Kontrolliere Volumen und Intensität – Der Rest ist Fußnote

Es gibt nur zwei wichtige Faktoren beim Training: Trainingsintensität und Trainingsvolumen. Alles andere ist nur Fußnote dazu.

Eine der Kernfragen der Trainingslehre ist, wie wir einen guten Trainingsreiz setzen. Darauf gibt es eine Menge unterschiedlicher Antworten: viele Sätze mit wenig Wiederholungen, optimale Wiederholungsbereiche für unterschiedliche Ziele, unterschiedlichen Pausenzeiten und so weiter.

Ich bin jedoch der Ansicht, dass diese Fragen erst nachgelagert sind. Es gibt nur zwei wesentliche Faktoren des Trainingsreizes als Treiber des Trainingsfortschritts:

Volumen. Das Volumen ist die gesamte Arbeit, die während des Trainings verrichtet wird. Beim Krafttraining ist es, vereinfacht gesagt, die Gesamtwiederholungen über alle Sätze mal die verwendete Last.

Beispiel: Ich mache drei Sätze Bankdrücken mit 100 kg. Ich mache im ersten Satz 11 Wiederholungen, im zweiten 9 und im dritten 5. Ich habe 25 Gesamtwiederholungen gemacht. Mein Trainingsvolumen im Bankdrücken beträgt 25 mal 100 kg, also 2500 kg.

Intensität. Die Intensität ist die Auslastung des jeweiligen Systems, auf das der Trainingsreiz wirkt. Bei Kraft ist es der Anteil der Maximalkraft. Bei Ausdauer ist es der Anteil an der maximalen Energiebereitstellung.

Beispiel: Ich mache einen Satz Bankdrücken mit 10 Wiederholungen á 100 kg bis zum Muskelversagen und mein 1RM beim Bankdrücken ist 120 kg, entspricht das einer Intensität von 83 % 1RM. Die Intensität beim Krafttraining wird als Anteil an der Maximalkraft gemessen. Die subjektive Intensität betrifft nicht die Kraft, sondern allenfalls die “mentale” Intensität.

Die zwei Faktoren im Krafttraining

Ausschlaggebend für meine Überlegungen ist der Artikel Greater Gains In Strength And Power With Intra-Set Rest Intervals In Hypertrophic Training. Dabei haben die Forscher Krafttraining bei vier Sätzen mit zehn Wiederholungen mit acht Sätzen und fünf Wiederholungen verglichen. Gesamtpause und Intensität blieben gleich. Dabei erzielten die Trainierenden mit mehr Sätzen und weniger Wiederholungen pro Satz höhere Kraft- und Schnellkraft Zuwächse. Das Muskelwachstum war ähnlich.

Standardtraining Clustersätze
Hauptübungen 4x10, 120s Pause 8x5, 60s Pause
Nebenübungen 3x10, 90s Pause 3x10, 90s Pause

Unter dem Begriff "Clustersätze" tröpfelt allmählich mehr und mehr Forschung zu ähnlichen Satz-Wiederholungs-Schemata herein.

Was Clustersätze sind, ist schwierig zu definieren. Das liegt daran, dass der Begriff "Clustersatz" ein Relativbegriff ist. In der oben verlinkten Studie (Oliver et al. 2013) gilt als Clustersatztraining 8 Sätze á 5 Wiederholungen, das traditionelle Training dagegen als 4 Sätze á 10 Wiederholungen. Man könnte jedoch behaupten, dass 2 Sätze á 10 Wiederholungen ein Clustersatztraining ist, wenn man die Atemkniebeuge (1x20) (Supersquats auf Englisch) als Bezug wählt.

Jedenfalls ist das Prinzip, viele Sätze mit weniger Wiederholungen zu machen, schon lange bekannt und vielfach erfolgreich angewendet.

