Belohnungsaufschub?
Zusammenfassung: Belohnungsaufschub sollte man können. Das heißt aber nicht, dass man ihn immer suchen muss. Disziplin ist die Ressource, mit welcher wir hier umgehen.
Iss' nicht den Marshmallow
Walter Mischel hat in den 60er und 70er Jahren ein Experiment mit Kindern durchgeführt. Er hat ihnen einen einen Marshmallow unter die Nase gehalten und gesagt: "Ich gehe gleich aus dem Raum. Wenn ich wiederkomme und du hast den Marshmallow nicht gegessen, kriegst du zwei!"
Wie zu erwarten haben es einige Kinder geschafft und Andere nicht.
Mischel wollte erforschen, wie Belohnungsaufschub funktioniert. Das Ergebnis des Experimentes: Je länger ein Kind es geschafft hat zu warten, desto erfolgreicher waren sie auch im späteren Leben.
Hier ein kleines Video zur Anschauung:
Klingt das nicht nach unserem häufigen Ernährungsproblem?
"Wenn du es schaffst, diese und jene Ernährungsbeschränkung durchzuhalten, kriegst du dafür einen super Körper, echtes Wohlbefinden und so weiter!"
Was kann uns das Experiment über Ernährung und Lebenswandel erzählen?
Noch wichtiger?
Wie können wir dies Nutzen um unsere Ernährung und unseren Lebenswandel zu verbessern?
Prozess und Erlebnis
Um die Ergebnisse dieses Experiments will ich folgende Begriffe einführen:
- Erlebnisorientierung ist die Haltung, die Wirkungen seiner Handlungen und Maßnahmen sofort erkennen zu wollen.
- Prozessorientierung ist die Haltung, auf eine Methode zu vertrauen, auch wenn das Erreichen des Ziels nicht unmittelbar spürbar ist.
An diesen Definitionen können wir schon erkennen, wie der Zusammenhang zum Belohnungsaufschub funktioniert. Prozessorientierung heißt seine Belohnung aufzuschieben und auf das gewünschte Ergebnis zu warten, während Erlebnisorientierung heißt sofort nach der Belohnung zu streben.
Nun legt das Experiment natürlich nahe, dass Prozessorientierung die schlicht bessere Haltung ist. Doch so einfach können wir das nicht einfach so annehmen. Stellen wir uns lieber die Frage:
Kriege ich nur so zwei Marshmallows?
Im Fitnessstudio erkenne ich diese beiden Grundmuster immer wieder. Die einen sehen den Trainingsreiz in der Anstrengung. Sie glauben, weil sie jetzt so lange auf dem Laufband geschwitzt haben und sooo ermüdet sind, haben sie "richtig was geschafft". Andere wiederum versuchen jedes Mal beim Krafttraining an ihre Grenzen zu gehen. Muskelversagen, Reduktionssätze, Ausbrennen - das sind ihre Methoden um ein Training erfolgreich zu gestalten.
Andere wiederum halten sich an den Prozess. Sie vertrauen entweder auf eine Methode (dem Internet sei Dank haben wir ständigen Zugriff) oder einer Autorität (meist der Trainer und manchmal einer der Platzhirsche des Studios).
[pullquote position="right" hidden="true"]Der Marshmallow ist Sinnbild unseres Konsums.[/pullquote]
In der Ernährung finden sich beide Haltungen ebenfalls wieder. Die einen sind bereit die absurdesten Dinge auszuprobieren und auch hohe Kosten zu tragen (Müdigkeit, Trägheit, Stimmungsschwankungen), wenn sie abnehmen wollen. Die anderen setzen sich nur sehr kleine Ziele, sagen sich, dass sie nur 1kg pro Woche abnehmen wollen.
Ich kann sagen, dass die einen erfolgreich sind und die anderen nicht. Es gibt Trainierende, die sich einfach nur jeden Tag vernichten, und oft sind sie sehr erfolgreich damit. Es gibt Menschen, welche die brutale Diät tatsächlich durchhalten.
Wenn ich aber Geld auf eine der beiden Gruppen setzen müsste, würde ich ohne zu zögern auf die Letztere setzen. Menschen, die dem Prozess vertrauen, kommen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit an ihr Ziel. Sie fallen natürlich weniger auf. Sie schreien beim letzten Satz Bankdrücken nicht, als würden sie ausgeweidet werden und sie schlurfen nicht saft- und kraftlos wie Zombies auf Nulldiät herum.
Was ist mein Insidertipp?
Ein prozessgeleitetes Vorgehen ist sehr viel robuster und nicht so anfällig für Fehler. Es ist kein emotionales, anstrengendes und intensives Unterfangen, zu welchem man sich jedes mal wieder überwinden muss.
Es ist auch nicht so abhängig davon, dass man jedes Mal in seinen Bemühungen bestärkt wird. Manchmal ist es eben schwer und manchmal leicht. Solange man sich an die Methode hält und dem Prozess vertraut wird man schon das Ziel erreichen.
Den Extramarshmallow kriegen manchmal beide, auf jeden Fall kriegt ihn aber der Prozessorientierte.
Ist Belohnungsaufschub paleo?
Eine seltsame Frage, nicht wahr? Doch, wenn man Robb Wolf glauben will, ist Belohungsaufschub nicht paleo:1
Wenn ich ein Tier jagen will, muss ich zunächst das Werkzeug dafür herstellen. Im Herstellungsprozess liegt schon die Belohnung, denn ich sehe mich graduell meine Ziele erreichen.
