzentration, Analyse nach Feedback und Wiederholungen mit Verfeinerung ein Niveau zu erreichen, das knapp über dem derzeit erreichbaren Leistungsniveau liegt.14

Zusammengefasst ist die Hypothese: Flow ist angenehm, Deliberate Practice ist es nicht.

Dieser Widerspruch basiert jedoch auf einigen Fehlannahmen:

Falsch: Flow führt zu keiner Erweiterung der Fähigkeiten. Es ist nicht nur Teil der Theorie der optimalen Erfahrung von Csíkszentmihályi, dass eine Flowerfahrung auch eine Wachstumserfahrung ist. Wenn man sich genau anguckt, wie Hochleister ihr Training gestalten, wird sehr deutlich, dass die gesamte Trainingsstruktur viel Raum für Flow lässt.

Richtig: Flow findet auf der Grenze zwischen Fähigkeiten und Anforderungen statt. Dort kann man nicht nur viel lernen. Dort kann man auch ein hohes Trainingsvolumen akkumulieren.

Ein Beispiel dafür ist das moderne Lauftraining, das aus 80 % aus lockerem Training besteht, dass von den Trainierenden sogar als Meditation wahrgenommen wird und nur aus 20 % hochintensivem Training besteht, in denen sich der Trainierende aggressiv zu Höchstleistungen bringen muss und Schmerz aushalten. Mehr Beispiele findest du in der praktischen Anwendung weiter unten. Wesentlich ist, dass wir Basisarbeit in sehr vielen Bereichen finden und diese Basisarbeit vielmehr Flow ähnelt als Deliberate Practice.

Falsch: Deliberate fühlt sich nicht gut an. Ericsson interpretiert die Beschreibungen der Hochleister, die er untersucht, oberflächlich korrekt. Jeder Hochleister erzählt eine Geschichte von Disziplin und Entbehrung, von den schmerzlichen Erfahrungen und einem selbstmitleidlosen Willen zum Schmerz. Doch wenn man den Athleten genau zuhört, stellt man gemischte Gefühle fest. Sie haben ihre Beziehung zum Schmerz geändert, werden teilweise süchtig nach der Anstrengung und sprechen vielfach die Sprache des Flows (zum Beispiel „Es ist, als würde ich von einem Hürdenlaufdämon besessen, der die Kontrolle übernimmt“).

Richtig: Deliberate Practice ist komplex und in seiner Komplexität ist nicht nur ein wenig Platz für Flow. Es ist viel Platz für Flow. Außerdem ist gerade eine der auszeichnenden Fähigkeiten von uns Menschen, die Beziehung zu Schmerz zu ändern.

Falsch: Deliberate Practice findet jenseits des eigenen Vermögens statt. Es ist unmöglich, etwas zu tun, was nicht innerhalb des eigenen Vermögens stattfindet. Ericsson hat dies nicht so wörtlich gemeint, aber es ist nichtsdestotrotz einer der zentralen Unterschiede, die Ericsson impliziert: Bei Deliberate Practice geht es darum, über seine Grenzen hinauszuwachsen. Bei Flow geht es darum, die eigenen Grenzen zu akzeptieren und innerhalb dieser zu handeln.

Nehmen wir intensives Trainieren von Speedruns als Beispiel. Speedrunning meint, dass man übt, ein Computerspiel in möglichst kurzer Zeit durchzuspielen. Dabei wechseln sich Phasen der Planung, mit Frustphasen und Phasen hoch konzentrierten Flows ab. Alle Phasen sind integrierter Bestandteil der Deliberate Practice rund um das Speedrunning.

Richtig: Deliberate Practice findet genauso wie Flow innerhalb des eigenen Vermögens statt. Flow bezeichnet lediglich einen psychischen Zustand, der sich einstellen kann, wenn man sich voll und ganz auf eine Aufgabe einlässt. Flow ist ein integraler Bestandteil von Deliberate Practice.

Die Auflösung des scheinbaren Widerspruchs: Die mentale Seite

Der letzte Punkt hat die Lösung schon angekündigt. Deliberate Practice ist eine umfassende Strategie dabei, sich Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erarbeiten. Flow ist ein Teil davon. Ich vermute, dass Ericsson die Darstellung von Flow als etwas durch und durch Angenehmes zum Anlass genommen hat, zu betonen, wie wichtig es ist, die Komfortzone zu verlassen.