  • Gewichtheber trainieren nicht nur aufgrund der besonderen Anforderungen der Gewichtheberübungen mit eher vielen Sätzen und weniger Wiederholungen pro Satz. Ein solches Training hat sich vielmehr empirisch durch abertausende Studien an praktizierenden Gewichthebern als wirksam herausgestellt. (Die sowjetische Literatur zum Krafttraining ist bis heute nicht durch die westliche Forschung eingeholt, wenn es um die empirische Grundlage geht) Für eine genauere Beschäftigung empfehle ich das folgende Buch: Zatsiorsky - Krafttraining. Praxis und Wissenschaft
  • Boris Sheikos Pläne sind wahrscheinlich direkte Anwendungen des sowjetischen Trainings auf den Kraftdreikampf. Nichtsdestotrotz sind sie eine erfolgreiche Anwendung des Prinzips vieler Sätze mit wenigen Wiederholungen. Sheiko hat eine eigene Homepage
  • Das Trainingssystem norwegischer Kraftdreikämpfer ist eine direkte Anwendung des sowjetischen Gewichthebersystems auf Powerlifting. Meno Henselmanns hat einen Artikel über das norwegische Powerlifting.
  • Das Westside Barbell System nutzt das Prinzip vieler Sätze mit wenigen Wiederholungen am Dynamic Effort Day. Siehe diese Übersicht über das Template zu Einführung.
  • Cluster HST ist ein auf Muskelaufbau ausgerichtetes System, das ich im leider geschlossenen, dafür aber umso mystischeren, Forum "Myogenics" in allerlei Trainingstagebüchern erleben konnte. Leider ist die wichtigste Quelle für Cluster HST, Mygenics, nicht mehr verfügbar. Hier aber eine kurze Einführung in HST mit einer Anmerkung für Cluster HST.
  • Barry Ross trainiert seine Sprinter mit eher vielen kurzen Sprints und hat relativ wenig lange Sprints (im Vergleich zur Wettkampfdistanz). Barry Ross hat seinen Ansatz im Buch Underground Secrets To Faster Running beschrieben.
  • Chaos and Pain, ein besonderes „System“ (eigentlich eher eine Philosophie, auf deren Basis man sein eigenes System aufbauen muss), benutzt eben dies Prinzip. Jamie Lewis hat ein Template geschrieben.

Maximalkraft und Muskelaufbau

Versuchen wir das Nervensystem so zu trainieren, dass es die vorhandene Muskulatur besser ansteuert, um in einer gegebenen Bewegungsaufgabe (und verwandten Bewegungsaufgaben) bessere Leistungen abzugeben. Das nennen wir Koordination, intra- und intermuskulär. Dazu müssen wir nur relativ nahe am Rande unserer Kapazität arbeiten: Entweder bewegen wir ein hohes Gewicht oder wir bewegen uns explosiv.

Das einzige Ziel beim Training des Nervensystems ist, möglichst viele Gesamtwiederholungen mit möglichst hoher Intensität und Geschwindigkeit absolvieren zu können.

  • Verwenden wir zu viele Wiederholungen pro Satz, ermüden wir recht schnell und sind bald nicht in der Lage, eine hohe Last mit einer hohen Geschwindigkeit zu bewegen.
  • Verwenden wir eine zu hohe Intensität, können wir nicht so viele Gesamtwiederholungen absolvieren.
  • Verwenden wir zu wenig Wiederholungen pro Satz und ist dabei die Pause zwischen den Sätzen zu lang, können wir innerhalb des gegebenen Zeitfensters weniger gute Wiederholungen absolvieren. Haben wir beispielsweise nur eine Stunde Zeit für unser Training, sind Pausenzeiten von 10 bis 15 Minuten nicht zielführend, weil wir nur eine Handvoll Sätze schaffen würden. Doch selbst wenn wir kein Zeitlimit haben, haben wir ein Konzentrationslimit. Für die meisten Menschen ist es kaum möglich, länger als 1-2h die mentale Intensität aufrechtzuerhalten, die nötig ist, um die Übungen in guter Qualität zu absolvieren.
  • Verwenden wir zu viele Gesamtwiederholungen, nimmt die Trainingseffizienz ab. Das Verhältnis von Ermüdung und Trainingsreiz verschlechtert sich. Dadurch wäre das Trainingsvolumen pro Woche verringert.

Versuchen wir Muskelaufbau zu betreiben, ist unser Ziel, das Volumen über einen möglichst langen Zeitraum zu steigern. Es gibt ein direktes Verhältnis von (Kraft-)Trainingsvolumen und dem Muskelaufbau. Mehr Volumen sind besser. Die Frage ist erstens, wie viele Sätze man pro Trainingstag und -woche schafft, und zweitens, ob man sich von diesen erholen kann. Das erste hängt von der Arbeitskapazität ab, das zweite von weiteren Faktoren wie Schlaf, Ernährung etc. ab.

