Was ist Lebenswandelskapital?

Im vergangenen Beitrag habe ich darüber geschrieben, dass Gewohnheiten gespeicherte Willenskraft sind. Das ist ein Gedanke, der in Auseinandersetzung mit dem Buch “Be So Good They Can’t Ignore You” von Cal Newport entstanden ist. Es ist eigentlich ein Buch über Beruf und Karriere. Ein Begriff ist bei mir dabei besonders hängen geblieben: Das Karrierekapital.

(via Pixabay)

Das Karrierekapital sind deine Fähigkeiten, Fertigkeiten und andere persönliche Vermögenswerte, die du für wünschenswerte Eigenschaften deines Berufs eintauschen kannst. Gegen Geld, berufliche Selbstständigkeit, Autonomie, zeitliche Flexibilität, interessante Tätigkeiten und so weiter.

Das Besondere an diesem Begriff ist der Perspektivwechsel. Anstatt sich vor allem darauf zu konzentrieren, was man selbst haben will, richtet man den Blick darauf, was man selbst zu bieten hat. Es sind nicht die eigenen Wünsche, die an erster Stelle der Überlegungen stehen. Es sind die eigenen Pflichten, die in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken. Man fragt sich: Habe ich das verdient, was ich mir wünsche?

Diese Perspektive können wir auf den Lebenswandel übertragen. Wir können einen gesunden Lebenswandel als eine Art Kapitalbestand betrachten. Die Währungen ist unsere Aufmerksamkeit, unsere Willenskraft, unsere Zeit, unser Gefühl von Sinn und unser Wohlgefühl.

Es gibt drei Möglichkeiten, wie wir investieren:

  1. Wir kaufen uns Dinge, die uns im Moment Freude machen. Wir gehen beispielsweise in die Stadt und kaufen uns ein Eis. Oder wir beschließen in den Urlaub zu fahren und investieren eine Woche unserer Zeit und Energie, um schöne Dinge zu sehen.
  2. Wir investieren in die Infrastruktur unseres Lebens: Wir bauen Gewohnheiten auf, investieren Willensenergie und legen so einen kleinen Willensspeicher für den nächsten Tag an.
  3. Wir investieren in Fertigkeiten. Wir erlernen beispielsweise die Grundübungen mit der Langhantel oder lernen kochen. Das sind Fertigkeiten, die wir für den späteren Gebrauch immer zur Verfügung haben. Wir können dann Krafttraining machen, um uns gesund und attraktiv zu halten oder können schnell und lecker kochen.

Es gibt viele weitere Beispiele, aber sie fallen alle in zwei Kategorien: Investieren wir unsere Zeit und Energie darin, etwas aufzubauen oder etwas zu konsumieren.

Typische Konsumgüter im Lebenswandel sind beispielsweise Fernsehen, Social Media oder Essen gehen. Alle diese Dinge haben gemeinsam, dass wir unsere Zeit und Energie verbrauchen und für sie Freude und Wohlgefühl einzutauschen.

  • Eine Netflixserie verbraucht unsere Zeit für die Unterhaltung.
  • Tinder verbraucht unsere Zeit (und unsere psychische Gesundheit) für digitale Aufmerksamkeit.
  • Essen gehen verbraucht unsere Zeit für kulinarischen Genuss.

Dagegen können wir in den gleichen Lebensbereichen Gewohnheiten und Fertigkeiten aufbauen.

  • Wir können Abends ein gutes Buch lesen. Das unterhält uns nicht nur, sondern bietet uns Zugang zu kondensierter Lebensweisheit eines Menschen.
  • Wir können uns mit Menschen treffen und unsere Freundschaften pflegen. Das bereichert das Leben von mindestens zwei Menschen.
  • Nach einem langen Arbeitstag können wir uns müde und erschöpft an den Herd stellen. Das baut die Gewohnheit auf und stärkt den Charakter.

Manchmal geraten wir in einen Investitionskonflikt. Wenn wir beispielsweise einen eigentlich festen Trainingstag umlegen, weil wir lieber ins Kino gehen wollen, bauen wir einen Teil der Infrastruktur unseres Lebenswandels ab, um Aufmerksamkeit und Zeit zu Verfügung zu haben. Diese benutzen wir dann, um uns einen Kinobesuch zu kaufen, der uns Freude und Wohlgefühl bereitet.

Diese Konflikte sind häufige Ursache dafür, dass wir nicht das Leben führen, dass wir wollen. Einige Menschen unterschätzen, wie viel Lebenswandelskapital sie brauchen, um so zu leben, wie sie es wollen. So sehen es manche Menschen nicht ein, dass man jeden Tag kochen sollte. Sie versuchen sich dann mit Proteinshakes, irgendwelchen Gemüsepudern (sogenannten “Greens”) und anderen Supplementen zu behelfen. Andere Menschen verneinen das Prinzip von Lebenswandelskapital überhaupt. Sie wollen sich keine festen Trainingstage einrichten, um sich Flexibilität offen zu halten. So können sie keine Willenskraft speichern und laufen Gefahr, in Disziplinprobleme zu geraten.

Wie viel Lebenswandelskapital müssen wir aufbauen, damit wir ein gutes Leben führen können? Diese Frage hat zwei Seiten:

  1. Was sind deine Ziele? Welches Leben willst du führen? Was für einen Körper willst du haben? Was für einen Charakter willst du haben?
  2. Wie viel Lebenswandelskapital ist dafür nötig? Nicht jeder Mensch ist gleich. Manchen Menschen fällt es leicht sich beim Essen zu disziplinieren, anderen freuen sich dagegen auf die morgendliche Meditation.

Am Ende solltest du dir eine Frage stellen: Investierst du in dich oder konsumierst du dich?