Disziplin in der Ernährung

Zusammenfassung: Pro-Bodybuilder allen voran werden als Paradebeispiele für Disziplin genommen. Doch Disziplin ist nicht ihr Geheimnis. Es sind ihre Werte und Glaubenssätze.

Eis oder Disziplin

Eine große der großen Herausforderung der guten Ernährung ist sie überhaupt auszuhalten. Man muss sich nicht nur in einem höheren Maße organisieren. Man muss sich schlussendlich auch öfter entscheiden und Versuchungen widerstehen. Missverständlicher Weise wird das oft unter dem Aspekt "Disziplin" abgelegt und als Verantwortung dem Einzelnen untergeschoben. Disziplin sollte meiner Meinung nach die letzte Antwort auf die psychische Herausforderung einer guten Ernährung sein. Um eine gute Ernährung mit den anderen Aspekten des Lebens zu vereinbaren, sollte man sich Mittel angeeignet haben, die Disziplin schlicht überflüssig machen.

Bodybuilder - Vorbildliche Disziplin?

Professionelle Bodybuilder werden oft als ultimative Beispiele von Disziplin inszeniert. Es sind moderne Helden auf einer Mission. Herausforderungen wie Versuchung, Ermüdung, soziale Widerstände werden mit Dizsizplin gemeistert. Das halte ich für eine falsche Vorstellung. Doch zunächst wollen wir uns dem vermeintlichen Gegenstand dieses Beitrags widmen: Disziplin

Disziplin - Was ist das?

Selbstdisziplin oder Selbstbeherrschung bezeichnet ein stetiges und eigenkontrolliertes Verhalten, das einen Ordnungszustand aufrechterhält oder schafft, indem es Anstrengungen aufwendet, die den vorherrschenden individuellen oder äußeren Ablenkungen von einer einzuhaltenden Zielvorgabe entgegenwirken. Wikipedia - Selbstdisziplin

Als diszipliniert bezeichnet wir ein Verhalten, dass auf ein Ziel gerichtet ist und gleichzeitig Ablenkungen unter Anstrengung abwehrt. Das bedeutet, dass wir verschiedene Optionen zu handeln haben:

  1. Eine Handlung, die auf das Ziel führt.
  2. Mindestens eine Handlung, die nicht auf das Ziel führt.

Diszipliniert ist jede Entscheidung, welche die erste Handlung zur Folge hat. Das gilt nur, solange es die zweite Option auch wirklich gibt!

Diese zweite Handlung muss gegenüber der ersten Handlung einen Anreiz haben. Der klassische Fall ist, dass die Handlung für das Ziel sich unangenehm anfühlt und die Ablenkung angenehm. Es geht bei Disziplin darum jetzt zu verzichten um später zu ernten.

Ist der Bodybuilder wirklich diszipliniert?

Vergleichen wir zwei Personen, wie sie auf eine Versuchung reagieren können. Wir sehen uns vor allem die Konsequenzen an, die eine Entscheidung nach sich ziehen würde.

Die Situation ist Folgende: Du spazierst mit deinem Partner an einem Samstag Nachmittag durch die Stadt. Du läufst an einer Eisdiele vorbei und dein Partner schlägt vor zusammen ein Eis zu essen. Danach könntet ihr euch doch einfach einen gemütlichen Abend machen. Eigentlich wolltest du sogar noch trainieren gehen, doch dein Partner schlägt vor auch mal fünfe gerade sein zu lassen. Du kannst das Training auch mal ausfallen lassen.

Wärst du ein Bodybuilder:

  • Der Genuss würde dir nicht viel bedeuten. Als Bodybuilder siehst du im Essen vielmehr seine Makronährstoffe. Du denkst nicht an Geschmack, sondern an die Nährwerte des Lebensmittels.
  • Das Eis bedeutet für dich eine willkommene Gelegenheit deinen Selbstwert zu erhöhen. Ein bisschen Geschmack wiegt nicht so viel, wie das erhabene Gefühl "Nein." gesagt zu haben. Du hast das Gefühl zu einer Elite zu gehören, weil du etwas tust, was "normale" Menschen nicht tun würden.
  • Bodybuilding ist für dich nicht nur ein Hobby. Es ist ein Lifestyle, der in jeden Bereich des Lebens durchtränkt hat. In dem Augenblick geht es nicht nur um ein Eis. Es geht um den ganzen Lifestyle, den du um dich aufgebaut hast. Das Eis zu essen wäre vielmehr eine Selbstverleugnung als bloß eine Ausnahme.

Was die meisten Menschen denken:

  • Das Leben sollte man auch genießen können. Ein Eis in der Sonne mit dem Partner zu essen bedeutet Lebensqualität. Darum geht es doch im Leben, oder?
  • Sei kein Spielverderber. Jetzt auf das Eis zu verzichten macht die ganze Stimmung kaputt - schließlich ist es ja nur eins. Es geht darum auch mal auf den anderen zuzugehen.
  • Die Diät soll nicht dein Leben fressen. Es geht doch um mehr als nur ums Essen und ums Trainieren. Der ständige Gedanke daran, was man jetzt Falsches gegessen hat, oder das schlechte Gewissen, mal nicht beim Sport gewesen bist: das sind Dinge, die du nicht in deinem Leben haben willst.

