Ernährung bei Depressionen - Oder: Auf der Suche nach der geheimen Zutat

In medias res:

Jacka et al.1 untersuchten die Wirkung einer Ernährungsumstellung auf Depressionskranke.

Die Interventionsgruppe erhielt regelmäßige Unterweisungen und motivierende Beratungsgespräche zur Umstellung auf eine mediterrane Ernährung.

Die Kontrollegruppe erhielt nur ein sogenanntes befriending. Ausgebildetes Personal unterhielt sich über neutrale Themen wie Sport, Musik oder Neuigkeiten. Mit Patienten, für die eine solche Unterhaltung zu anstrengend war, spielten sie Karten oder Brettspiele.

Nach 12 Wochen stellten die Forscher eine stärkere Senkung der depressiven Symptome fest.

Die Ernährung selbst scheint den Unterschied auszumachen. Die Probanden der Interventionsgruppe haben mehr Mikronährstoffe aufgenommen und weniger Schadstoffe wie Transfette.

Bleiben wir jedoch dabei stehen, betreiben wir Nährstoffismus.2 Die Ernährung besteht nicht nur aus biochemisch messbaren Nährstoffen. Sie besteht auch aus der Zubereitung, dem Ritual der Mahlzeit, den Gedanken an diese und vieles mehr. Es ist leicht, mit dem Finger auf die Mikronährstoffe zu tippen, und hier die Ursache festzunageln. Die Fallstricke des Nährstoffismus sind aus einem naiven Reduktionismus geknüpft. Der ist nämlich leicht und passt gut in den modernen Materialismus.

Die Interventionsgruppe erhielten nicht nur einen Ernährungsplan und kurzweilige Aufmerksamkeit. Sie bekamen eine ihren Alltag strukturierende Aufgabe. Sie hatten nun die Möglichkeit, das Gefühl von Sinn in ihrem Alltag zu generieren, während die Probanden der Kontrollgruppe einige Partien Mau-Mau gespielt haben.

Depressionskranke haben Probleme mit der Motivation und dem Durchhaltevermögen. Eine klare und konkrete Aufgabe, eine Mission, hilft das Handeln zu strukturieren. Vor diesem Hintergrund ist der große Unterschied bei der Abschlussquote sehr auffällig. 94% der Interventionsgruppe beendete die Studie, während nur 73,5% der Kontrollgruppe dies tat. Es sind Sinn und Bedeutung, die unser Handeln leiten. Nicht Mikronährstoffe.

Reduktionismus I

Die oben genannte Studie untersucht nicht den Einfluss der Ernährungsweise, sondern die Instruktionen zu einer besonderen Ernährungsweise. Die Forscher haben eine einfache Rechnung angenommen:

Instruktion + Ernährung - Instruktion = Ernährung.

Mit dieser Annahme sind sie gescheitert und mussten scheitern. Ernährung ist größtenteils Verhalten. Sie besteht aus Gewohnheiten, Kochkunst, Einkaufen, dem Essenstisch und unendlich vielen anderen Dingen. Nur weniges davon ist biochemisch verstehbar.

Aus der Kritik an dieser Studie können wir nun lernen: Ja, Ernährung besteht nicht nur aus biochemischen Strukturen. Wenn Ernährung ihren heilsamen Effekt auf die Psyche entfalten soll, können wir sie nicht nur als biochemische Matrix betrachten. Eine gute Ernährung schließt sorgfältige, liebevolle Zubereitung, Gemeinschaft und Achtsamkeit mit ein. Liebe ist ein Nährstoff, wahrscheinlich sogar essentiell.

Reduktionismus II

Auch das oben genannte ist ein naiver Reduktionismus. Unstrittig ist die Unentbehrlichkeit von Liebe. Doch sehr strittig ist, ob Ernährung ein exklusiver Zugang zu ihr ist. Es gibt mehr Vehikel als lediglich die Ernährung für Liebe. Partnerschaft, Philosophie, Bewegung, Reflexion, Zeit in der Natur. Das Leben ist voller Gelegenheiten diesen Nährstoff aufzunehmen und Ernährung hat kein Exklusivrecht.

Ich werde noch einen Schritt weiter gehen: Ernährung ist nicht einmal ein besonders guter Weg zur geheimen Zutat des Lebens. Einfach essen ist ein Stein im Fundament des Lebens. Nicht mehr und nicht weniger. Doch das ist ein Thema für einen neuen Beitrag.

Liebe und nicht Ernährung brauchen wir

Wir brauchen Sinn, Bedeutung und Liebe. Im Leben und nicht in der Ernährung. Für mich ist die biochemische Qualität meiner Nahrung von hoher Priorität; die genießerischer Qualität eine geringe.

Die Kernfrage ist: Wie willst du deine Lebenszeit verbringen? Ich jedenfalls nicht am Herd.

Beitragsbild

Chihuahua via Pixabay


  1. Felice N Jacka, Adrienne O'Neil, Rachelle Opie, Catherine Itsiopoulos, Sue Cotton, Mohammedreza Mohebbi, David Castle, Sarah Dash, Cathrine Mihalopoulos, Mary Lou Chatterton, Laima Brazionis, Olivia M Dean, Allison M Hodge, and Michael Berk (2017): A randomised controlled trial of dietary improvement for adults with major depression (the 'SMILES' trial), BMC Med 1, 2017, Vol. 15, S. 23. Abstrakt 

  2. http://www.urgeschmack.de/french-toast-nahrstoffismus/