Doch wenn man wirklich intensiv und mit Hingabe trainiert, lernt man mehr und mehr auch höhere Trainingsintensitäten wertzuschätzen und sie sogar zu genießen. Aber das Wort Genuss ist an dieser Stelle gefährlich. Die positiven Empfindungen während eines körperlichen Trainings oder auch dem Training eines Speedruns sollten nicht in die gleiche Kategorie einsortiert werden wie die positiven Empfindungen dabei, wenn man etwas Leckeres isst oder man die wohlige Wärme vor dem Kamin genießt. Einer der Unterschiede besteht eben in dieser inneren Widersprüchlichkeit: Einerseits ist intensives Training im weitesten Sinn schmerzhaft. Die Muskeln tun weh, wenn man sie an ihre Grenzen bringt, die Lunge brennt, wenn man Intervalltraining macht. Doch mit der Zeit gibt es ein Gegengewicht zu diesem Schmerz, es gibt etwas, das uns dorthin zieht, wohin es wehtut. Der Wert körperlichen Trainings für die Selbstentwicklung liegt im Verstehen und korrekten Verarbeiten dieses Widerspruchs. Dabei gibt es folgende Entwicklungsstufen:

  1. „Anstrengung und Schmerz sind an und für sich negativ.“
  2. „Anstrengung und Schmerz sind notwendig für nachfolgende Lust und positive Gefühle.“
  3. „Anstrengung und Schmerz spielen keine Rolle für meine Entscheidungen.“
  4. „Anstrengung und Schmerz sind an und für sich gut.“
  5. „Anstrengung und Schmerz sind genauso gut wie Lust und Genuss.“

Diese Erkenntnisse bleiben, ohne weitere Anleitung, auf den Bereich des Trainings beschränkt. Das ist der Grund, weshalb es so viele Menschen gibt, die sich vom Sog des Trainings als sinnstiftende Tätigkeit mitreißen lassen, während der Rest ihres Lebens von diesen Erkenntnissen unberührt bleibt. Bei einigen Menschen geschieht der Übertrag zufällig. Bei den meisten Menschen nicht. Das Gleiche gilt für jeden Bereich. Manche Menschen verfolgen ehrgeizig ihre Karriereziele und leben in einem fauligen Fleischhaufen von Körpern. Andere geben sich äußerste Mühe dabei, eine Persona (~wie andere sie sehen) aufzubauen, während sie ihre Seele genauso faulen lassen wie andere ihren Körper. Das Muster ist das Gleiche: Die obigen Lektionen bleiben beschränkt auf den Bereich, in dem sie erlernt werden.

Erst wenn man diese Lektionen in weiteren Lebensbereichen durchläuft, hat man sich eine ernstzunehmende Chance erarbeitet, Lebenslektionen zu erlernen, anstatt nur besser trainieren zu können.

Die allgemeine Lösung: Generalisierung des Flowmodells

Das Flowmodell bringt in seiner Grundform drei Aspekte der Realität zusammen, unsere Fähigkeiten, die Anforderungen durch die Situation und den daraus resultierenden mentalen Zustand:

Das erweiterte Flowmodell ist das Ergebnis meiner persönlichen Arbeit. Dabei habe ich im Laufe einiger Jahre damit experimentiert, möglichst viel Zeit in der sogenannten Panikzone zu verbringen. Die Panikzone ist ein Begriff aus einem recht einfachen Drei-Zonen-Modell:

Die Namen für die Zonen bezeichnen vereinfacht gesagt, was man aus ihnen schöpfen kann:

  1. Die Komfortzone liefert Komfort, aber kein Wachstum oder Lernen.
  2. Die Lernzone oder Wachstumszone ist nicht angenehm, liefert dafür Lernmöglichkeiten und Wachstum.
  3. Die Panikzone ist weder angenehm, noch liefert sie Lernmöglichkeiten oder Wachstum.

