Lange Telomere, langes Leben -- Zelloptimierung durch Meditation

  1. Eine gute Meditationspraktik kann das biologische Alter reduzieren.
  2. Deine Psyche, nicht dein Gehirn, ist einer der Big Player deines Lebens.
  3. Praxis lernt nicht von Theorie, Theorie lernt von Praxis.

Meditation und Stress

Meditation hat eine lange Tradition. In unserer westlichen Tradition kennen wir sie vor allem als Stressmanagement. Das ist eher unserer Unfähigkeit geschuldet, Stress im Lebenswandel zu dosieren, als der eigentlichen Natur der Meditation. Nichtsdestotrotz führen die hier eingebürgerten Formen der Meditation zu einer Verbesserung der Stresssituation.1234

Dass sich unsere moderne Stresssituation auf unsere körperliche Gesundheit auswirkt, ist philosophisch interessant, aber empirisch-wissenschaftlich trivial. Das weiß jeder, der sich in einer Situation chronischen Stresses befindet.

Die viel interessantere Frage ist: Wie tief reicht der Effekt? Kurze Antwort: Er reicht bis hin zu unserer DNA.

Telomere und ihre Bedeutung

Telomere sind Endstücke an den Chromosomen, welche die DNA vor Schäden schützen. Sie werden durch jede Zellteilung verkürzt und diese Verkürzung wird durch oxidativen Stress verstärkt.5 Daher haben wir im Alter gewöhnlich kürzere Telomere.6

Telomerase ist ein Enzym, das ganz entscheidend daran beteiligt ist, die Länge der Telomere zu erhalten und die Zelle vor Schäden und einem vorzeitigen Zelltod zu schützen.5

Ausgehend von der These, dass Telomere sich stärker verkürzen, wenn man unter Stress leidet, sind sie ein vielversprechender Biomarker dafür, wie und ob sich Stress auf die Gesundheit auswirkt.78 Die Telomerlänge scheint keine reine Funktion des Alterns zu sein, sondern auch durch Stress stark beeinflusst zu werden.

Telomere vermitteln durch Korrelation den Stress mit verschiedensten gesundheitlichen Problemen. Da liegt auch das Problem: Stress wirkt indirekt, weil er mit Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel assoziiert ist, die ebenfalls die Telomerlänge reduzieren.7 Man kann also nicht unterscheiden, ob der Stress oder die mit Stress einhergehenden Sachverhalte dafür verantwortlich sind.7

Zusammenfassung: Telomere können unser biologisches Alter anzeigen. Stress scheint uns biologisch schneller altern zu lassen.

Meditation und Telomerlänge

Jacobs et al.9 ließen ihre Probanden für drei Monate einen Retreat machen. Sie haben während dieser Zeit täglich sechs Stunden meditiert oder meditationsähnliche Praktiken ausgeführt.

Die Forscher maßen dabei die Telomeraseaktivität, der Probanden und verglichen die Gruppen. Die Probanden, welche die drei Monate auf dem Retreat waren, hatten eine deutlich erhöhte Telomeraseaktivität.

Ebenfalls waren alle gemessenen Faktoren des psychischen Wohlbefindens verbessert. Gestiegen sind:

  • Achtsamkeit (Mindfulness)
  • Das Gefühl, ein sinnvolles Leben zu führen
  • Gefühlte Kontrolle über das eigene Leben

Neurotizismus ist dagegen gesunken.

Die Schwäche dieser Studie ist, dass für die Telomeraseaktivität keine Messung vor dem Retreat gemacht wurde. Lediglich nach dem Retreat wurde ein Unterschied zwischen den beiden Gruppen festgestellt. Leider kann auch nicht die Meditation an sich eindeutig als Ursache ausmachen. Dafür hätte die Kontrollgruppe einen Retreat machen müssen, aber währenddessen nicht meditieren dürfen.10

Telomerase ja, aber auch Telomere selbst?

