Biorhythmus I - Die wahre Natur des Hungers

Hunger

Das ist der erste Beitrag zum Thema Biorhythmus. Unser Biorhythmus hat sich im Kontext eines Lebens als Jäger und Sammler entwickelt. Ich werde damit in diesem Beitrag nicht auf die Steinzeiternährung eingehen -- und irgendwie doch.

Alle Tiere sind im weitesten Sinne Jäger und Sammler. Eine große Schwäche des Paleoparadigmas ist, dass es uns zwar in den Kontext unserer menschlichen Evolution stellt, aber dafür den Rest der 4,5 Milliarden Jahre ausblendet.

Der folgende Beitrag veranschaulicht an einem einfachen Beispiel, dass man für viele Argumente einer Steinzeiternährung sich nicht nur auf unser menschliches Leben als Jäger und Sammler beziehen darf. Man sollte den Blick weiten und akzeptieren, dass wir nicht nur mit Pfeil und Bogen gejagt haben. Vor einigen Milliarden Jahren sind wir durch das Urmeer geschwommen und haben dort gejagt.

Unser modernes Leben hat uns in einem sehr viel grundsätzlicherem Sinn von der Natur entwurzelt, als wir im Allgemeinen denken.

Nun zur ersten zentralen Frage:

Was ist Hunger?

Hunger ist für alle Lebewesen der ultimative Motivator. Hunger ist Motivator, weil er uns zum Handeln bewegt. Er ist ultimativ, weil er uns das Signal gibt, dass wir handeln oder sterben. Grundsätzlicher als Selbsterhaltung ist nichts für unser Leben. Ohne Selbsterhaltung gibt es eben kein Selbst mehr.

Was macht Hunger in unserer modernen Welt mit uns? Er macht uns müde, nimmt uns die Konzentration. Wir fühlen unserer Energie beraubt.

Was macht ein Jäger, wenn er Hunger hat? Er jagt. Er kann es sich nicht leisten müde, unkonzentriert und schlapp zu sein. Wenn er nicht jagt, wenn er keinen Erfolg hat, dann stirbt er.

Das gilt für jedes Lebewesen. In der Natur liegt normalerweise ein hohes Investment vor der eigentlichen Nahrungsaufnahme. Das ist also nichts, was dem Menschen zu eigen ist.

Wir sehen hier einen seltsamen Widerspruch. Hunger macht mit uns etwas anderes, als er eigentlich sollte. Das bringt uns zur Frage, deren Antwort diesen Widerspruch auflösen wird:

Wieso emfinden wir Hunger heute anders?

Vergleichen wir zwei Anschauungen, die zeigen, was Hunger bedeutet.

Hunger in der Steinzeit

Hunger in seinem natürlichen Kontext: Wir befinden uns zunächst auf der Hungerseite. Bleiben wir hier, werden wir sterben. Also suchen wir uns Nahrung. Wir müssen jagen und sammeln. Wir laufen, sprinten, klettern und kämpfen. Wir sind aktiv, wir sind konzentriert, wir sind wachsam. Wir erhöhen den Energieverbrauch!

Ich wiederhole: Hunger bedeutet in aller erste Hinsicht nicht Energiezufuhr. Hunger bedeutet zuerst immer Energieverbrauch.

So ist die Grafik zu verstehen. Wir mussten über ein großes Hindernis um auf die Seite der Sättigung zu gelangen.

Hunger löst Bewegung aus.1

Das ist moderner Hunger:

Hunger Couchpotatoe

Hunger ist hier im Kontext unserer modernen Konsum- und Sitzgesellschaft abgebildet. Wir haben Hunger. Unser Energieverbrauch steigt an. Schließlich müssen wir zum Gefrierfach gehen, wir müssen die Pizza auspacken und auch noch in den Ofen schieben. Wir müssen zurück zum Sofa schlurfen und uns vor den Fernsehr plumpsen lassen. Danach stehen wir schon wieder auf! (OMGLOL, Aktivität!)

