Keith Norris Modell: Chronisch Kranke und Leistungssportler

Zusammenfassung: Mit dem Modell von Keith Norris lässt sich verstehen, was chronisch Kranke und Leistungssportler gemeinsam haben. Durch diese Gemeinsamkeiten können beide Gruppen voneinander lernen.

Disclaimer: Ich habe bewusst auf ein bestimmtes Krankheitsbild verzichtet. Es geht aber um wirklich schwer Kranke. Die Realität dieser Menschen ist brutal und ernüchternd. So sind meine Anschauungen auch ausgewählt. Vielleicht ist der Begriff schwerkrank auch besser, weil es sicherlich kranke Menschen gibt, die im Bereich 0-A sind.

Ich habe schon einige Male erwähnt, dass ich es für wichtig halte verschiedene Extreme zu vergleichen und nach Gemeinsamkeiten zu suchen. In diesem Post wird es schon fast konkret. Es geht um den Vergleich von chronisch Kranken und Leistungssportlern. Was haben diese gemeinsam?

Erinnerung: Norris und Gesundheit-Performanz

Im letzten Beitrag habe ich das Modell von Keith Norris vorgestellt. Zur kurzen Erläuterung der Graphik:

Punkt A: Bis zu diesem Punkt erhöht jede Trainingsmaßnahme Gesundheit und Fitness gleichermaßen.
Punkt B: Ab dem Punkt A hat man alle gesundheitlichen Effekte abgedeckt. Durch eine Erweiterung des Trainings kann man nun seine Performanz erhöhen, doch ohne wesentliche gesundheitlichen Verbesserungen.
Punkt C: In diesem Bereich wird Gesundheit zu einem Faktor unter vielen. Leistungssport findet hier statt. Wie weit kann ich gehen, ohne dass mein Körper zusammenbricht. Training wird hier zum Risiko.

Sportler und Kranke sind labil

Intuitiv würden viele sagen, dass sich Kranke auf dem gegenüberliegenden Spektrum von Leistungssportlern sind. Gemäß des Modells ist jedoch das Gegenteil der Fall. Sobald sie ihre funktionale Kapazität durch mehr Belastung erhöhen wollen, müssen sie mit ernsthaften Einschränkungen ihrer Gesundheit rechnen.

Das ist bei Leistungssportlern intuitiv einsichtig. Wenn die sich noch mehr belasten, laufen sie Gefahr sich zu überlasten.

Doch genau das ist auch die Situation von vielen Kranken. Sie müssen sehr vorsichtig sein, wie sie sich belasten, denn sonst laufen sie Gefahr sich zu überlasten.

Sportler und Kranke befinden sich beide im Bereich C. An diesem Modell können wir die erste Gemeinsamkeit ablesen: Sportler und Kranke sind reagieren beide labil auf körperliche und psychische Mehrbelastungen.

Der Unterschied ist lediglich, dass ein Leistungssportler (Person A) gewöhnlich über eine längeren Gesundheitsgraphen verfügt als jemand, der krank ist (Person B).

Was ist das Ziel?

In diesem Modell wird nun eine weitere Intuition verletzt. Üblicher Weise geht man davon aus, dass sich die Ziele beider Gruppen voneinander unterscheiden:

  • Der Leistungssportler will seine Performanz erhöhen.
  • Der Kranke will seine Gesundheit erhöhen.

Das ist in diesem Modell grundlegend falsch.

Beide wollen ihre Performanz erhöhen.

Für den Sportler bedeutet es, dass er Bruchteile von Sekunden schneller an der Ziellinie ist, während es für den Kranken vielleicht bedeutet, dass er einen Spaziergang ohne Pause machen kann.

Auch hier unterscheiden sie sich nicht. [pullquote position="right" hidden="true"]Gesundheit ist kein Zweck an sich.[/pullquote] Erst in der Äußerung als Lebensqualität können wir diese überhaupt erfahren.

Welche Mittel haben beide zur Verfügung?

Wir haben festgestellt, dass beide die gleichen Ziele verfolgen. Dass sie sich in den Mitteln unterscheiden, ist unwahrscheinlich.

Mehr Gesundheit

Diese Graphik zeigt einen Unterschied durch gesundheitlich wirksame Maßnahmen. Der Punkt B und entsprechend der Bereich C sind nach rechts verschoben. Man kann fitter sein ohne seine Gesundheit zu zerstören.

