Metabolische Flexibilität und Steinzeiternährung

Zusammenfassung: Warum haben wir überhaupt ein Problem mit unserer metabolischen Flexibilität? Nicht nur unsere Ernährungsgewohnheiten haben sich in den letzten 10000 Jahren geändert. Auch das Maß der Bewegung hat sich erheblich verringert. Als Jäger und Sammler haben die Umweltanforderungen für einen guten Energiestoffwechsel gesorgt. Jetzt müssen wir bewusst nachhelfen, wenn wir wirkliche Gesundheit und Robustheit erreichen wollen.

Metabolische Flexibilität damals und heute

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Das Konzept der metabolischen Flexibilität habe ich im Beitrag Metabolische Flexibilität – Ein kleiner Überblick vorgestellt. Wenn du mit diesem Konzept nicht vertraut bist, solltest du ihn vorher lesen.

Stete Unstetigkeit der Makronährstoffverteilung

Wenn wir uns die modernen Jäger und Sammler ansehen, stellen wir eine große Spannweite von Ernährungsformen fest. Auf der einen Seite haben wir die Inuit mit ihrer sehr kohlenhydratarmen und fettreichen Ernährung. Auf der anderen Seite haben wir die Kitavan, welche sehr kohlenhydratreich essen.

Cordain et al. stellen in ihrer Analyse folgende Makronährstoffverteilungen fest:[^Cordain2000]

  • Protein : 19–35%
  • Fett : 28–58%
  • Kohlenhydrate : 22–40%

Das sind enorme Schwankungen. So ist es aufgrund dieser Datenlage überhaupt nicht zu sagen, ob eine Steinzeiternährung nun kohlenhydratarm ist oder nicht.

Innerhalb der Art Mensch gibt es große Abweichungen der Makronährstoffverteilung.

Viele versuchen zu argumentieren, dass Kohlenhydrate eine Ursache für das Übergewichtsproblem sind. Aus der Steinzeiternährung lässt sich dies jedenfalls nicht herleiten. Die Ernährung der Jäger und Sammler ist dafür einfach zu vielfältig und teilweise auch zu reich an Kohlenhydraten.

Es gibt auch heute Bevölkerungsgruppen, die relativ kohlenhydratreich essen, aber trotzdem schlank sind (z.B. die Okinawa). Dass Kohlenhydrate das Problem sind, scheint an dieser Stelle nicht plausibel. Im Übersichtsbeitrag zur metabolischen Flexibilität habe ich dafür argumentiert, dass es auf ein Verhältnis von metabolischer Flexibilität und Nahrungszufuhr ankommt. Vielleicht essen wir nicht zu viele Kohlenhydrate, sondern sind nicht metabolisch flexibel genug?

Jäger und Sammler sind beständigen Veränderungen des Nahrungsangebots ausgesetzt. Je nach Jahreszeit können verschiedene Nahrungsquellen versiegen, so dass sie über längere Zeit sehr kohlenhydratreich essen und danach über längere Zeit eher fettreich. Im Winter müssten wir uns in unseren Breitengraden eher auf die Jagd verlassen, während wir noch zuvor im Herbst eine reiche Ernte aus Beeren und Früchten gehabt hätten.

Das heißt, dass es nicht nur innerhalb der Art Mensch Schwankungen gibt. Es gibt auch für den einzelnen Jäger und Sammler eine unstete Umwelt. Ist es wirklich plausibel, dass ein Jäger und Sammler vom Baum fällt, weil ihn die Ladung Honig mit Carb-kater k.o. schickt? Selbst die Inuit haben trotz ihrer geringen Kohlenhydratzufuhr eine gute Fähigkeit auf Kohlenhydrate zu reagieren.1

Die Makronährstoffverteilung schwankt über den Jahresverlauf je nach Nahrungsangebot.