Der Widerstand um an das Essen zu kommen wirkt gewaltig. Wir sind manchmal so faul, dass wir sogar abwarten, bis uns die Werbung das Signal gibt, dass wir uns von unserer Seifenoper lösen dürfen. Vielleicht ist es deswegen so anstrengend, weil wir nur sieben Minuten Zeit haben bis unser Leben weiterverschwenden können. Jede Bewegung will wohlüberlegt sein. 2

Unsere biologische Uhr tickt anders

Wir befinden uns in einem eindeutigen Missverhältnis. Wo wir eigentlich wach, klar und bereit uns anzustrengen sein sollten, sind wir müde, abgeschlagen und unmotiviert.

Wenn die Behauptung richtig ist, dass Hunger aktiv und nicht lethargisch macht, dann reagiert der Körper auf Hunger mit Vorbereitung zur Aktivität und nicht auf Ruhe. Dazu nehmen wir im nächsten Abschnitt das Hormon Ghrelin unter die Lupe.

Ghrelin

Ghrelin ist ein Hungerhormon.3 Es ist das einzige bekannte Hungerhormon, dass außerhalb des Gehirns produziert wird. Daher ist es besonders interessant als direkte Verbindung von Gehirn zum Zustand des Verdauungsapparats.

Ghrelin ...

  • ... verbessert die Herzleistung.4 Der Körper bereitet sich auf Anstrengung vor und macht das Herzkreislaufsystem startklar.
  • ... erhöht bei akuter Gabe die Bewegungsfreudigkeit von Mäusen.5 Das ist exakt das, was Hunger machen sollte. Man fängt an nach Essen zu suchen. Das heißt nun einmal, dass man aktiv und motiviert ist.
  • ... ist wichtig für kognitive Funktionionen6 wie das Gedächtnis7. Das wache, klare Gefühl, was viele während des Fastens verspüren, kann man wenigstens teilweise diesem nootropischen Hungerhormon zuschreiben. Für die Jagd muss man wach und klar sein.
  • ... bewirkt bei Mäusen eine verbesserte Stressresistenz bei verschiedensten Tests.8 Die Forscher haben das an Hand von erzwungendem Schwimmtests und den Nagetieren zu eigenen Abneigung gegen offene Räume getestet. Interessant ist, dass sie den erhöhten Ghrelinspiegel durch eine Kalorienrestriktion erreicht haben (Hunger!). Klingt ziemlich nach Jagdvorbereitung.
  • ... erhöht den Blutzuckerspiegel [wenigstens nach akuter Gabe]. 9 So steht dem Gehirn mehr Energie zur Verfügung.
  • ... erhöht bei akuter Gabe den Dopaminfluss im Nucleus accumbens bei Mäusen 5, einem wichtigen Teil des Belohnungssystems.

Ghrelin als Hungerhormon bereitet den Körper durch verschiedenste Mechanismen auf Aktivität vor. Das neue alte Hungermodell - der Jägerhunger - ist bestätigt.

Wenn wir durch Hunger müde, abgeschlagen und unmotiviert werden, dann reagiert unser Körper also nicht so, wie er eigentlich sollte.

Wie sieht es mit den Katecholaminen aus? (Kleiner Hinweis: Adrenalin und Konsorten)

Katecholamine machen mobil

Die wichtigsten Katecholamine sind Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin. Sie haben verschiedenste Wirkungen wie erhöhte Kontraktionsfähigkeit der Muskeln, Freisetzung von Energiereserven und Ähnliches. Kurz gesagt: Katecholamine machen den Körper und den Geist bereit zu agieren.