Das Herumstreunen um das Wild aufzuscheuchen ist keine intensive Arbeit. Das heißt, dass die Kosten nicht groß sind, dafür aber die Motivation (Hunger). Die Jagd selbst ist ein kurzer, intensiver Akt. Sprints und Töten. Sofort hat man die Beute.
Bei den meisten intensiven Energieeinsätzen hat man sofort nach der Beendigung die Belohnung erhalten.
Vielleicht fällt uns der Belohnungsaufschub deswegen so schwer?
Ist Erlebnisorientierung wirklich so schlecht?
Warum sind einige von uns überhaupt erlebnisorientiert? Die Antwort ist ziemlich offensichtlich: Es fühlt sich gut an. Die Zukunft ist nicht erfahrbar. Das Einzige, was wir fühlen können, ist das Hier und Jetzt.
Auf der einen Seite ist es natürlich nichts Angenehmes auf Nahrung zu verzichten oder bis zum Muskelversagen Wiederholungen zu absolvieren. Aber wir spüren die Wirkung unserer Maßnahmen. Wir sind weniger verloren, müssen weniger vertrauen und fühlen uns handlungswirksam. Das ist erstmal nichts Schlechtes.
Leider verbauen wir uns mit dieser Kurzsicht oft Chancen unsere Ziele (manchmal sogar Träume) zu verwirklichen.
Können wir die Vorteile beider Haltungen miteinander verbinden?
Den Prozess erleben
- Methode: Zwischenetappen. Eine einfache Möglichkeit mehr Erfolgserlebnisse zu haben ist es sich mehr Gelegenheiten zum Erfolg zu geben. Zwischenziele haben genau die Funktion. Sie zeigen dir, dass du auf dem richtigen Weg bist.
- Methode: Explizite Prozessziele. Das Ziel dem Prozess zu vertrauen ist zu schwammig. Den nötigen Schritten des Prozesses zu entsprechen ist zwar besser aber immer noch nicht gut genug. "Ich esse jeden Tag nur unverarbeitete Lebensmittel" ist konkret genug aber nicht explizit. Eine Möglichkeit das explizit zu machen ist, sich einen Kalender aufzuhängen und in diesen ein großen, grünen Haken zu malen, wenn man den Tag seinem Ziel entsprochen hat und ein großes, rotes Kreuz, wenn man davon abgewichen ist. Du wirst staunen, wie viel leichter es dir fällt, wenn du diesen Kalender immer vor Augen hast. (Am besten ist er da aufgehoben, wo du mit der größten Versuchung konfrontiert wirst)
- Methode: Vertraue auf die Methode. Viele Methoden sind willkürliche Experimente. Meistens sind sie wiederholt getestet und ausprobiert worden. Die Steinzeiternährung ist kein neues Konzept. Wenn man sich die Bücher der alten Strongman anschaut, wird man feststellen, dass die Idee möglichst unverarbeitete Lebensmittel zu sich zu nehmen eine ziemlich alte und erfolgreiche Sache ist.[^201401071405] Vertraue also darauf, dass viele auf dem gleichen Wege zum Erfolg gekommen sind. Wenn dir eine Methode sinnig erscheint (ich meine nicht, dass du alles glauben sollst), dann probier' sie ein paar Wochen aus und nicht bloß einige Tage. Eine gute Realisierung dieser Methode ist, die klassische 30-Tage-Challenge.
- Methode: Vertraue einer Autorität. Das ist eine Methode, mit der ich mich nicht anfreunden kann, aber für viele gut funktioniert. Nicht jeder ist Pionier, Forscher oder Selbstexperimentierer. Vielleicht bist du einfach nicht so risikofreudig. Dann suche dir jemanden, dem du vertraust und dann nutze dieses Vertrauen um am Ball zu bleiben.
-
Methode: Genieße den Prozess. So seltsam es klingt, aber man kann den Prozess selbst auch genießen. Ich vertraue nicht nur darauf, dass ich die richtige Methode gewählt habe. Jede Handlung, welche auch nur dem Anspruch hat mich meinem Ziel näher zu bringen, genieße ich als Zeichen meiner Selbstwirksamkeit. Selbst, wenn es nicht die optimalste Handlung ist, zeichnet es mein Lebensgefühl aus, dass ich mich aktiv um mein Leben gekümmert habe und kümmere. Sich auf die Reise zu begeben, wo immer sie auch hinführt, ist schon ein Wert an sich.
Abschließende Worte
Wer Improved Eating kennt, wird die kommenden Worte ahnen: Mit Disziplinierung hat dieser Artikel wenig zu tun. Für diejenigen, die noch nicht so vertraut mit Improved Eating sind, sei dieser Artikel empfohlen: Disziplin in der Ernährung Mit einer geschickten Herangehensweise wirst du dein Ziel besser erreichen. Das hat mehr mit Strategie als mit Disziplin zu tun.
Wähle den Prozess und dann mache ich ihn so greifbar wie es geht.
Ich bin mir noch nicht sicher, welchen nächsten Beitrag ich veröffentlichen werde. Entweder werde ich auf Basis dieses Artikels einige Beispiele zur Illustration zum Besten geben oder ich komme endlich zum Abschluss der Morgenroutine.
Fragen & Anregungen
- Was sind deine Ziele in Gesundheit und Leistung?
- Hast du konkrete Ziele oder sind diese eher ungenau?
- Überlege dir, wie du den Weg zum Ziel mit Meilensteinen bestücken kannst, damit du dir versichern kannst, nicht von deinem Weg abgekommen zu sein.
Fotos
Photo Credit: Candie_N (Welcome Fall) via Compfight cc
-
Wolf, R. (2010). The Paleo Solution. Las Vegas: Victory Belt. S.141 ↩