Der Umgang mit diesem Modell ist ein geradezu mustergültiges Beispiel für mangelhaftes Denken: In diesem Fall wird aus dem Modell geschlossen, dass die Panikzone nichts liefert, weshalb sie zu vermeiden ist. Das muss jedoch empirisch geprüft und belegt werden. Alleine angesichts dessen, dass innerhalb einer vernünftigen militärischen oder polizeilichen Ausbildung der korrekte Umgang mit Panik erlernt wird, sollte stutzig machen.

Eben war Teil meiner Selbsterforschung in den Jahren, in denen die Aufnahmen dieser Trainingskompilation entstanden sind:

Es gab keine wirkliche These meines Experiments, sondern eher eine Art offene Frage:

Was passiert, wenn sich täglich und mehrfach täglich weit über die Grenzen der gewöhnlichen Belastung bringt?

Dabei war ich natürlich auch an körperlichen Effekten interessiert. Schließlich wollte ich mein eigenes körperliches Potenzial ausloten, weshalb ich während dieser Phase intermittierendes Fasten, eine zyklisch-ketogene Ernährung und eben stundenlang pro Tag so trainiert habe wie oben zu sehen. Trainingspläne dazu habe ich veröffentlicht (z. B. hier und hier). Doch viel wichtiger waren mir die Effekte auf meine Psyche.

Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Es geschehen ganz erstaunliche Dinge mit der Psyche. Es gibt einen sehr prominenten Menschen, der sich diese Seelenarbeit zur Lebensaufgabe gemacht hat: David Goggins. Aus persönlicher Erfahrung kann ich ihn als zuverlässige Quelle von wahren Aussagen über die menschliche Seele und die Natur des Menschen bestätigen. Für diejenigen, die sich für die gesamte Weite meiner Arbeit interessieren: Ja, ich habe lange Jahre auch wie David Goggins gelebt, wenngleich ich mich auf intensive Belastungen konzentriert habe und nicht auf ultralanges Ausdauertraining. Und ja, es ist integraler Bestandteil der fortgeschrittenen Stufen der Selbstentwicklung, durch diese Phase zu gehen.

Das Ergebnis war eine Erweiterung des Flowmodells:

Das erweiterte Flowmodell

  1. Maladaptive Unordnung. Das Selbst kann die Unordnung nicht wiederherstellen. Es hat sich selbst als inkompetent erfahren und diese Erfahrung wird abgespeichert.
  2. Adaptive Nicht-Flow-Unordnung. Dieses Verhältnis aus Kompetenz, Ordnung und Unordnung ist insofern adaptiv, als das Selbst in der Lage ist, die Unordnung zu beseitigen. Es erlebt sich als kompetent und optimale Erfahrung ist möglich.
  3. Der Flowkanal. Das Verhältnis von Kompetenz entspricht etwa dem Maß an Ordnung/Unordnung, sodass das Selbst völlig von der Tätigkeit der Ordnungsherstellung absorbiert wird. Das Selbstbewusstsein verschwindet.
  4. Adaptive Nicht-Flow Ordnung. In diesem Verhältnis aus Kompetenz und Anforderung an das Selbst ist so gering, dass das Selbstbewusstsein möglich ist. Das Selbst kann seine Aufmerksamkeit von sich selbst abziehen und trotzdem auf die Aufgabe konzentrieren. Optimale Erfahrung ist möglich, weil das Selbst der Aufgabe gewachsen ist und lernt nicht zu überkompensieren. Die negativen Erfahrungen bei Meditation (Gedankenrasen) können wir als Fehlleistung durch Übersteuerung des Selbst begreifen.
  5. Maladaptive Ordnung. Das Selbst ist unterfordert und es gibt keinen Grund, die Aufmerksamkeit auf irgendwas zu richten. Maladaptive Reaktionen können Apathie und innere Leere (Verbleiben in zu hoher Ordnung) oder Überkompensation (Sprung in die maladaptive Unordnung) sein.