  • Zauner et al. 10 stellten eine deutliche Erhöhung des Noradrenalinspiegels fest. Damit ging auch eine Erhöhung des Ruhemetabolismus einher.
  • Mansell et al. 11 stellten eine Senkung des Adrenalinspiegels fest (auch bestätigt durch Zauner et al.). Doch sie stellten eine Erhöhung der Sensitivität für Adrenalin fest. Diese machten sie für die Erhöhung des Ruhemetabolismus trotz niedrigeren Adrenalinspielgels verantwortlich.

Fasten erhöht nicht nur den Noradrenalinspiegel. Es erhöht auch die Sensitivität für Adrenalin. Das heißt, dass der Hunger nicht nur die Grundwachheit fördert. Für etwaige Belastungsspitzen sorgt er dafür, dass wir das produzierte Adrenalin effektiver nutzen können.

Wieder deutet alles darauf hin, dass Fasten und Hunger die Aktivität erhöhen. Der Körper scheint sich während des Fastens auf eine körperliche und geistige Aktivität einzustellen.

Die Relevanz des Ganzen?

Hunger ist einer der wichtigsten Taktgeber des Biorhythmus. Schließlich dreht sich die grundlegende Selbsterhaltung der gesamten Natur um das Verhältnis von Nahrungsaufnahme und Energieverbrauch. Daher ist es wichtig, dass dieser Taktgeber in den Kontext seiner Entwicklung gebracht wird.

Der natürliche Kontext des Hunger als Taktgeber ist eine lange Phase geringer Nahrungszufuhr mit hoher Aktivität und ein kürzere Phase mit hoher Nahrungszufuhr und geringerer Aktivität. Die Vorteile sind enorm:

  • Gesundheitliche Vorteile des Fastens, wie Neuroprotektion, verbesserte Insulinsensitivität, verringerte Entzündungsmarker usw.
  • Verringerte Frequenz von Mahlzeiten heißt auch, dass man sich weniger Gedanken um sein Essen machen muss und auch wird.
  • Erhöhter Fokus und Konzentration in den Fastenphasen. Der Hunger macht das, was er tun soll: Er macht uns wach, klar und fokussiert.

Neben der praktischen Relevanz hat das auch eine theoretische Relevanz: Fasten ist ein wichtiger Teil der Steinzeiternährung.

Es sollte eigentlich bereits intuitiv einleuchten, dass Ernährung mehr ist als nur die Nahrungsauswahl. Der Mensch hat sich nicht nur im Laufe der Evolution an eine bestimmte Auswahl von Nahrungsmitteln angepasst. Er hat sich ebenso an ein zeitliches Muster von Nahrungsaufnahme angepasst. Dieses Muster ist nicht nur von seiner Vergangenheit als Jäger und Sammler geprägt. Der Ursprung ist vielmehr eine der viel fundamentaleren Regeln der Natur: "Ohne Fleiß, keinen Preis."

Daher sehe ich intermittierendes Fasten als integralen Bestandteil der Steinzeiternährung: Steinzeiternährung, intermittierendes Fasten und Training

Praxisbezug

Die einfache Frage "Macht dich Hunger eher wach oder eher müde?" kann Aufschlüsse darüber geben, ob wir unser Stoffwechsel auf die ihm angestammte Weise funktioniert. Wenn Hunger uns müde macht, ist das ein Anzeichen dafür, dass etwas mit der Ernährung und der Lebensführung nicht stimmt.

In welche Handlungen können wir dies überführen?

  • Gestalte deinen Tag so, dass du eine Phase hoher Aktivität mit niedriger bis keiner Energiezufuhr hast und eine Phase niedriger Aktivität mit hoher Energiezufuhr hast. (Ein Schelm, wer an seine Erfahrungen mit intermittierendem Fasten denkt)
  • Ergreife Maßnahmen, die es dir ermöglichen die negativen Aspekte des Hungers zu verringern, so dass du die Vorteile von Ghrelin und den Katecholaminen nutzen kannst z.B. Kokosöl während der Fastenphase.
  • Kombiniere Tage mit hoher Aktivität mit relativ hoher Energiezufuhr und Tage mit niedriger Aktivität mit niedriger Energiezufuhr. Nur wer jagt und sammelt, kann essen.

