Training im zweiten Trimester der Schwangerschaft

Vorbemerkung: Dies ist eine Mail, die einige Informationen zur Herangehensweise für das Training während der Schwangerschaft enthält. Die Adressatin ist am Anfang des zweiten Trimesters. Dies ist besonders für Frauen relevant, die eine hohe Motivation zu trainieren haben.

Hallo, ich habe Dir Workoutvideos freigegeben. Das sind die vier Übungen, die ich gerne in der Schwangerschaft weitermachen möchte. Wobei ich inzwischen bei den Klimmzügen auf Hammergriff gewechselt bin, weil das im Gym sonst nervt mit der Stange. Bei den Beinübungen steiger ich auch noch (bin aber auch nach dem ich im Januar so lalala dabei war und dann verunsichert eher tief wieder eingestiegen). Bei den Klimmzügen mache ich erst mal gleiches Volumen und vertrau drauf, dass das Zusatzgewicht von selber kommt

Was ist deine Einschätzung, wie man das Training jetzt gestalten sollte die nächsten Monate?

Meine Antwort

A Das Problem von Kniebeuge und Kreuzheben während der Schwangerschaft ist, dass du bei korrekter Ausführung einen hohen intraabdominellen Druck aufbauen musst (Valsalva-Manöver: Einatmen, Luft anhalten). Das muss nicht zu Komplikationen führen, ist aber ein unnötiges Risiko. Die solltest du rausschmeißen und durch Übungen ersetzen, die kein Valsalva erfordern und auch kein Valsalva machen, auch wenn du den Drang danach hast. Das heißt, dass du bei keiner Übung mehr die Luft anhalten solltest. Die Last sollte niemals so hoch sein, dass deine Rumpfstabilität ein entscheidender Faktor bei der Übung ist.

B Für dich als Frau sind Klimmzüge im Obergriff, besonders im engen Obergriff, ohnehin keine gute Wahl. Dadurch wird deine Griffkraft und Brachialis sowie Brachioradialis zu einem limitierenden Faktor. Hier sind die Unterschiede zwischen Mann und Frau am größten (die Griffkraft eines durchschnittlichen untrainierten Mannes ist gewöhnlich immer noch größer als die Griffkraft einer Leistungssportlerin.). Hammer und Untergriff sind deine Griffe. Einzige Ausnahme ist die spezifische Vorbereitung auf irgendetwas wie Klettern oder einen Wettkampf.

C Während der Schwangerschaft im zweiten Trimester solltest du allmählich dazu übergehen, dich weniger auszulasten. Lieber einen Satz mehr und dafür noch ein paar Wiederholungen in Reserve. Die Klimmzüge aus dem Video waren schon in der zweiten Wiederholung zu nahe am Versagen (das lag am Griff und an den beiden Muskeln mit B) durch einen Stickypoint.

Satz-Wiederholungsschema wären: 10 × 5 mit deinem 12RM und 90s Pause u. Ä.

Das generelle Grundprinzip ist, dass du durch die Kombination von vielen Sätzen, wenigen Wiederholungen und relativ kurzen Pausen die Auslastung auf Gelb schaltest:

  • Wenig Wiederholungen pro Satz und viele Wiederholungen in Reserve erlauben eine saubere Übungsausführung, Vermeidung von Valsalva und Vermeidung von Belastungsspitzen.
  • Viele Sätze kompensieren für die wenigen Wiederholungen pro Satz und erlauben weiterhin eine gute Steigerung der Fitness.
  • Die kurzen Pausen führen dazu, dass dein Herzkreislaufsystem nicht voll herunterfahren kann, was gut für die allgemeine Fitness ist, außerdem spart man Zeit.

Das ist übrigens ungefähr, wie ich selbst auch trainiere, wenngleich ich keinen hohen intraabdominellen Druck vermeiden muss und ich aus ganz anderen Gründen Ermüdungsmanagement betreibe.