Die Fähigkeit zur Umwandlung von maladaptiver Unordnung in ‌ adaptive nicht-flow Unordnung erlernt man in dem, was im Drei-Zonen-Modell als Panikzone beschrieben wird. Diese Fähigkeit besteht aus unterschiedlichen Komponenten:

  1. Die Fähigkeit im Moment die schlechte Erfahrung in eine gute Erfahrung umzuwandeln. Ich hatte während der intensiven Phasen des Trainings beispielsweise oft Gedanken daran aufzugeben, das Training abzubrechen, den Sinn dieser Übungen grundsätzlich anzuzweifeln und so weiter. Man lernt den Umgang mit diesen Gedanken nur durch Konfrontation mit ihnen. Will man diese Fähigkeit ausbilden, muss man sich eben in Situationen begeben, in denen diese Selbstzweifel entstehen.
  2. Ein Sinn stiftender Glauben. Warum eigentlich? Die Frage nach dem Sinn steckt in jedem Moment unseres Lebens und wir beantworten sie genauso häufig. Doch erst, wenn wir diesen Sinn auf die Probe stellen, wir testen, ob unsere Meinung auch gegen Widerstände Bestand hat, ist unsere Meinung erst glaubhaft. Und erst, wenn wir unseren Glauben auf die Probe stellen, können wir uns vergewissern, ob wir ihn wirklich haben.

Mein Anspruch ist, dass mein Modell universell gültig ist. Daher muss es auch für die Trainingsplanung funktionieren. Sehen wir uns also die praktischen Konsequenzen für einige Trainingsformen an.

Anwendung auf Krafttraining: Westside Barbell – Flow und Deliberate Practice im Krafttraining

Westside Barbell (WSB) ist eine Schöpfung von Louie Simmons. Das Basistemplate des Trainings sieht vier Trainingstage vor:

  1. Zwei Trainingstage für Max-Effort. Das heißt, dass wir an einem Tag unser jeweiliges maximal mögliches Gewicht für den Oberkörper und am anderen Tag für den Unterkörper testen.
  2. Zwei Trainingstage für den Dyn-Effort. Weil das Training von WSB für Powerlifting ausgelegt ist, wird für den Oberkörper Bankdrücken verwendet und für den Unterkörper die Kniebeuge. Dabei verwendet man ein Gewicht, dass man explosiv bewegen kann und macht viele Sätze mit wenig Wiederholungen und kurzen Pausen.
  3. Nach dem Max-Effort oder Dyn-Effort folgen Übungen für den Muskelaufbau.

Dieses Trainingssystem vereinbart beide Formen der Übung:

  1. Max-Effort folgt dem klassischen Muster von Deliberate Practice: Man wärmt sich auf und steigert die Belastung, bis an den Punkt des Versagens oder dem persönlichen Rekord angelangt ist. Der Fokus liegt auf dem Überschreiten der persönlichen Kapazität.
  2. Dyn-Effort folgt dem Muster einer auf den Flow angelegten Übungssitzung: Nach einem Aufwärmen begibt man sich in die Zone und geht ganz in der Tätigkeit auf. Die Belastung wird exakt so gewählt, dass man sich in der Flowzone bewegen kann.

Die allgemeine Struktur des WSB-Systems ist ein System von Deliberate Practice. Es werden zum Beispiel die Einsichten aus dem Formversagen des Max-Efforts verwendet, um die Übungen auszuwählen, die in der Muskelaufbauphase verwendet werden. Rückmeldung ist in das System eingebaut. Gleichzeitig wird Platz für Flow geschaffen. Das wiederum hat den Vorteil, dass man emotionale Energie sparen oder gar tanken kann, die Toleranz gegenüber der Trainingsbelastung erhöht wird und so weiter.

Ich will an dieser Stelle keine umfassende Analyse des WSB-Trainingssystems geben. Mir geht es hier nur darum aufzuzeigen, dass die Kombination von Flow und Deliberate Practice nicht nur möglich ist, sondern vielmehr Teil erfolgreicher Trainingssysteme ist.

Anwendung auf Arbeitskapazität: EMOM in Crossfit

EMOM bedeutet „Every Minute on the Minute“. Meine deutsche Übersetzung dafür sind Startintervalle. Das heißt beispielsweise, dass man mit jeder vollen Minute einen Satz anfängt und den Rest der laufenden Minute pausiert.

