Dunkle Liebe und Selbstsucht

Warum können sich so viele Menschen nicht ändern, selbst wenn sie beteuern, dass sie es wollen? Das liegt daran, dass sie in einem seltsamen Niemandsland wohnen.

Mein Hund Lëini oder: Nicht wollen, was man braucht

Das ist mein Hund. Ihr Name ist Lëini:1

Sie wohnt im gleichen Niemandsland, in dem so viele Menschen leben. Daher ist sie die perfekte Illustration dafür, wie ein schlechter Charakter unglücklich macht.

Der Fall Leo: Leo ist ein schwarzer Schäferhund. Er ist groß, kräftig und im Spiel kompromisslos. Ich habe schon ein paar Mal an der Hand geblutet, weil Leos Arbeitsspeicher zu 100 % mit dem Arbeitsauftrag gefüllt ist und für Vorsicht kein Platz mehr ist.

Lëini wiegt etwas weniger als die Hälfte von ihm. Man müsste meinen, dass sie ihm mit einer gewissen Vorsicht begegnet. Pustekuchen. Gleich von Anfang an beschloss Lëini Leo anzugreifen. Zu ihrem Glück ist Leo ein ziemlich lieber Hund. Ich habe ihre Attacken unterbunden und gewöhnlich probieren es Hunde dann ein paar Mal, bis sie die Regeln verstehen und akzeptieren. 45 Minuten lang hat Lëini mit allen Mitteln versucht an mir vorbeizukommen, um Leo zu attackieren. Ach, übrigens: Ihre Attacken sind nicht offen und ehrlich. Sie hat beispielsweise abgewartet, bis Leo abgelenkt war, hat sich von hinten angeschlichen und ihm dann in die Eier gebissen. 45 Minuten habe ich jeden ihrer Angriffe, teilweise äußerst grob, abgebrochen. Leo hat mitgeholfen. Solange Lëini keinen körperlichen Kontakt aufnehmen konnte, hat er sie ignoriert. Ansonsten hat er sie lautstark abgeschnappt.

Nach 45 Minuten habe ich beschlossen, dass sie es eben auf die harte Tour lernen muss. Ich habe alle meine eigenen Korrekturen eingestellt. Nach 2 Minuten hatte Leo genug und hat sie sich gepackt. Dabei hatte er förmlich ihren ganzen Kopf im Maul. Sie hatte eine kleine Verletzung am Kopf und einen großen Schrecken. Sie ist ein paar Meter zur Seite gelaufen, hat sich hingelegt und geweint. Das war das erste Mal, dass sie eine Korrektur von einem anderen Hund akzeptiert hat.

Zwei Tage später war alles wieder vergessen und sie hat wieder von vorne angefangen.

Ihre Hinterhältigkeit ging sogar so weit, dass sie, nachdem die Halterin und ich nach einem Gespräch in unterschiedliche Richtungen gegangen sind, plötzlich und ohne körpersprachliche Vorwarnung umgedreht ist und Leo in die Hinterbeine geschnappt hat, um dann schnell die Flucht zu ergreifen.

Immerhin war das Problem nach einigen Monaten gelöst und die beiden konnten koexistieren, wenngleich Lëini immer noch extrem aufdreht und immer noch versucht, alles zu klauen, was Leo an Spielzeug hat.

Dabei war Lëini schon um Lichtjahre besser, als ich sie bekommen habe. Wenn sie über eine Distanz von ca. 200 m einen anderen Hund gesehen hat, ist sie bereits ausgerastet. Sie hat mich angesprungen, ist so in die Leine gerannt, dass sie rückwärts auf den Rücken geschlagen ist, ist wieder auf mich zugerannt und hat versucht mich umzuschubsen und hat sich auch nach 20 Minuten nicht beruhigt.

Was ist wohl die nötige Intensität gegenüber diesem Hund in der Erziehung? Was muss man tun, damit dieser Hund wenigstens für den Moment von seinem zerstörerischen und asozialen Verhalten absieht und innehält?

Nun gibt es einen modernen Trend, der neben der Hundeerziehung auch die Kindererziehung betrifft, alle Methoden zu vermeiden oder gar zu verurteilen, die eine unmittelbare, negative Konsequenz beinhalten. Kurz: Strafen sind etwas Böses.