Wir sehen hier zwei völlig verschieden Wirklichkeiten. Je nach Perspektive, stellt sich die Situation völlig anders dar.1

Die erste Person hat alle Gründe auf dieses Eis abzulehnen. Man kann es nicht einmal Verzicht nennen, weil der Gewinn klein und der Verlust groß ist.

Die zweite Person hat dagegen alle Gründe dieses Eis zu essen. Der Verzicht bedeutet vor diesem Hintergrund nicht nur einen massiven Verlust an Lebensqualität. Er steht hier sogar völlig gegen die Glaubenssätze, die diese Person hat.

Die zentrale Frage ist hier: Haben sich beiden Personen wirklich entschieden oder war die Entscheidung schon längst getroffen? Offensichtlich brauchten sich beiden überhaupt nicht wirklich zu entscheiden, obwohl beide denken könnten, sie hätten einen echten Entscheidungsprozess durchlaufen.

Die Frage in der Überschrift kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Diese Situation wurde nicht durch Disziplin oder Laster entschieden. Sie wurde durch die Werte und die Glaubenssätze entschieden. Das ist etwas grundsätzlich anderes als Disziplin.

Die moderne Herausforderung

Das sind natürlich zwei extreme Gegensätze. Die meisten Menschen werden sich irgendwo dazwischen befinden. Das Problem ist, dass beide Personen wie Engel und Teufel auf deiner Schulter sitzen. Du musst immer wieder entscheiden.

An dieser Stelle habe ich bereits über das Problem der Entscheidungsermüdung geschrieben. Je häufiger wir uns entscheiden müssen, desto schlechter durchdacht und impulsiver werden diese. Das ist eine Form der Ermüdung, die uns nicht auffällt. Wir merken nicht, wie unsere Entscheidungen schlechter werden.

Wenn man Probleme hat eine Form der Ernährung durchzuhalten, ist Disziplin nicht die Antwort. Über kurz oder lang wird man zermahlen, wenn man sich nur auf Disziplin verlässt. Sie ist auch nicht das, was die beiden obigen Personen unterscheidet. Es sind die unterschiedlichen Werte und Glaubenssätze.

Wir sind in einer Welt des Überflusses gelandet, in welcher unser Hungergefühl nicht mehr richtig funktioniert. Die Lebensmittelindustrie überflutet uns überall mit Werbung. Bäcker blasen ihre Gerüche auf die Straße. An jeder Ecke gibt es Fettiges und Süßes zu essen. Wir müssen weder jagen noch sammeln um an unser Essen zu kommen. Wir kaufen es nur noch. Angesichts dieses überreichen Angebots ist der Verzicht und nicht die Fähigkeit Nahrung zu erarbeiten das, was wir brauchen.

Die Frage ist, wodurch wir den Verzicht erreichen. Durch Disziplin oder durch Veränderung unserer Glaubenssätze? Wenn du einen nachhaltige Veränderung deiner Gesundheit oder auch Leistungsfähigkeit anstrebst, dann gehe den letzteren Weg. Wenn es schwer wird, wirst du über kurz oder lang auf deine Überzeugungen und deine Gewohnheiten zurückfallen

Praxisbezug

  • Wenn du deine Ernährung umstellst, dann ziehe diese Umstellung mindestens 30 Tage ohne jede Ausnahme am Stück durch. Wer sich vorher einfach nach Lust und Laune ernährt hat, kommt aus einem Defizit. Das muss man zunächst ausgleichen. So wichtig es auch ist Entscheidungszwang zu vermeiden, manchmal führt kein Weg daran vorbei. Man muss die neue Ernährung erst zum Standard werden lassen. 30 Tage sind das Minimum. Egal, was passiert. Omas Geburtstag, der Junggesellenabschied vom besten Freund, die beste Freundin hat sich von ihrem Freund getrennt und will sich besaufen. Es gibt keine Ausnahme. Du musst erst lernen, die gesunde Ernährung anzunehmen.
  • Ein Schummeltag. An diesem Tag darfst du essen, was du willst. Man kann den Schummeltag nutzen, in dem man sich Gelüste schlicht aufschreibt und alles am Schummeltag wieder aufholt. Viele werden feststellen, wie gut sie sich mit einer vernünftigen Ernährung im Vergleich zu der Ernährugn am Schummeltag fühlen. Man wird dazu konditioniert gutes Essen auch zu mögen. Dass das Essen gesund und bekömmlich ist, wird bestärkt und der schnelle Genuss wird weniger wichtig. Um den Effekt zu verstärken, sollte man sich am Schummeltag auch wirklich alle Verrücktheiten gönnen, die man sich vorstellen kann.

Fragen

  • Soll essen für dich gesund oder lecker sein? Vielleicht sind beide Eigenschaften auch miteinander vereinbar.
  • Wie sind deine Erfahrungen mit Schummeltagen? Helfen sie dir deine Ernährung zu verbessern oder werfen sie dich eher aus der Bahn?

Fotos

Photo Credit: Sirsnapsalot via Compfight cc


  1. Natürlich habe ich hier extreme Beispiele genommen und stark vereinfacht. Wahrscheinlicher ist es, dass in jedem alle Gedanken kreisen und bei den beiden die jeweils andere Seite dominiert.