An dieser Stelle haben wir Abweichungen innerhalb der Art und innerhalb des Jahresverlaufs. Aber auch im kürzeren Zeitabständen kann das Nahrungsangebot wechseln.

Vielleicht bleibt der Jagderfolg für einige Zeit aus und die Jäger und Sammler müssen sich auf Wurzeln und Früchte beschränken. Vielleicht ist der Jagderfolg ungewöhnlich groß und für längere Zeit stehen vor allem Fleisch, Fett und Organe auf dem Speiseplan. Auch hier muss der Jäger und Sammler anpassungsfähig bleiben.

Die Makronährstoffverteilung schwankt auch im Verlauf von Wochen und sogar Tagen, je nach Erfolg der Nahrungsbeschaffung.

Sogar innerhalb eines Tages muss man als Jäger und Sammler zwischen Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel wechseln. Für gewöhnlich bedeutet zu Jagen und zu Sammeln irgendeine Form des intermittierenden Fastens. Die Nahrung muss erst gejagt und gesammelt werden, damit sie zur Verfügung steht. Das bedeutet, dass wir als Menschen über lange Phasen des Tages eine hohe körperliche Belastung ohne vorherige Nahrungszufuhr bewältigen mussten. Die Fastenfähigkeit ist im Wesentlichen die Fähigkeit auf das Körperfett zurückzugreifen und zu nutzen. Ohne metabolische Flexibilität wären wir körperlich nicht in der Lage den Alltag eines Jägers und Sammlers zu bewältigen.

Sogar innerhalb eines einzigen Tages muss ein Jäger und Sammler zwischen Fett- und kohlenhydratstoffwechsel umschalten.

Zusammengefasst kann man sagen, dass das Leben als Jäger und Sammler eine hohe metabolische Flexibilität erforderlich macht.

  1. Innerhalb der Art Mensch, je nach Region, müssen wir Menschen uns an sowohl fettreiche als auch kohlenhydratreiche Nahrungsangebote anpassen.
  2. Innerhalb des Jahres kann es zu großen Schwankungen im Nahrungsangebot kommen.
  3. Über Tage und Wochen kann sich abhängig vom Jagdglück oder auch vom kurzfristigen Angebot an Früchten die Makronährstoffzusammensetzung verändern.
  4. Selbst innerhalb eines Tages muss man als Jäger und Sammler zwischen Fastenphasen und hoher Nahrungszufuhr wechseln.

Warum sind Jäger und Sammler metabolisch flexibel?

Es gibt eine Faktoren im Leben der Jäger und Sammler, die ihm diese hohe metabolische Flexibilität ermöglichen:

  • Sie bewegen sich im Vergleich zu uns sehr viel. Während man als Jäger und Sammler durchschnittlich 49kcal/kg/Tag verbraucht, verbraucht der durchschnittliche Mensch der Moderne lediglich 32kcal/kg/Tag.[^cordain1998] So ist ihre Fitness sehr gut und damit wahrscheinlich auch ihre mitochondriale Kapazität.
  • Durch ihre beständige Bewegung erhöhen sie insulinunabhängig die Glucoseaufnahmefähigkeit ihrer Muskulatur.
  • Weil sie durch die Bewegung mehr Glucose insulinunabhängig aufnehmen können, ist ihr Insulinspiegel niedrig, so dass ihr Fettstoffwechsel weniger unterdrückt wird.
  • Weil sie sich beständig bewegen, sind ihre Glykogenspeicher wahrscheinlich nie voll. Das verbessert ihre Fähigkeit Kohlenhydrate aufzunehmen.
  • Sie nehmen ihre Nahrung normaler Weise auf, nachdem sie aktiv waren. Das heißt, sie Fasten intermittierend und sind während ihres Fastenfensters aktiv. So ist der Körper für die Nahrungsaufnahme sensibilisiert.