Das Problem, Artgenossen gegenüber aggressiv oder auch nur überdreht zu sein, soll dabei so gelöst werden: Man geht auf eine Distanz zu einem anderen Hund, die unterhalb der Reizschwelle des Hundes liegt. Das heißt, dass der eigene Hund den anderen Hund zwar sieht, aber noch nicht in ein höheres Erregungsniveau geht. Man stopft den Hund mit Futter voll („Man belohnt den Hund mit einem Leckerli.“), um ihn für das ruhige Verhalten zu belohnen. Dann arbeitet man sich allmählich vor und verkürzt die Distanz.

Meine Distanz wäre 200 Meter gewesen und der bloße Anblick hat meinen Hund schon in ein problematisches Erregungsniveau gebracht.

Natürlich gibt es Gründe dafür, dass Lëini ist, wie sie ist. Sie hat -- zumindest laut offizieller Vorgeschichte -- ihr erstes Lebensjahr im rumänischen Tierheim verbracht. Dabei ist sie nicht nur ein Hund, der diesen Mangel an Bewegung und Bindung an einen Menschen nur schlecht verträgt. Sie ist gleichzeitig ein misstrauischer und draufgängerischer Hund. Sie ordnet alles nicht nur erstmal als Bedrohung ein, sie konfrontiert die Bedrohung als erste Reaktion, anstatt sie zu meiden. Ein solcher Hund braucht besonders viel neutralen Kontakt zu allem, was ihm im Leben begegnet. Hätte ich sie vom Welpen an gehabt, wäre sie beinahe mein Traumhund geworden. Doch ihre Herkunft macht sie zu einem Alptraumhund -- für 99 % der Menschen. Mein Nachbar hat mir beispielsweise gesagt, dass er bei unserer ersten Begegnung dachte, dass man diesem Hund nur noch mit Einschläfern helfen kann. Andere Hundebekannte haben mir gesagt, dass sie mit Sicherheit nach wenigen Wochen aufgegeben hätten.

Was ist nötig, damit ein solcher Hund mit zerstörerischem und böswilligem Verhalten aufhört?

Wenn Du aufgepasst hast, scheint die Antwort auf der Hand zu liegen: Eine faire, aber sehr strenge Erziehung, eine starke Führung und kein Zögern dabei, Verhaltensweisen auch körperlich abzubrechen.

Doch die Antwort ist leider noch viel schlimmer: Man muss eine beinahe schizophrene Persönlichkeitsspaltung ausprägen. Strenge und eine für mich tyrannische Unterdrückung ist nur eine Hälfte der Erziehung. Sie braucht viel Zuwendung und Nähe. Das geht sogar so weit, dass sie förmlich von mir aus ihrer Erregung herausgetröstet werden will, nachdem sie gefressen hat. Ich vermute, dass sie so verinnerlicht hat, um ihr Essen zu kämpfen, dass die Mahlzeit selbst in ihr gemischte Gefühle erzeugt. Aber das ist nur Spekulation. Um sie zu erziehen, muss ich in der Lage sein, von einem Augenblick auf den anderen meinen Ärger zu unterdrücken und ihr ehrlich gemeinte Zuwendung zu geben. Ein Hund ist nämlich situativ. Für einen Hund zählt der Moment fast alles. Wenn sie also eine halbe Stunde lang zerstörerisches Verhalten gezeigt hat und dazu noch einen Hund (am liebsten sind ihr kleine süße Hunde zum Mobben) grundlos und aus heiterem Himmel angegriffen hat, muss ich meine tief sitzende Abneigung gegen Mobbing (aus biografischen Gründen) und Hinterhältigkeit ablegen. Denn wenn sie auf einen Baumstamm springt und begeistert versucht, meinen Blick einzufangen, muss ich diese Aufforderung zur Interaktion würdigen. Und ich muss es ehrlich meinen, denn ansonsten fehlt mir die Geduld zum ausgelassenen Spiel und die Fairness etwaiges Fehlverhalten in der korrekten Intensität abzubrechen und so weiter.

Für mich ist es eine besondere Herausforderung, weil unsere Beziehung selbst ein Resultat von Hinterhältigkeit und Lüge ist. Der Vertreter des Tierschutzes, der sie zunächst als Pflegestelle hatte, hat mir jede ihrer problematischen Verhaltensweisen verschwiegen, auf direkte Fragen gelogen und sogar positive Neigungen und Eigenschaften herbeigeschwindelt. Ein eigener Hund ist ein Kindheitstraum. Seit dem Kindergartenalter wollte ich Verhaltensforscher werden. Tiere faszinierten mich über alles. Übrig ist davon der Traum vom eigenen Hund geblieben. Dabei war mir eines jedoch klar: Ich hatte weder Wissen und Erfahrung noch Wunsch und Wille für einen von den außergewöhnlich schwierigen Hunden aus dem Tierschutz. Das habe ich genauso mitgeteilt. Der sogenannte Tierschützer hat nicht nur bösartig in meinen Kindheitstraum geschissen. Er hat einen größeren Scheißhaufen in mein Leben geschissen als jeder andere Mensch, den ich je kennengelernt habe. Die Hinterhältigkeit des Tierschutzvertreters gedanklich von meiner Beziehung zu meinem Hund zu trennen, war und ist eine anstrengende Herausforderung für mich.