Ignoriere Wiederholungsbereiche

Jedes Krafttraining zielt daraufhin ab, die Intensität und das absolvierte Gesamtvolumen zu optimieren. Wenn Du einen Trainingsplan beurteilst, sollten diese zwei Faktoren das erste sein, was Du Dir ansiehst. Es gilt:

  1. Dein Nervensystem wird beim Krafttraining vor allem durch explosive Wiederholungen ab 30–40 % des 1RMs und Wiederholungen über 75–80 % trainiert. Der Trainingsplan sollte die Gesamtwiederholungen dabei pro Trainingseinheit, Trainingswoche und den Trainingszyklus maximieren.
  2. Deine Muskeln wachsen mit dem Trainingsvolumen. Wenn Du Muskeln aufbauen willst, sollte die pro Muskel umgesetzte Gesamtarbeit beim Krafttraining steigen. Pro Woche und pro Trainingseinheit.

Von diesem Standpunkt aus können wir unterschiedlichste Trainingsmaßnahmen besser einordnen:

Westside Barbell benutzt den Schlitten als Trainingsgerät. Das Schlittentraining erlaubt ein Training ohne exzentrische Phase und damit ein hohes Trainingsvolumen. Die exzentrische Phase ist hauptverantwortlich für Mikrotraumata. Dadurch kann das Trainingsvolumen massiv angehoben werden. Das ist besonders für das Training der allgemeinen Arbeitskapazität geeignet.

Supersätze und Zirkeltrainings sind besonders wirksam, wenn man in kurzer Zeit ein allgemeines Fitnesstraining absolvieren will. Es ist die Zeit pro Trainingseinheit und -woche, die bei den meisten Menschen der Flaschenhals sind. Ein gutes Training für den Nichtleistungssportler zeichnet sich gewöhnlich durch eine hohe Trainingseffizienz aus. Für die meisten Menschen gilt: Zuerst wird die vorhandene Zeit bedacht und dann, wie man sie möglichst effizient nutzt.

Mat Fraser's Trainingsansatz basiert darauf, den Trainingsreiz mit möglichst wenig sonstiger Belastung zu setzen. Das ermöglicht ihm, mit mehr Volumen bei einer höheren Intensität zu trainieren.

Autoregulation mit der vereinfachten Prilepin-Tabelle

Das absolute Ziel der Einteilung des Trainings in Sätze, Wiederholungen und Pausenzeiten ist, die optimale Anzahl von Wiederholungen (Volumen) mit der gewählten Last zu schaffen.

Ich habe aus didaktischen Gründen das Trainingsprinzip „Nur zwei Faktoren" am Beispiel des Krafttrainings eingeführt. Bleiben wir also dabei.

Nehmen wir als Ausgangspunkt die Prilepintabelle. Sie gibt uns einige Angaben zum optimalen (Kraft-)Trainingsreiz:

Intensität Wdh./Satz Optimale Gesamtwiederholungen* Volumengrenzen*
70%1RM 3–6 18 12–20
80%1RM 2–4 15 10–20
90%1RM 1–2 7–10 4–10

*Mit optimalen Gesamtwiederholungen sind Durchschnittswerte gemeint, von denen der einzelne abweichen kann. Die Volumengrenzen sind die Extreme, innerhalb derer man die Gesamtwiederholungen planen sollte.

Aus: Laputin/Oleshko 1982 - Managing the Training of Weightlifters

Für gewöhnlich verwendet man die Tabelle so, dass man für das Krafttraining in die Tabelle guckt und dann für die jeweilige Übung Sätze und Wiederholungen plant, welche die Rahmenbedingungen der Tabelle erfüllen.

So könnte beispielsweise ein minimales Krafttraining aussehen:

Montag Dienstag Donnerstag Freitag
Schulterdrücken 5x2x80% 5x4x70%
Klimmzüge, Hammer 5x2x80% 5x4x70%
Pistols, Box 5x2x80% 5x3x70%
Dips, Ringe 5x2x80% 5x4x70%
Klimmzüge, Ober 5x2x80% 5x4x70%
Heben, Bulgarisch. 5x2x80% 5x4x70%

Dabei kann man die drei Übungen des Tages im Zirkel trainieren. So kann man die Trainingszeit verkürzen, weil man einen Teil der Pause sparen kann: Während der Pause, um den einen Muskel zu erholen, belastet man einen anderen.