Beide können versuchen die ihre Gesundheit zu verbessern.1 So verschiebt sich der Graph der Gesundheit nach rechts. So können sie mehr Trainingsmaßnahmen vornehmen um ihre Performanz zu erhöhen. Das heißt für beide aber etwas Unterschiedliches.

[pullquote position="right" hidden="true"]Was kann ich als Leistungsportler von Kranken lernen?[/pullquote]

  • Für den Sportler ist das einleuchtend. Er trainiert härter, häufiger und länger und kann diese Trainingseinheiten trotzdem wegstecken.
  • Für einen Kranken kann es bedeuten, dass er nicht mehr 2x überlegt pinkeln zu gehen. Das ist für viele Kranke die drastische Realität, wenn sie unter Schmerzen leiden. Warum erhöht sich ihre Performanz dadurch? Viele Kranke haben so große Probleme, dass schon kleine Erhöhungen ihre alltäglichen Aktivität für einen ausreichenden Trainingsreiz sorgen.

Training verbessern

Das Training so zu gestalten, dass die Gesundheit weniger belastet wird, ist ein weiteres Mittel um sich zu verbessern, sei es als Kranker oder als Sportler.

Für einen Sportler kann das die Umstellung von Dauerläufen auf Intervalltraining sein. Günstige Effekt können sein, dass der Sportler entsprechend nicht so viel Arbeit verrichten muss um seine Ausdauer zu trainieren (vgl. 10km vs. 10x200m), die hormonelle Reaktion günstiger ausfällt und Ähnliches.

[pullquote position="right" hidden="true"]Wie kann ich die Methoden des Leistungssport für Kranke nutzbar machen?[/pullquote]

Im Leistungssport werden Trainingsmethoden am Limit immer wieder getestet und eingesetzt. Schmidtbleicher berichtet davon, dass man mit Methoden aus dem Leistungssport zweitweilig Berufsunfähige schneller wieder fit kriegt als mit den üblichen Trainingsmethoden. Was für ihn ein Argument dafür ist, dass man mehr Geld in den Leistungssport investieren sollte, ist für mich der Hinweis darauf, dass man auch für Kranke ein gutes Sportprogramm verordnen sollte, dass über bloße Spaziergänge hinausgeht. Dabei ist es mir nicht wichtig, ob diese schneller wieder im Beruf sind. Wichtig ist, dass diese Menschen, welche auf ähnliche Weise am Limit arbeiten müssen wie Leistungssportler, fitter sind, so dass sie wieder ihre Lebensqualität wahrnehmen können.

Abschlussbemerkungen

Im Umgang mit dem Modell habe ich festgestellt, dass meine Intuition verletzt wurde. Viele Zusammenhänge im Rahmen meiner Beschäftigung sind ähnlich gestrickt. Durch solche Zusammenhänge weitet sich der Blick. Ausgangspunkt dieses Beitrags war die Frage: Was sind die Gemeinsamkeiten?

Zwei Punkte sollen besonders deutlich sein:

  • Die Haltung von Improved Eating zum lernen und die Suche nach Gemeinsamkeiten als Forschungsmethode.
  • Neben ein paar Denkanstößen ein kleiner Einblick in meine Methodik. Neben dem obigen Punkt habe ich hier den Unterschied zwischen Zweck und Mittel ausgearbeitet. Wo dieser Unterschied nicht klar ist, kann man sich auch über die Sache nicht klar sein.

Es stellt sich hier kein "ob" mehr. Dass wir voneinander lernen können, ist einleuchtend. Es wird Zeit nach dem "wie" zu fragen.

Update (2013-11-14-09:08): Danke an Norman. Er hat mich an die Doku The Price of Gold erinnert. Ein packender Einblick, was eine der extremsten Formen des Bereich Cs betrifft.

Fragen

  • Hast du schon einmal von einer extremen Gegenposition etwas lernen können, dass auf unerwarteten Gemeinsamkeiten fußt?
  • Welche Kontraste sollten deiner Meinung nach auch auf ihre versteckten Gemeinsamkeiten untersucht werden? Schreib' an info@me-improved.de

Bilder

Photo Credit: Todd Huffman via Compfight cc


  1. Ich verbleibe hier nur sehr vage, was genau damit gemeint ist. Gesundheit ist hier nicht so leicht zu verstehen und erst recht nicht, was genau mit der Gesundheit passiert.