Zum großen Glück meines Hundes und zu meinem eigenen Unglück kann ich nicht nur schlecht aufgeben. Obwohl ich zweimal beschlossen hatte, mich nach anderen Haltern umzuschauen, konnte ich mich nicht überwinden, sie an Menschen abzugeben, die ich für schlechtere Halter hielt als mich. Es gab lediglich ein Pärchen, das ich für geeignete Kandidaten hielt, was daran lag, dass die Halterin selbst schon einmal einen dieser Katastrophenhunde besaß und erfolgreich erzogen hat.

So sieht die Erziehungsproblematik von Lëini visualisiert aus:

Lëini fordert von mir viel. Ihr charakterlicher Mangel kann nur durch meine charakterlichen Bemühungen wie Strenge, Fairness, Vergebung und so weiter ausgeglichen werden. Man könnte sagen, dass Lëini nicht kritikfähig ist. Sie nimmt die negativen Rückmeldungen aus ihrer Umwelt nicht an und mehr noch. Sie reagiert auf diese Rückmeldungen mit Abneigung und zieht nur widerstrebend Verbindung aus ihrem eigenen Verhalten und dieser Rückmeldung. Sie war bereit, andere Hunde auch zu ihrem eigenen Vergnügen anzugreifen (ja, es gibt Hunde, die Freude daraus ziehen, andere Hunde fertigzumachen), aber reagiert sehr empfindlich, ob in Form von Rache oder beleidigtem Rückzug, auf Kleinigkeiten ihres sozialen Umfelds.

Lëini will nicht, was sie braucht. Wir erinnern uns an ihr Verhalten gegenüber Leo, dem Schäferhund. Erst, wenn es richtig knallt, ändert sie ihr Verhalten. Aber gleichzeitig ist sie verletzt, empört und bedrückt. Sie braucht, was ich ihr nicht geben will: Zuneigung, nachdem sie jeden Impuls für Zuneigung erstickt hat.

Aber sie ist nun einmal mein Hund und damit lebe ich.

Über Menschen, die sind wie mein Hund

Menschen sind wie mein Hund. Sie verkraften das nicht, was nötig ist, damit sie sich zum Besseren entwickeln. Sie glauben, Zuneigung und ein liebevolles Verständnis zu brauchen. Doch erst, wenn es knallt, sind sie bereit, ihr Verhalten zu ändern. Und so wie mein Hund sind sie verletzt, empört und bedrückt.

Ihre Verletzung, ihre Empörung und ihre Niedergeschlagenheit sind nichts, was man ihnen abnimmt, wenn man sie als vollwertige Menschen behandelt. Vollwertigen Menschen nimmt man ihre Verantwortung nicht. Das würde sie nur noch weiter in die charakterliche Schwäche drängen, unter der sie leiden und unter der sie ihre Mitmenschen leiden lassen.

Wenngleich diese Schwäche bei einigen Menschen stärker ausgeprägt ist als bei anderen, haben wir diese Schwäche jedoch alle. Wir alle leiden unter dem Charaktermangel, dasjenige übelzunehmen, was wir brauchen, um uns zu ändern. Wir alle sind Menschen, die baden wollen, ohne nass zu werden. Ein typischer Instinkt von uns Menschen, der auf dem gleichen Charaktermangel basiert, ist bei einem solchen Text an jeden Menschen zu denken, nur nicht an sich selbst. Das geht mir nicht anders. Immer wieder habe ich mich beim Schreiben erwischt, dass ich diesen Text als Vorwurf an einen Menschen gemeint habe. Doch das ist selbst wieder ein Ausdruck von Charakterschwäche, der gleichen Charakterschwäche, die diesem Problem zugrunde liegt: Selbstsucht.