Montag besteht mein Krafttraining aus folgendem (davor bin ich 30 Minuten langsam gejoggt → Zone 2):

  • A1 Schulterdrücken 10 × 2 × (8-12RM)
  • A2 Klimmzüge, Hammergriff 10 × 2 × (8-12RM)

Das alleine reicht gerade für mich aus, dass ich in den kommenden 6 Wochen meine Allzeitrekorde schlagen könnte. Das passiert ganz nebenbei, ich habe keinerlei mentalen Fokus auf meinem Training. Ich arbeite das ab, damit mein Körper funktioniert und gut ist.

Ich schreibe das, weil deine mentale Herausforderung eben diese ist: ein Prioritätswechsel. Training ist keine Hauptsache mehr im Leben, sondern hat etwa die gleiche Wichtigkeit wie Zähneputzen: Man muss es machen, damit der Körper funktioniert, aber Effizienz und Effektivität sind die obersten Ziele dabei.

Alleine dein enttäuschter Blick, nachdem dir der Satz Klimmzüge so schwergefallen ist, zeigt schon deutlich, wie sehr du dein Selbstbild an diesen Dingen wie Training hängst. Würdest du das nicht ändern, fiele dir das gehörig auf die Füße mit dem Kind. Es gäbe nur noch Pest oder Cholera: Sich verloren fühlen oder in einen Interessenkonflikt mit dem Kind gehen (→ vernachlässigen u. das ggf. Schönreden, Verbitterung, zum Scheitern verurteilte Multitaskingversuche).

Das heißt: Im zweiten Trimester ist es deine Aufgabe, ein professionelles Verhältnis zum Training zu entwickeln. Geh es an, wie ein Arbeiter seine Arbeit. Ruhig, sorgfältig, methodisch.

Im letzten Trimester gilt der geplante Rückbau. Paula hatte ein gutes Gefühl dabei. Während ich sie noch in den ersten beiden Trimestern zum Training getrieben habe, habe ich sie im letzten Trimester dazu ermutigt, das Training allmählich zu reduzieren, bis sie in den letzten Wochen nur noch spazieren war. Ihre Herausforderung ist gegenteilig zu dir: Sie hat eigentlich keinen Bock auf Training und muss sich dazu bringen.

D Nach der Geburt beginnt nochmal eine ganz andere Phase: quasi so etwas wie Reha. Hier entscheidet sich, ob du Profi geworden bist oder nicht. Es war bei meinen eigenen Verletzungen diese Haltung, die mir erlaubt hat, für andere Menschen unerklärlich schnell zu heilen und wieder zurück im Spiel zu sein. (Beispiel: Nachdem ich mir fast meine Wade abgerissen habe, bin ich nach 8 Wochen wieder auf Asphalt gesprintet)

Die Rückbildungsgymnastik ist gewöhnlich Mist: Es ist nichts weiter als ein Haufen von zusammengewürfelten Übungen, angeleitet von eben jenen Trainern, die auch versuchen, in den kommerziellen Studios klarzukommen. Würde ich aber machen, weil du das mit Kind machst und es angeleitete niederintensive Bewegung ist.

Aber weil du sowohl clever bist als auch meine Dienste zur Verfügung hast, kontaktierst du mich natürlich pünktlich und mit vorausschauender Weitsicht, sodass ich dir einen besseren Rückbildungsplan schreiben kann, der sich exakt in eure Situation einfügt. ;)

E Die Übungsausführungen sind allesamt gut! Der Sprung von gut auf sehr gut erforderte, dass ich dich beim Training verbessere und direkt in dein Training eingreifen würde, um etwaige Schwachstellen zu reduzieren und selbstkorrigierende Übungen einzubauen. Aber der Sprung von gut auf sehr gut ist absolut unnötig, um ein sehr hohes Niveau allgemeiner Fitness zu erlangen. (zum Vergleich: Gemessen am Rudern und der Breite meiner Leistungen war ich so gut wie ein olympischer Athlet, während meine eigene Übungsausführung zwischen ausreichend und gut schwankte)

Es gibt also überhaupt nichts sinnvoll zu korrigieren und mit der Übungsausführung kannst du völlig zufrieden den Rest deines Lebens weiter trainieren. (Irgendwann sind die Kinder auch selbstständiger. Dann ist wieder mehr Zeit und Energie da. Dann kannst du mich gerne für solche Hobbyprojekte anhauen)