Neigung und Fähigkeit in Persönlichkeits- und Temperamentarbeit
Eine schwierige Unterscheidung bei der Analyse von und der Arbeit mit der Persönlichkeit und dem Temperament liegt zwischen der Neigung und der Fähigkeit.
Nur weil man eine bestimmte Neigung hat, heißt es nicht, dass man nicht die entsprechenden Kompetenzen ausbilden kann. Als introvertierter Mensch bevorzugt man es vielleicht, wenn man zuhört, anstatt zu reden, hat lieber einen ruhigen Abend als eine Party und so weiter. Doch das heißt nicht, dass man keine sozialen Fähigkeiten und Fertigkeiten ausbilden kann. Auf Menschen zuzugehen und ein Gespräch anzufangen hat eine sehr große technische Komponente, die aus kulturellen Gepflogenheiten und etwas Küchenpsychologie besteht. Das kann man ohne weiteres lernen.
Es gibt eine Korrelation zwischen den selbstoffenbarten Neigungen und den Fähigkeiten. Doch diese ist leicht erklärbar dadurch, dass eine Person mit beispielsweise einer sozialen Neigung häufiger ihre sozialen Fertigkeiten trainiert.
Die Temperament- und Persönlichkeitsarbeit zielt stark auf den Bereich der Fähigkeit und die Komfortzone ab. Soweit die Neigung nicht durch einen Mangel an Fähigkeiten oder prinzipieller Unsicherheit bedingt ist, wird sich durch diese Arbeit nichts an der Neigung verändern. Das ist nicht nur in Ordnung, sondern auch gut so! Wir brauchen unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichem Temperament. Sonst wird es nicht nur langweilig, sondern wir können nicht mehr von unseren einzigartigen Stärken und Schwächen profitieren. Man stelle sich vor, alle Menschen wären äußerst extrovertiert. Jeder würde sich gegenseitig ins Wort fallen, niemand wäre vorsichtig und die Buchhaltung wollte auch niemand machen.
Ergänzender Kommentar I
Wer beginnen will, mit seinem Temperament zu arbeiten, kann mit folgenden Schritten beginnen:
- Mache einen Test für das eigene Temperament (Big Five). Beispielsweise den Test von Jordan Peterson
- Weise den jeweiligen Ergebnissen in Fertigkeiten und Neigungen zu.
- Arbeite an deinen Schwächen (siehe nachfolgendes Beispiel)
Beispiel: Meine Testergebnisse für Extraversion sind wie folgt:
- Extraversion: Sehr hoch (95stes Perzentil)
- Enthusiasmus: Moderat hoch (70stes Perzentil)
- Selbstbehauptung: Außergewöhnlich hoch (98stes Perzentil)
Nach diesen Testergebnissen bin ich ein hochsozialer Mensch, was sich aber mit meiner selbstempfundenen Neigung beißt. Aus einem anderen Test (Myers-Briggs) weiß ich, dass ich positiv bei den Fertigkeiten ("Kannst du auf Leute zugehen?" oder "Kannst du eine Unterhaltung anfangen?") antworten kann, während ich bei den Neigungen ("Liest du lieber ein Buch oder gehst du lieber auf eine Party?") deutlich negativ antworte. Darüber hinaus bin ich, wie der Big Five Test nach Jordan Peterson nahelegt, hochenergetisiert in sozialen Situationen und durch meine äußerst geringe Verträglichkeit (erstes Perzentil) relativ dominant in sozialen Interaktionen. Das habe ich zum Anlass für Folgendes genommen:
- Ich übe mich regelmäßig darin zuzuhören, ohne etwas zu sagen. Ich erinnere mich laufend daran.
- In Kombination mit meiner hohen Arbeitsamkeit ...8stes Perzentil) tendiere ich dazu, fast nur zu arbeiten und mein Sozialleben zu vernachlässigen ...eringe soziale Neigung......Daher unterdrücke ich regelmäßig meinen Drang zu arbeiten, um mein Sozialleben zu pflegen...Das heißt, dass ich versuche, mich ...elten...) auch mal an einem Nachmittag zu verabreden, anstatt die Tastatur zu quälen.
- Ich widerstehe sehr häufig meiner Neigung, zu widersprechen oder übersachlich zu sein, sondern versuche eher das Soziale im Sozialen in den Fokus zu nehmen.
Während meine Stärken aus meinen Fertigkeiten wachsen (Durchsetzungsfähigkeit und soziale Dominanz), habe ich schlechte Neigungen (Selbstisolation, unnötige Konfliktbereitschaft, Übersachlichkeit). Für mich heißt Temperamentarbeit hier, dass ich meine Neigungen zügle. Oder: Ich versuche weniger ich selbst zu sein.1 Für andere Menschen könnte es sein, dass ihre vielversprechenden Themen der Selbstentwicklungen bei ihren Fertigkeiten liegen. Introvertierte Menschen, die sehr wenig Übung im sozialen Miteinander haben, können dagegen mehr davon profitieren, dass sie sich in Smalltalk, Initiative und Redeanteil bemühen.2
Ergänzender Kommentar II
Das ist ein Ausschnitt aus dem fünften und letzten Band des Lebenswandelprojekts: "Lebenswandel: Selbstentwicklung". Temperamentarbeit ist eine der Methoden der Selbstentwicklung. Weitere Methoden wären mentale Arbeit (wie Arbeit an der Flowfähigkeit, Meditation und Reflexion), Schmerzarbeit (wie etwa Willenstraining) oder auch Tugendarbeit. Grundlage für Selbstentwicklung auf hohem Niveau ist das gesunde Leben. Kurz: Ohne gesunde Mitochondrien, eine funktionierende Tagesstruktur, eine individuengerechte Ernährung sollte man sich anspruchsvolle Methoden der Selbstentwicklung abschminken. Es wäre, als würde man sich an freien Handstandliegestütz versuchen, ohne überhaupt einen stabilen Handstand oder normale Liegestütz zu beherrschen.
Das ist keine moralische Aussage oder Wertaussage. Jeder muss selbst entscheiden, bis zu welchem Grad er das Potential entfaltet, das in ihm oder ihr angelegt ist. Die Konsequenzen der Entscheidungen trägt man immer selbst. Vgl. dazu das Prinzip der Bedingungslosen Verantwortung.
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Das ist ja heutzutage Sünde, sich so zu äußern. "Sei du einfach du selbst!" ist nichts weiter als Narzissmus. Was ist, wenn man scheiße ist? Dann sollte man definitiv nicht "einfach man selbst sein", sondern genau überlegen, was an einem gut ist und was schlecht. ↩
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Achtung! Hier geht es um die Fertigkeit. Das ist keine Ausrede dafür, endlich mal gehört zu werden. Das ist Arbeit daran, ein besserer Mensch zu werden; und kein Egotrip! ↩