Selbstsucht ist mehr, als Du glaubst

Bei Selbstsucht denken wir gewöhnlich an die Charaktereigenschaft, stets zum eigenen Vorteil zu handeln. Die negative Wertung entsteht dadurch, dass der Selbstsüchtige dabei bereit ist, moralische Regeln zu verletzen. Das heißt: Wenn ich mich für die Serie Dr. House anstatt Game of Thrones entscheide, weil ich diese lieber mag, handle ich zwar zu meinem eigenen Vorteil, aber als selbstsüchtig würden wir das wohl kaum bezeichnen. Wenn ich dies aber tue, ohne die Wünsche meiner Partnerin zu berücksichtigen, ist dies selbstsüchtiges Verhalten. Tue ich das immer, habe ich einen selbstsüchtigen Charakter. Der Selbstsüchtige stellt seine eigenen Wünsche grundsätzlich über die Wünsche seiner Mitmenschen.

Doch wir selbst sind nicht einfach nur wir selbst. Sonst könnten wir die Aussage „Ich bin nicht ich selbst, wenn ich hungrig bin.“ nicht verstehen. Hinter dieser Aussage steckt, dass es ein wahres Selbst gibt, das in den Hintergrund tritt und nicht mehr das Verhalten bestimmt, wenn man Hunger hat. Es ist, als wäre man jemand anderes, der man selbst nicht ist, wenn man hungrig ist. In diesem eher profanen Beispiel steckt, dass wir uns nach einem höheren, einem edleren Selbst sehnen. Es gibt ein menschliches Sehnen nach einem Ideal. Wenn wir erleben, dass das fehlt, sind wir irritiert. Wenn ein Drogenabhängiger sich damit zufriedengibt, von der Sozialhilfe lebend seine Drogen zu konsumieren und sonst nichts zu tun, ist das schlecht, weil er sich nach etwas Höherem sehnen sollte. Es ist nicht richtig, dass der Junkie in seinem Junkiedasein zufrieden oder gar glücklich ist.

Diesen Gedankengang können wir so zusammenfassen, dass wir wissen, dass es nicht nur unser gegenwärtiges Ich gibt, sondern auch eine Reihe von zukünftigen Ichs. Einige sind edler und besser, als wir es gegenwärtig sind. Andere haben einen schlechteren Charakter. Als Menschen entwickeln wir uns eben in eine positive oder negative Richtung.

Die Beispiele des selbstsüchtigen Serienguckers, des Hungercholerikers und des Junkies folgen dem gleichen Muster: Das gegenwärtige Ich ist nicht bereit, sich von sich selbst zu lösen. Es hält an sich fest, auch wenn es anderen schadet. Es unterwirft sich den momentanen Impulsen wie Hunger und glaubt von sich, dass es tatsächlich besser ist. Es hält an sich fest, obwohl es Platz machen könnte für ein höheres Selbst.

Das ist, was Selbstsucht im Kern ist: Der Unwille des gegenwärtigen Selbst zu gehen, um Platz für das zukünftige Selbst zu machen.

Darum muss es immer knallen

Diese Selbstsucht hindert uns, bessere Menschen zu werden.

1. Konstruktive Kritik wird unwirksam. Viele Menschen wünschen sich „konstruktive“ Rückmeldung. Dabei überschätzen sie ihre eigene Eignung als Empfänger von „konstruktiver“ Kritik. Dabei setze ich die Anführungsstriche bewusst. Ob eine Kritik „konstruktiv" ist, bemisst der Selbstsüchtige daran, ob sie aufgeweicht und angenehmer gemacht worden ist.

Das ist ein weithin bekanntes Problem, für das sich unterschiedlichste Techniken herausgebildet haben. Eine der peinlichsten Methoden ist die Sandwichmethode. Dabei wird die Kritik mit einem Lob eingeleitet und einem Lob abgeschlossen (Die Kritik wird wie der Belag zwischen zwei Brotscheiben eingeschlossen).

Diese Methode macht die Kritik nicht konstruktiver, so wie Zucker Hustensaft nicht wirksamer macht. Hustensaft ist für Kinder und Zurückgebliebene süß. Sie ist eine Verwaltungsmethode für die Selbstsucht des Empfängers. Die Sandwichmethode ist eine klassische Manipulationstechnik, bei welchem man den schwachen Charakter des Gegenübers benutzt, um leichter zu kriegen, was man selbst will. Langfristig verlieren beide Menschen. Der Kritiker trainiert sich zum Manipulator, der Kritisierte verbleibt in seiner Charakterschwäche.

Wann immer Menschen Kritik als konstruktiv loben oder sich konstruktive Kritik wünschen, wollen sie gewöhnlich schlicht und ergreifend nicht so direkt mit ihren Schwächen konfrontiert werden. Schlimmer noch: Allzu häufig steckt in der Kritik an der Kritik eine Forderung, das Gegenüber solle die eigene Charakterschwäche annehmen und akzeptieren. Selbstsüchtig verlangt man, dass der Gegenüber die Kosten für den eigenen Mangel trägt.