Ein häufiger Fehler im Umgang mit der Ernährung und der Gesundheit der Jäger und Sammler ist ihre Gesundheit ausschließlich auf ihre Ernährung zurückzuführen. Dass es vor allem an der Ernährung liegt, ist erstmal eine Unterstellung, die es noch zu belegen gilt. Wir beobachten zunächst eine für uns ungewöhnliche Gesundheit der Jäger und Sammler. Woran das liegt, steht noch einmal offen. Sie könnten sogar trotz ihrer Ernährungsweise so gesund sein.

Ich selbst halte die Steinzeiternährung für die aussichtsreichste Basis seine persönliche Ernährung zu gestalten. Aber es ist schlicht ungültig diese ohne den Kontext der Aktivität, des sozialen Miteinanders und anderen Faktoren als maßgeblich für die Gesundheit zu betrachten.

Das Problem der modernen Sitzkultur

Wie sieht dagegen unser Lebensstil aus? Hier fällt auf, dass bei uns viele Faktoren des Lebenswandels genau gegen die metabolische Flexibilität sprechen.

[pullquote position="right" hidden="true"]Vielleicht essen wir nicht zu viele Kohlenhydrate, sondern sind nicht metabolisch flexibel genug?[/pullquote]

  • Wir sind sehr inaktiv. Berechne einfach mal deinen Verbrauch als Jäger und Sammler (49 x Körpergewicht = Tageskalorienumsatz als Jäger und Sammler). Du wirst feststellen, dass du wahrscheinlich erheblich weniger essen kannst und auch tatsächlich tust. Das bedeutet, dass du im Vergleich zu einem Jäger und Sammler erheblich weniger Bewegung hast und wahrscheinlich auch weniger fit bist. Weil du außerdem weniger essen kannst ohne an Körperfett zu gewinnen, bist du konsequenter Weise weniger mit Nährstoffen versorgt als ein Jäger und Sammler. Mehr essen heißt übrigens auch mehr Vitamine!
  • Wir haben nicht nur insgesamt weniger Bewegung. Wir haben auch lange Phasen, in welchen wir uns gar nicht bewegen. Wir büßen nicht nur einen Teil unserer Insulinsensitivität ein. Wir haben auch eine lange Phase, in welcher die akute Glucoseaufnahmefähigkeit nicht durch Kontraktionen verstärkt wird. Das ist eines der ganz großen Probleme des Sitzens. Egal, wie viel Sport und Bewegung man sonst hat: Viele führen etliche Stunden ihres Tages das Leben eines Diabetikers.
  • Wir haben keine lange Phase des Fastens und erst recht keine gefasteten Phasen hoher körperliche Aktivität. So wird unser Fettstoffwechsel und die mitochondriale Kapazität weniger trainiert. Normaler Weise essen wir sehr zügig nach dem Aufstehen. Während der gefastete Zustand früher der Normalzustand war, ist es jetzt der Zustand nach der Nahrungsaufnahme.
  • Weil wir uns so wenig bewegen und trotzdem relativ viele Kohlenhydrate aufnehmen, ist es wahrscheinlich, dass unsere muskulären Glykogenspeicher beständig gefüllt sind, so dass wir eine kohlenhydratreiche Mahlzeit nur schwer puffern können. Unsere Glucoseaufnahmefähigkeit ist schlecht.

Moderne Honigsammler und Carb-Kater

Es ist also kein Wunder, dass wir den Kontrast zwischen dem überaus gesunden Jäger und Sammler und dem kranken Zivilisierten feststellen. Wir haben uns von einem Leben entfernt, dessen Überlebensvoraussetzungen dafür gesorgt haben, dass wir eine hohe metabolische Flexibilität und diese durch die Nahrungsaufnahme kaum ausgereizt haben.

Mit dem modernen Leben und seinen Annehmlichkeiten haben einen erheblichen Teil unserer Robustheit eingebüßt. So ist es üblich, dass viele einen sogenannten Carb-Kater, wenn sie während eines Schummeltages hohe Mengen von Kohlenhydraten zu sich nehmen. Mit anderen Worten: Einige von uns fallen tatsächlich vom Baum, nachdem sie sich eine Portion Honig genehmigt haben.