Abschlussfragen

  • Macht Hunger dich wach und aktiv oder eher müde und träge?[^klar]
  • Was hälst du von intermittierendem Fasten? Welche Erfahrungen hast du damit gesammelt?

Ich bin gespannt, was ihr berichten könnt.

Bilder

Photo Credit: Tambako the Jaguar via Compfight cc


  1. De Vany, A. (2012). Die Steinzeitdiät. Kulmbach: Börsenmedien AG, S. 34.  

  2. Darstellung leicht dramatisiert.  

  3. Wren, A. M., Seal, L. J., Cohen, M. A., Brynes, A. E., Frost, G. S., Murphy, K. G., Dhillo, W. S., Ghatei, M. A., & Bloom, S. R. (2001). Ghrelin enhances appetite and increases food intake in humans. J Clin Endocrinol Metab, 86(12), 5992.  

  4. Enomoto, M., Nagaya, N., Uematsu, M., Okumura, H., Nakagawa, E., Ono, F., Hosoda, H., Oya, H., Kojima, M., Kanmatsuse, K., & Kangawa, K. (2003). Cardiovascular and hormonal effects of subcutaneous administration of ghrelin, a novel growth hormone-releasing peptide, in healthy humans. Clin Sci (Lond), 105(4), 431-5.  

  5. Jerlhag, E., Egecioglu, E., Dickson, S. L., Andersson, M., Svensson, L., & Engel, J. A. (2006). Ghrelin stimulates locomotor activity and accumbal dopamine-overflow via central cholinergic systems in mice: implications for its involvement in brain reward. Addict Biol, 11(1), 45-54.  

  6. Atcha, Z., Chen, W.-S., Ong, A. B., Wong, F.-K., Neo, A., Browne, E. R., Witherington, J., & Pemberton, D. J. (2009). Cognitive enhancing effects of ghrelin receptor agonists. Psychopharmacology (Berl), 206(3), 415-27.  

  7. Diano, S., Farr, S. A., Benoit, S. C., McNay, E. C., da Silva, I., Horvath, B., Gaskin, F. S., Nonaka, N., Jaeger, L. B., Banks, W. A., Morley, J. E., Pinto, S., Sherwin, R. S., Xu, L., Yamada, K. A., Sleeman, M. W., Tschöp, M. H., & Horvath, T. L. (2006). Ghrelin controls hippocampal spine synapse density and memory performance. Nat Neurosci, 9(3), 381-8.  

  8. Lutter, M., Sakata, I., Osborne-Lawrence, S., Rovinsky, S. A., Anderson, J. G., Jung, S., Birnbaum, S., Yanagisawa, M., Elmquist, J. K., Nestler, E. J., & Zigman, J. M. (2008). The orexigenic hormone ghrelin defends against depressive symptoms of chronic stress. Nat Neurosci, 11(7), 752-3.  

  9. Broglio, F., Arvat, E., Benso, A., Gottero, C., Muccioli, G., Papotti, M., van der Lely, A. J., Deghenghi, R., & Ghigo, E. (2001). Ghrelin, a natural GH secretagogue produced by the stomach, induces hyperglycemia and reduces insulin secretion in humans. J Clin Endocrinol Metab, 86(10), 5083-6.  

  10. Zauner, C., Schneeweiss, B., Kranz, A., Madl, C., Ratheiser, K., Kramer, L., Roth, E., Schneider, B., & Lenz, K. (2000). Resting energy expenditure in short-term starvation is increased as a result of an increase in serum norepinephrine. Am J Clin Nutr, 71(6), 1511-5.  

  11. Mansell, P. I., Fellows, I. W., & Macdonald, I. A. (1990). Enhanced thermogenic response to epinephrine after 48-h starvation in humans. Am J Physiol, 258(1 Pt 2), R87-93.