2. Selbstsucht verleitet zum Betrug an sich und anderen. Der Selbstsüchtige sucht nach allen Mitteln, um Anforderungen gerecht zu werden, ohne sich selbst zu verändern. Dabei sind ihm auch Mittel wie Betrug recht. Dazu gehört beispielsweise auch der Selbstbetrug.

Nehmen wir den typischen Wunsch nach mehr Gesundheit und Fitness zum Beispiel. Dieser Wunsch ist allzu häufig eigentlich ein Wunsch nach mehr Wohlbefinden. Dabei gibt es zwei Denkweisen, wie man diesen Wunsch realisiert:

  1. Gesundheit und Fitness als methodische Aufgabe. Die Grundannahme ist, dass man mit Methoden, Techniken und Taktiken das Problem lösen kann. Die Veränderung der Routinen und Tagesstruktur wird als ein technisches Problem verstanden, das man nur mit der geeigneten Methode lösen kann. Dabei steht effizienter Umgang mit psychischen Ressourcen an erster Stelle: Programme, die nicht nur schnell und leicht umzusetzen sind, sondern auch Spaß versprechen, werden bevorzugt. (Daher liest man in englischen Werbetexten über all „fun“ und „exciting“)2
  2. Gesundheit und Fitness als Selbstentwicklungsaufgabe. Die Grundannahme ist, dass man so ist, wie man ist, weil man bestimmte Überzeugungen und Gewohnheiten auslebt. Diese gilt es zu verändern. Man stellt sich beispielsweise vor, was ein Mensch glauben und tun würde, der so ist, wie man sein will (gesund und fit). Dann beginnt man an sich zu arbeiten, bis man der Mensch ist, der so ist, wie man sein will.

Diejenigen, die den ersten Ansatz verfolgen, versuchen geradezu, die Verwendung des zweiten Werkzeugkoffers zu vermeiden. Die korrekte Technik macht die Selbstveränderung überflüssig.

Denjenigen jedoch, die den zweiten Ansatz verfolgen, stehen beide Werkzeugkoffer gleichermaßen zur Verfügung. Das erfordert einige schmerzhafte Eingeständnisse. Man muss sich eingestehen, dass man nicht nur einige falsche Handlungen vorgenommen hat. Man selbst ist der Fehler im Leben, den es zu korrigieren gilt. Es ist das genaue Gegenteil des modernen Mantras „Akzeptiere dich so, wie du bist!“ Man akzeptiert sich eben nicht so, wie man ist.

3. Die Selbstentwicklung ist von Krisen abhängig. Der aus Selbstsucht geborene Veränderungswiderstand macht den Menschen von Krisen abhängig. Solange nämlich nichts wirklich Schlimmes geschieht, sehen wir keinen Grund, uns zu verändern.

Solange der Selbstsüchtige kurzfristig kleine Krisen verwalten kann, ignoriert er nämlich die ihnen innewohnende Warnung. Das Leben ist in den meisten Fällen nämlich nicht so, dass Krisen ohne Ankündigung geschehen.

Kehren wir zur Verdeutlichung zur Gesundheit zurück:

Nahezu jeder Mensch weiß, ob er nach bestem Wissen und Gewissen isst oder ob er sich in Wirklichkeit nicht gesund ernährt. Die moderne Fettleibigkeitsepidemie ist kein Problem von Menschen, die falsche Auffassungen davon haben, wie man sich ernähren sollte. Vielmehr ist sie ein Problem von Menschen, die ihr Wissen von einer gesunden Ernährung nicht umsetzen. Jeder weiß, dass Gemüse und Obst prinzipiell gesund sind. Trotzdem stopfen die Leute Pizza, vegane Ersatzprodukte und Paleokuchen in sich rein.

Die falsche Ernährung führt nicht automatisch zu einem Problem. Einige Menschen können zumindest in ihren 20ern und frühen 30ern noch einiges an schlechter Ernährung kompensieren. Auch das Gewicht steigt nicht sprunghaft an. Vielmehr schleicht sich der Fettbauch heimlich in das Leben von uns.