Anschließend fühlen wir uns abgeschlagen und energiearm. Das ist ein Zeichen dafür, dass die metabolische Flexibilität an ihre Grenzen geführt wurde. Darüber hinaus brauchen wir dann eine ganze Weile um wieder auf den Fettstoffwechsel umzuschalten. Wenn du dich darin wiedererkennst, solltest du das als Anlass nehmen an deiner metabolischen Flexibilität zu arbeiten. Schließlich geht mit einer verringerten metabolischen Flexibilität eine schlechtere Gesundheit einher.

Im Leben als Jäger und Sammler sind Nahrungsmenge und Nahrungsaufwand enger gekoppelt als bei uns. Wir können bei dieser Lebensführung auch nur das essen, was wir zuvor gejagt und gesammelt haben. Auch das sorgt dafür, dass wir unsere metabolische Flexibilität nicht über alle Maßen überreizen konnten. Ein Schummeltag ist meistens dadurch charakterisiert, dass das Verhältnis von Nahrungsaufnahme und Energieabgabe aufgebrochen wird. Es sind die faulen Tage, an welchen wir über die Stränge schlagen.

Unser Hunger ist in einer bestimmtem Umgebung eine Hilfe bei der Nahrungsaufnahme. Er motiviert und bringt uns dazu zum richtigen Zeitpunkt auf Nahrungssuche zu gehen. Er ist allerdings einer Umgebung evolviert, in welcher wir gezwungen sind hohe körperliche Aktivität vor der Nahrungsaufnahme zu leisten. Wenn wir nicht mehr gezwungen sind Aktivität und Nahrungsaufnahme eng zu koppeln, können wir die Grenzen unserer Robustheit überschreiten und unserer Gesundheit schaden. Deswegen können wir heute nicht mehr nur intuitiv auf unseren Hunger hören, wenn wir unsere Gesundheit maximieren wollen.

Abschließende Worte

Auch am Beispiel der metabolischen Flexibilität können wir sehen, dass es die besondere moderne Herausforderung ist mit Überfluss umzugehen und dafür ist unser Hunger kein geeignetes Mittel. Unser Leben führt nicht mehr von alleine dazu, dass wir metabolisch flexibel sind. Wir müssen unser Leben aktiv dazu gestalten um unsere metabolische Flexibilität aufzubauen und zu erhalten.

Wenn wir wirkliche Robustheit und Gesundheit erreichen wollen, müssen wir mehr tun als uns gut zu ernähren oder bewegen. Wir müssen die Wechselwirkung von Ernährung und Bewegung verstehen und beide Aspekte des Lebens aufeinander beziehen.

Noch vor einigen 1000 Jahren haben die Umweltanforderungen dafür gesorgt, dass diese beiden Bereiche unseres Lebens eng miteinander gekoppelt waren. Dies ist der Preis heutiger Freiheit. Wir können uns auch für Empfindlichkeit und Krankheit entscheiden.

Reflexionsfragen

Es sind die gleichen Fragen, wie beim Überblicksartikel über die metabolische Flexibilität.

Wenn du diese Fragen beim letzten Mal antworten gegeben hast, wie ändern sich jetzt deine Antworten? Vergleiche die Antworten.

  • Welche Faktoren im Leben als Jäger und Sammler sind in deinem (modernen) Leben aufgehoben?
  • Welche Maßnahmen fallen dir ein um diese Faktoren wieder herzustellen und deine metabolische Flexibilität zu verbessern?

  1. Heinbecker, P. (1928). STUDIES ON THE METABOLISM OF ESKIMOS. Journal of Biological Chemistry, 80(2), 461-475. http://www.jbc.org/content/80/2/461.short