Wenn wir EMOM nicht wörtlich nehmen, also auch Startintervalle denken, die nur 45s von Übungsanfang zu Übungsanfang vorsehen, erhalten wir ein extrem flexibles und mächtiges Trainingswerkzeug:

  1. Wir können die Übungen und Startintervalle so einstellen, dass wir genau in den Flow kommen und uns die ganze Zeit im Flow aufhalten.
  2. Wir können die Übungen und Startintervalle so einstellen, dass wir Flow als eine Art Durchgangspassage wählen. Wir befinden uns anfangs in der Flowintensität und überschreiten sie dann. Das Formversagen können wir dann als Rückmeldung benutzen, um unser sonstiges Training anzupassen.
  3. Wir können die Übungen und Startintervalle so einstellen, dass wir möglichst viel Zeit in adaptiver Unordnung verbringen. Das könnte beispielsweise heißen, dass wir eine so starke Ermüdung erzeugen, dass wir laufend Gefahr laufen, dass unsere Übungsform einbricht, während wir dagegen ankämpfen.

Wir können aber auch die klassischen Crossfittrainings (AFAP/AMRAP) als Test benutzen. Das wären dann unsere Max-Efforts, während wir die EMOMs als das Äquivalent von Dyn-Efforts nutzen.

Flow und Deliberate Practice im Streben nach Meisterschaft

Ich bin über die Aussage von Ericsson erstaunt. Übungsformen, die Flowerfahrungen erzeugen, sind integraler Bestandteil eines jeden Trainings. Musiker, Sportler, Künstler -- gleichgültig der Domäne, es gibt ein gemeinsames Muster. Selbst die Beschreibung des totalen Fokus, den Ericsson am Anfang seines Buchs Peak beschreibt, im Rahmen der Deliberate Practice beschreibt, ist voll mit der Sprache des Flows.

Jedenfalls sind Flow und Deliberate Practice zwei Konzepte, die in der Form des Strebens nach Meisterschaft präsent sein sollten.

Eine einfache Weise, beides in das eigene Training einzubauen, ist die Unterscheidung zwischen Test und Aufbau. Wir testen uns, um Informationen über den aktuellen Stand der Dinge zu erhalten. Dann wählen wir die korrekten Trainingsformen in Relation zu unserer Erkenntnis.

Nehmen wir Krafttraining als Beispiel: Unser 1RM im Bankdrücken ist 100 kg.

Dann sollte der Großteil unseres Trainings im Bereich 70–80 kg stattfinden. Mit dieser Intensität erreichen wir gute Kraftsteigerungen bei einem geringen Verletzungsrisiko. Außerdem können wir in diesem Bereich ein hohes Volumen akkumulieren. In diesem Wiederholungsbereich lohnt es sich, mit vielen Sätzen und wenigen Wiederholungen zu, aber auch mit relativ kurzen Pausen zu arbeiten. Das ist der Grund, weshalb ich gerne mit Supersätzen arbeite. Ich würde beispielsweise 6x3 Bankdrücken mit 6x3 Kniebeugen mit einem entsprechenden Gewicht abwechseln. Die Pausen zwischen den Sätzen wären vielleicht 1 Minute. Das erlaubt mir nicht nur eine hohe Trainingsdichte zu erreichen. Wenn ich die Pausenzeiten richtig wähle, bleibe ich dauerhaft im Trainingsmodus. Ich habe beispielsweise nicht diesen seltsamen Wechsel von Entspannung und mentalem Spannungsaufbau, wenn ich beispielsweise 5 Minuten Pause mache, wie es häufig beim Krafttraining empfohlen wird. Ich begebe mich schon während der Aufwärmsätze in einen leichten Flowzustand. Das macht das Training eher zu einer meditativen Erfahrung: Ruhig, konzentriert, die Aufmerksamkeit nach Innen auf die Körperwahrnehmung und die Bewegungsausführung gerichtet.

Gelegentlich gehen wir in den Bereich um die 90 kg. Bei dieser Intensität müssen wir uns darauf konzentrieren, dass wir die korrekte Form aufrechterhalten. Es schleichen sich kleine Fehler bei der Übungsausführung ein, die schnell zu großen Fehlern werden, wenn man nicht aufpasst. Diese Intensität entspricht dem adaptiven Chaos. Die Intensität ist zu hoch, dass wir in der Tätigkeit aufgehen. Nach jedem Satz müssen wir darüber nachdenken, was wir beim nächsten Satz besser oder zumindest weniger falsch machen. Trotz des hohen Fokus stellt sich Flow nicht auf die angenehme Weise ein, wie beim vorher beschriebenen Training. Es ist mental sehr viel anstrengender, gibt uns aber laufend neue Informationen, während des Trainings und auch danach. Wenn wir beispielsweise feststellen, dass wir beim Bankdrücken Schwierigkeiten haben die Hantel von der Brust zu bewegen, aber nach einigen Zentimetern merklich mehr Power haben, wissen wir, dass wir wahrscheinlich an unseren Brustmuskeln und Schultern arbeiten müssen (wenn es nicht gerade ein Problem in der Technik ist).