Man könnte aber auch folgendermaßen trainieren:1

Montag Dienstag Donnerstag Freitag
Schulterdrücken 15x1x80% 20x1x70%
Klimmzüge, Hammer 15x1x80% 20x1x70%
Pistols, Box 15x1x80% 20x1x70%
Dips, Ringe 8x2x80% 5x4x70%
Klimmzüge, Ober 8x2x80% 5x4x70%
Heben, Bulgarisch 8x2x80% 5x4x70%

Dabei würde ich montags und dienstags die Pausen nach jedem Satz verkürzen. Montags und donnerstags hätte ich mehr erste Wiederholungen. Das ist für Übungen relevant wie Schulterdrücken und Klimmzüge, bei denen man mit der positiven Phase der Bewegung anfängt. Das heißt, dass ich für die erste Wiederholung nicht die Vordehnung nutzen kann. Die von mir geforderte Anstrengung ist durch die Einzelwiederholungen größer und ich trainiere spezifischer im Sinne eines 1RMs. Ich kann ein Teil der von mir geforderten Anstrengung psychisch ausgleichen, indem ich die Pausenzeiten so wähle, dass ich den Eindruck habe, einen kontinuierlichen Wechsel von Belastung und Pause habe. Schaffe ich es, einen Flowzustand zu erreichen, sinkt die von mir geforderte psychische Belastung deutlich.

Ausgehend von der These, dass Sätze dazu dienen, die Zahl der Gesamtwiederholungen zu optimieren, können wir die Tabelle so modifizieren. Das ist die vereinfachte Tabelle:

Intensität Gesamtwiederholungen Volumengrenzen
70%1RM 18 12–20
80%1RM 15 10–20
90%1RM 7–10 4–10

Je fortgeschrittener Du bist, desto wichtiger wird es, Autoregulation zu erlernen. Das heißt, dass Du während der Trainingseinheit entscheidest, ob und wie Du von Deinem Trainingsplan abweichst. Trainingspläne können bereits Möglichkeiten zur Autoregulation mitberücksichtigen. In dem Fall könnte man die Prilepintabelle noch weiter vereinfachen:

Intensität Volumengrenzen
70%1RM 12–20
80%1RM 10–20
90%1RM 4–10

Diese Mini-Tabelle liefert nur noch die grundlegendsten Rahmenbedingungen von Intensität und Volumen. Ein Oberkörpertraining könnte wie folgt aussehen:

Pos. Übung Reiz Bis
A1 Schulterdrücken 2-3x80% Formversagen oder 20 Wdh.
A2 Klimmzüge, Hammer 2-3x80% Formversagen oder 20 Wdh.
B1 Dips, Ringe max. Wdh. 1 Satz
B2 Klimmzüge, Obergriff max. Wdh. 1 Satz
C1 Außenrotatoren 3x10
C2 Torture Twist 3x10

Mein eigenes Krafttraining entspricht genau diesem Prinzip: Ich trainiere zwei Übungen im Wechsel. Eine mit 2 Wiederholungen bei ca. 80%1RM und die andere mit 3 Wiederholungen bei ca. 70%1RM. Die führe ich im Wechsel aus. Bricht meine Form ein, ist das Training für mich sofort beendet. Ich strebe ca. 7 Sätze an. Mehr Sätze mache ich nicht.

Beispiel:

Pos. Übung Reiz Bis
A1 Schulterdrücken 2x80% Formversagen oder 7 Sätze
A2 Klimmzüge, Hammer 3x70% Formversagen oder 7 Sätze

Abschließende Worte

Alle diese Überlegungen dienen einem einzigen Zweck: der Optimierung der Gesamtwiederholungen bei der gegebenen Intensität. Dabei sind folgende Fragen entscheidend:

  • Kann ich die gleiche Anzahl der Gesamtwiederholungen mit weniger Ermüdung absolvieren?
  • Kann ich die Anzahl der Gesamtwiederholungen bei gleicher Ermüdung erhöhen?
  • Kann ich die Wiederholungsdichte erhöhen? (Wiederholungen/Zeit = Trainingseffizienz!)
  • Wie viele Gesamtwiederholungen erlaubt mir meine Arbeitskapazität und Regenerationsfähigkeit?

Betrachte jedes Trainingsmodul in Deinem Training und frage Dich, was der eigentliche Trainingsreiz sein soll. Spiele mit den Satz- und Wiederholungszahlen sowie den Pausenzeiten. Kannst Du bessere Antworten auf die obigen Fragen finden, die Du bisher gestellt hast?


  1. Wir weichen hier ein wenig von den Empfehlungen der Wiederholungen pro Satz ab.