Bis hierhin kann der Selbstsüchtige auf vielerlei Maßnahmen zurückgreifen:

  1. Wir verschweigen es einander. Kaum jemand hat Menschen in seinem Umfeld, die einem direkt sagen „Du bist dick geworden.“ Wenn sie es tun, ist es bereits so spät, dass wir selbst schon längst mitbekommen haben, dass wir nicht nur ein kleines Bisschen, sondern ein großes Bisschen auseinandergegangen sind.
  2. Der Selbstsüchtige hat allerlei Ausreden zur Hand. Man arbeitet nun und hat keine Zeit, sich um die Gesundheit zu kümmern. Man wird älter und der Körper verändert sich eben. Man hat so viel Stress. Der Stoffwechsel macht nicht mit. Und so weiter.
  3. Die Ansprüche können sich verändern. Was früher mal alarmierende Veränderungen waren wie zu enge Hosen, wird zum Normalzustand. Man kauft sich eben neue, um das Problem zu lösen.
  4. Wir können tricksen. Einige kompensieren ihren Schmerbauch durch Jacketts und Hemden oder durch Schminke und clevere Kleiderschnitte. Das Problem wird übertüncht.

Doch allmählich meldet sich die Welt mit ihren leidigen Kausalitäten: Man wird kurzatmig, hat wenig Energie, fühlt sich immer häufiger müde, die Potenz wird schlechter, man erhält weniger begehrliche Blicke in der Disco und so weiter.

Und ehe man sich versieht, ist man Ende 30 und der Arzt meldet einem, dass man beinahe Diabetes hat. Oder man ist 50 und kriegt Krebs.

Doch dieser Veränderungswiderstand hat noch weitere unheilige Verbündete. Sehen wir uns diese im Zusammenhang mit Partnerschaft an:

Der moderne Hedonismus. Unwohlsein, Mühsal, Anstrengung und Schmerz sind an und für sich schlecht und zu vermeiden. Wohlbefinden, Gemütlichkeit, Entspannung und Lustgefühle sind an und für sich gut und anzustreben. So könnte man Hedonismus beschreiben.

Die Krise, die für viele Menschen eigentlich nötig ist, ist natürlich das Gegenteil von dem, was sich der moderne Selbstsüchtige für sein Leben wünscht. Sie ist eine Bedrohung für sein Wohlbefinden. Die Krise muss vermieden werden oder ist an und für sich das Problem.

Zusammen mit dem selbstsuchtbedingten Veränderungswiderstand führt der moderne Hedonismus dazu, dass einer der Partner zum Urteil kommt, dass die Partnerschaft nicht mehr ihren Zweck erfüllt: „Die Partnerschaft macht mich unglücklich.“ Wenn die Selbstveränderung keine Option ist („Akzeptiere dich so, wie du bist.“) und die Partnerschaft mit der Auffassung von guter Lebensführung im Konflikt steht, gibt es nur noch eine Lösung: die Trennung.

Klingt das nicht danach, was wir von allzu vielen Menschen hören, weshalb ihre Ehen und Partnerschaften in die Brüche gegangen sind? Schade, dass der moderne Mensch sich selbst nicht als Problem verstehen will, sondern an einem falschen Begriff von Selbstliebe festhält.

Moderne Zerbrechlichkeit. Der moderne Mensch hält nichts aus. Das multipliziert die oben genannten Probleme. Ein kritisches Wort wird sofort zur emotionalen Krise. Kleine Meinungsverschiedenheiten zum persönlichen Angriff verdreht. Die Gefühle während des Konflikts überwältigen den modernen Menschen. Die Partner gehen auf Eierschalen, weil sie sich vor jeder Kleinigkeit fürchten. Ein bisschen Alltagsstress führt sofort zum Wunsch „Man müsse sich um sich selbst kümmern.“

Ein Beispiel mit ernsten Konsequenzen: Die biologische Uhr

Ich bin immer wieder darüber erstaunt, wie giftig und aggressiv viele Frauen werden, wenn sie darauf angesprochen werden, dass ihre biologische Uhr abläuft.

Ein ungewöhnliches Beispiel davon: Meine Frau hat mir von einer Bekannten erzählt, die mehrfach wütend auf ihre Frauenärztin geworden ist, weil diese sorgenvoll erwähnt hat, dass sie eventuelle Kinderwünsche demnächst realisieren müsste. Es war dabei nicht ausschlaggebend, auf welche Weise die Ärztin dies erwähnte. Sie hat sich darüber empört, dass die Frauenärztin dies überhaupt erwähnt hat.

Als sie dann doch (endlich) schwanger wurde, hat sie den Frauenarzt gewechselt, weil sie ihrer Frauenärztin nicht die Genugtuung geben wollte. Als ich das gehört habe, musste ich angesichts dieser Blödheit laut auflachen.