Der Intensitätsbereich zwischen 70 und 80 % dient dem Aufbau, der Intensitätsbereich über 90 % dient dem Testen.

Das Gleiche gilt übrigens auch für das Erlernen von Wissensarbeit. Nehmen wir die Zettelkastenmethode als Beispiel.

Zur kurzen Erklärung der Zettelkastenmethode: Die Zettelkastenmethode ist eine von mir und Christian Tietze entwickelte Methode der Wissensarbeit. Sie basiert auf dem Zettelkasten von Luhmann. Das Ziel ist, eine integrierte Denkumgebung zu schaffen, die man nutzen kann, um die Verarbeitung von Wissen zu erleichtern. Es geht also um mehr als die bloße Verwaltung von Wissen.

Wenn man innerhalb seines Zettelkastens denkt, tut man dies „auf dem Papier“. Beim digitalen Zettelkasten dann natürlich auf dem Bildschirm. Dabei sind zwei Arbeitsmodi präsent:

  1. Divergentes Denken. Dabei arbeitet man ergebnisoffen und lässt sich von seiner Intuition leiten. Das heißt: Hier erstellt man Zettel und kümmert sich nicht um die Form.
  2. Konvergentes Denken. Dabei arbeitet man auf ein bestimmtes Ergebnis zu, das bestimmte Kriterien zu erfüllen hat. Das heißt: Man nimmt die geschriebenen Zettel genau unter die Lupe und wendet Denktechniken und Werkzeuge der Wissensverarbeitung an.

Divergentes Denken im Zettelkasten ist nicht nur vereinbar mit dem Flowzustand, es ist sogar ein erwünschter Zustand. Eine Eigenschaft des Flows ist, dass man nicht nur mehr Einfälle hat, sondern diese oft auch für einen selbst überraschend sind. Im Bestfall hat man das Gefühl, dass das Schreiben von selbst geschieht.

Konvergentes Denken im Zettelkasten bedeutet, dass man sich das vornimmt, was man geschrieben hat, und arbeitet nicht mehr ergebnisoffen. Man landet immer wieder in Sackgassen und konfrontiert sich mit harten Denknüssen. Flow stellt sich nicht so richtig an.

Ein konkretes Beispiel ist die Arbeit mit Aphorismen.

Gestern hat einer meiner Klienten beispielsweise mir einen Zettel präsentiert, indem er über einen Aphorismus von Hans Urs von Balthasar geschrieben hat. Dabei sind viele großartige Ideen entstanden. Am Zettel konnte ich erkennen, wie er den Zettel geschrieben hat: Er hat sich inspiriert gefühlt und sich von dieser Inspiration mitreißen lassen, während er festgehalten hat, was ihm die Muse gegeben hat. Ein hervorragendes Beispiel für divergentes Denken im Zettelkasten. Hervorragend sowohl, weil es ein genau passendes Beispiel war, sondern auch weil das Ergebnis hervorragend war.

Der nächste Schritt, sich mit diesem Aphorismus auseinanderzusetzen, ist, die formalen Werkzeuge der Wissensverarbeitung anzuwenden.

Der Aphorismus lautete:

Meaning (Bedeutung) is always more than Interpretation (Deutung).15

Er hat viele Ideen entwickelt, was in diesem Aphorismus steckt und stecken kann. Ein formaler Schritt wäre, sich mit dem Wörtchen „always“ („immer“) auseinanderzusetzen. Bei dem Wort klingeln die Alarmglocken eines analytischen Philosophen, weil dies die stärkste Aussage ist, die man treffen kann, weshalb sie am einfachsten angreifbar ist. (Allaussagen)

Daher ist einer der besten Verarbeitungsschritte, die Natur dieser Allaussage zu prüfen. Mein Vorschlag war es beispielsweise, den obigen Zusammenhang an einem Modell zu prüfen. Das heißt, dass man ein Modell16 erstellt und dann daran zeigt, dass es einen qualitativen Unterschied zwischen Deutung und Bedeutung gibt. Dieser qualitative Unterschied entsteht dadurch, dass man Deutung(en) etwas hinzufügen muss, damit man zur Bedeutung gelangt. Dadurch könnte man die obige Aussage argumentativ stützen. Dadurch erhöht man die Verlässlichkeit der Aussage und schöpft dadurch wissensbezogenen Wert.