Lange bevor ich überhaupt meine Frau getroffen habe, lebte ich mein Leben im Bewusstsein, dass ich etwas Großartiges verpassen könnte. Als Lebenswandelmönch gab es für mich nur zwei Lebensinhalte: meine Arbeit und mein Leben als Ausdrucksform meiner Arbeit. Aber ich lebte im Bewusstsein einer Lücke. Dort, wo etwas sein sollte, da war Leere.

Dabei war ich in einer außergewöhnlich geeigneten Situation, um eine solche Entscheidung zu treffen:

  • Ich hatte eine sinnstiftende Lebensaufgabe mit meiner Arbeit gefunden. Es war keine Karriere, keine Anstellung in einem Konzern als Manager für Controlling und auch keine hedonistische Selbstverwirrung als holistischer Trainer.
  • Ich habe kein besonders ausgeprägtes soziales Bedürfnis. Gleichzeitig habe ich aber eine ausgeprägte Fähigkeit zum Knüpfen sozialer Kontakte. Meine Frau wundert sich immer, warum mich so viele Menschen kennen, obwohl ich doch kaum weiter als 400 Meter von unserer Wohnung bin.
  • Meine Arbeit beinhaltet die Ausgestaltung eines in sich stimmigen Lebens. Ich lebe unmittelbar aus, was ich über das Leben herausgefunden habe. Das habe ich seit mehr als einem Jahrzehnt ziemlich obsessiv gemacht. Entsprechend stehen mir mehr Gestaltungsmethoden zur Verfügung als dem gewöhnlichen Menschen.
  • Ich bin an Sachen orientiert. Ich habe ein außergewöhnlich großes Interesse an abstrakten Ideen, weshalb alleine mit meinem Zettelkasten zu arbeiten, mir bereits viel Freude macht.

Man könnte sagen, dass ich wie gemacht bin für das moderne Leben: alleinstehend, ohne eine Familie, arbeitend. Doch ich habe mir nichts vorgemacht: Dort, wo etwas sein sollte, da war Leere.

Jetzt als Ehemann und Vater bin ich manchmal erschüttert davon, was ich mir (und meiner Mutter!) beinahe selbst genommen hätte.

Umso schlimmer finde ich es, dass niemand klar sagt, welche Katastrophe es ist, wenn man keine eigene Familie hat. Ein kleiner Aspekt dieser Tragödie ist, dass es nichts Vergleichbares gibt, als die Liebe zum eigenen Kind. Ein Leben ohne Kind ist lieblos. Das gilt besonders für den modernen Menschen, der unfähig ist, die Liebe zu seinem Partner zu pflegen und zu nähren. Da ist es kein Wunder, dass zahllose Menschen von einer Beziehung in die andere stolpern, teilweise nicht einmal so feste Bindungen eingehen, dass wir ein Leben teilen. Lebensabschnittsgefährte. Eines der traurigsten Worte, es gibt.

Besonders hart trifft es die Frauen. Die Natur hat ihnen ein hartes Limit für Hoffnung auf eine Familie gesetzt. Wir Männer können bis ins hohe Alter hinein so tun, als spielte das Alter keine Rolle. Frauen haben diesen infantilen Luxus nicht. Das ist Fluch und Segen zugleich für Frauen. Früher war es ein Segen, weil es, zusammen mit der mangelnden Verhütungsmöglichkeit, Frauen dazu gezwungen hat, reif und erwachsen zu leben.

Heute ist dieser Zwang zur Reife und zum Erwachsenwerden aufgehoben. Abgesehen vom Problem der Geschlechtskrankheiten können Frauen nun Sex als reines Genussmittel behandeln. Doch viel schlimmer ist eigentlich, dass sich dieser unreife Umgang mit der Sexualität mit einer Blindheit gegenüber den engen Grenzen der eigenen Fruchtbarkeit paart. Die moderne Frau glaubt grundsätzlich daran, dass sie noch Zeit hat. Wir Männer machen bei diesem Spiel der Unreife mit. Schließlich waren es schon immer die Frauen, welche uns haben reifen lassen.

Dem Ganzen wird die Krone aufgesetzt, dass bösartige Ideologen die Lüge verbreiten, dass beide Optionen, Kinder kriegen oder nicht, gleichwertig sind. Ich schreibe es ganz explizit: Das ist eine bösartige Lüge. Eine Option öffnet die Chance auf ein Leben voller Liebe, eine Option schließt die Möglichkeit auf ein Leben voller Liebe aus. Das ist, was auf dem Spiel steht. Moderne als Krankheit hat einen neuen Baustein erhalten, als ich verstanden habe, dass ich durch die Augen meiner Tochter Engel sehen kann. Lange habe ich mich auf die existenziellen Probleme des modernen Lebens konzentriert: Verantwortung, Sinn, Bedeutung und so weiter. Was wusste ich damals schon von den Augen der Engel?

Ich habe mit meiner Frau zweimal Gespräche über Kinder geführt, in denen ich ihr sagen musste: jetzt oder nie. Leider haben wir uns erst spät kennengelernt. Sie war 31 und ich 35. Ich wusste, dass ich eine Entscheidung treffen musste: Gründen wir eine Familie oder nicht. Ich habe diese Gespräche bereits wenige Wochen, nachdem wir zusammengekommen sind, vorbereitet. Schon da habe ich ihr gesagt, dass wir uns jetzt entscheiden müssen: Gründen wir zusammen eine Familie, oder nicht? Ich wusste, dass sie zu alt war, um ihre Zeit mit einem modernen „Mal gucken, wo die Reise hingeht“-Schwachsinn zu vergeuden. Nachdem sie nach einem Streit die Bereitschaft gezeigt hat, an sich zu arbeiten, habe ich beschlossen, sie zu heiraten, eine Familie zu gründen und den Rest meines Lebens zusammen zu verbringen. Aber es war keine Eingebung, es war keine Gewissheit und auch kein Blitzschlag der Erkenntnis, dass ich diesen Wunsch hatte. Das ist infantile Schwachsinnsromantik. Das Einzige, was einem geschenkt wird, ist die anfängliche Verliebtheit. Der Rest der Liebe und des Lebens hängt von der eigenen Arbeit und vom Fleiß ab. Das ist übrigens ein Grund, weshalb viele Partnerschaften nicht besser, sondern schlechter werden: Faulheit.

Bei beiden Entschlüssen ein Kind zu zeugen, habe ich ihr deutlich gesagt, dass wir nur wenig Zeit haben. Es war hart für uns beide. Ich will der Frau, die ich liebe, ungern so direkt damit konfrontieren, dass ihr Körper schon bald zu alt ist, um uns ein Leben voller Liebe und Zukunft zu schenken. Sie wurde mit ihrem Alter, ihrer Sterblichkeit und einer falschen Hoffnung konfrontiert. Liebe ist manchmal dunkel.

Viele Frauen scheinen in einer Welt zu leben, in der sie durch eine interessante Mischung aus passiver und aktiver Aggressivität dafür gesorgt haben, dass man ihnen das verschweigt, das gesagt werden sollte, oder das Gesagte so weich verpackt, dass es keine Wirkung hat. Sie leben in einer Welt, in der die Menschen um sie herum, charakterschwach genug sind, dass sie sich von dieser Aggressivität ruhig stellen lassen. Aber sie leben auch in der modernen lieblosen Welt, in der niemand sie stark genug liebt, um ihnen die Wahrheit zu sagen.

Das Resultat ist, dass mehr und mehr Frauen um die Familie trauern müssen, die sie nie hatten.

Das sind die schlimmen Folgen moderner Selbstsucht und Hedonismus.

Dunkle Liebe als Heilung

Jeder von uns ist manchmal in einer Situation, in der er sich zerbrechlich, hedonistisch und selbstsüchtig gegen Veränderung wehrt. In diesen Situationen wissen wir nicht, dass wir uns selbst brechen müssen, dass wir unser gegenwärtiges Ich zerstören müssen, um Platz für das zukünftige, bessere Ich machen zu müssen.

Wir alle finden uns immer wieder in Situationen wieder, in denen wir das brauchen, was mein Hund braucht. Und schlimmer noch: Wir wollen nicht, was wir brauchen.

Wenn wir unser gegenwärtiges Ich nicht selbst zerstören, brauchen wir jemand anderen, der dies für uns macht. Hoffentlich jemanden, der uns liebt.

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  1. Die Schreibweise mit den „ë“ ist eine alte Angewohnheit von mir. Eigentlich ist Lëini die plattdeutsche Kurzform von Helene. Das ist der Name meiner Oma. Weil die plattdeutsche, besonders die Variante meiner Familie, für hochdeutsche unaussprechlich ist, habe ich mich mit der Aussprache „Läini“ abgefunden. Übrig geblieben sind nur noch die Punkte über dem „e“. 

  2. McPherson, K., Bronars, C., Patten, C., Decker, P., Hughes, C., Levine, J., Vickers-Douglas, K., Williams, M., & Ussher, M. (2014). Understanding word preference for description of exercise interventions as a means for enhancing recruitment and acceptability of exercise treatment among adults treated for depression. Mental Health and Physical Activity, 7(2), 73 - 77. http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1755296614000283