Alleine an der Erläuterung können wir sehen, dass wir es mit zwei unterschiedlichen Arbeitsweisen zu tun haben. Der Unterschied beinhaltet, dass der erste Schritt vom Flowzustand profitiert, der zweite Zustand entspricht eher Deliberate Practice.

Will man die Fähigkeit zur Verarbeitung von Wissen meistern, ist man gut damit beraten, dass beides in der Arbeit präsent ist. Das plant man auf eine ähnliche Weise, wie das Training: Man plant die Wochen gründlich und vernünftig, lässt Raum für Abweichungen, verwaltet Ermüdung und so weiter.

Flow und Practice gehören zusammen.

Praktische Implikationen

  • Flow und Deliberate Practice gehören zusammen.
  • Im Flow bauen wir Volumen in einer moderaten Intensität auf und gewinnen die Meisterschaft über diese Intensität.
  • Durch Deliberate Practice erhalten wir wichtige Informationen, um unser Training zu gestalten.

Dieser Artikel ist Teil des Manuskripts der Lebenswandelreihe. Dies ist die fünfbändige Serie über den guten Lebenswandel plus Ergänzungsbände. Lebenswandel: Reflexion und Analyse ist die bereits erschienene Einführung.

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  1. Das heißt nicht, dass ich das verurteile. Aber schlussendlich ist jeder Inhalt, den man auf einer dieser ekelhaften Plattformen veröffentlicht, eine Unterstützung dieser Plattformen. Warum bezeichne ich diese Plattformen als ekelhaft? Sie werden absichtsvoll so gestaltet, um kognitiven Verwundbarkeiten auszunutzen. Auf ihnen findet der größte Teil des öffentlichen Diskurses statt. Diesen manipulieren und steuern sie in Zusammenarbeit mit Regierungen. Das sind alles belegte Fakten

  2. Anders Ericsson and Robert Pool (2017): Peak: Secrets From the New Science of Expertise, Boston: Mariner Books/Houghton Mifflin Harcourt. 

  3. Ericsson/Pool, S. 11-13. 

  4. Niteesh K Choudhry, Robert H Fletcher, and Stephen B Soumerai (2005): Systematic review: the relationship between clinical experience and quality of health care, Ann Intern Med 4, 2005, Vol. 142, S. 260-73. 

  5. Ericsson/Pool, 15.  

  6. Ericsson/Pool, S. 99. 

  7. Ericsson/Pool, S. 15/16, 99 

  8. Ericsson/Pool, S. 16/17, 99. 

  9. Ericsson/Pool, S. 19. 

  10. Ericsson/Pool, S. 99/100. 

  11. Ericsson/Pool, S. 100. 

  12. Ericsson/Pool, S. 98. 

  13. Ericsson/Pool, S. 202ff. 

  14. K. Anders Ericsson and Paul Ward (2007): Capturing the Naturally Occurring Superior Performance of Experts in the Laboratory: Toward a Science of Expert and Exceptional Performance, Current Directions in Psychological Science 6, 2007, Vol. 16, S. 346-350. 

  15. Das ist das exakte Zitat, mit dem wir gearbeitet haben. Also eine Mischung aus der Übersetzung in den wesentlichen deutschen Wörtern. 

  16. Ein Modell ist eine Abbildung, in welcher einige Teile der Realität in einen speziellen Zusammenhang gebracht werden. Ob die Abbildung tatsächlich mit der Realität übereinstimmt, gehört nicht zum Modell, sondern gehört in die Theorie. Reine Modelle würden sich beispielsweise nur mit Zusammenhängen an sich befassen. Mathematik würde man so als eine reine Modellwissenschaft verstehen.