Eingangs hatte ich erwähnt, dass der Sachverhalt, dass sich psychischer Stress auf die körperliche Gesundheit auswirkt, philosophisch interessant ist. Bisher haben wir uns lediglich vergewissert, dass psychischer Stress sich auf unsere Gesundheit auswirkt, was trivial ist. Weniger trivial ist, dass eine Meditationspraktik der negativen Auswirkung von Stress entgegenwirken kann. Bisher haben wir nur die Telomerase-Aktivität unter die Lupe genommen, aber können wir unsere Telomere nicht sogar verlängern?

Prinzipiell können Telomere verlängert werden.

  • Epel. et al.11 beobachteten in ihrer Kohorte, dass es einige Menschen gibt, welche die Telomere sogar verlängern konnten.
  • Farzaneh-Far et al.12 beobachteten in ihrer Kohorte, dass 23% der Menschen ihre Telomere verlängern konnten.
  • Nordfjäll et al.6 beobachteten in ihren Kohorten, dass ca. ein Drittel der Menschen über den Zeitraum eines Jahrzehnts die Länge ihrer Telomere konstant hielten oder sogar vergrößern konnten.

Wenn wir nun die Puzzleteile zusammensetzen, stellen wir fest:

  1. Telomerase dient dem Aufbau unserer Telomere.
  2. Meditation erhöht die Aktivität von Telomerase.
  3. Telomere können verlängert werden.
  4. Es fehlt noch das direkte Experiment zur Verlängerung der Telomere durch Meditation.

Über die naturwissenschaftliche Trivialität hinaus

Die obigen Aussagen sind naturwissenschaftlich noch nicht sehr gut verknüpft. Für jemanden, der sich für die wissenschaftlichen Grundlage von Meditation, Langlebigkeit und Auswirkungen von Stress interessiert, ist dies natürlich aufregend und interessant, treten wir aber einen Schritt zurück und beurteilen wir das aus der Sicht eines Pragmatikers, sind diese Ergebnisse nicht allzu aufregend:

Eine gute Meditationspraktik verbessert die Stresssituation. Das wussten wir auch vor all dem Fußnotensalat. Vielleicht war uns das Ausmaß nicht bekannt und auch die physiologischen Hintergründe dürfen uns als Pragmatiker interessieren, das macht die Ergebnisse bis zu diesem Zeitpunkt aber nicht praxisrelevanter.

Der nächste Schritt der empirischen Erforschung wäre eine genaue Erfassung der optimalen Reizkonfiguration, wie man in der Trainingswissenschaft sagen würde. Wie lang, wie heftig und wie oft müssen wir uns hinhocken und warten, damit wir endlich glücklicher werden?

Das zentrale Problem ist, dass wir es hier mit Phänomenen zu tun haben, die der empirisch-naturwissenschaftlichen Forschung nicht zugänglich sind. Wir können vielleicht das Gehirn eines Zen-Meisters beobachten und feststellen, dass es auf bestimmte Reize ungewöhnlich reagiert und irgendwelche Schlüsse auf ihre Wahrnehmung ziehen,13 aber wir können nicht den Moment der Erkenntnis messen, der sich nach wochenlangem Brüten über Zenrätsel ergeben kann. Wir können vielleicht bestimmen, bei welcher Wellenlänge von Licht wir eine Farbe sehen, aber die Empfindung der Farbe lässt sich nicht messen.

Was hat nun das Qualiaproblem und seine Implikationen für die Psychologie mit diesem Artikel zu tun?

Unsere geistige Haltung hat eine ganz besondere Bedeutung gerade auch für unsere körperliche Gesundheit. In einer Welt, die an der Zitze der Naturwissenschaft hängt, kann man leicht zwei Dinge aus den Augen verlieren:

  1. Eine funktionierende Praxis hat sich nicht vor der Wissenschaft zu rechtfertigen. Sie darf sich von ihr inspirieren lassen, aber zu ihren eigenen Bedingungen.
  2. Wissenschaft besteht auch außerhalb der Universitäten. Es ist eine Art des Denkens und keine Geheimkunst.
  3. Unsere Welt besteht nicht nur aus Atomen, Enzymen, Genexpression, Abgasen, Backsteinen und Giftmüllanlagen. Sie besteht aus dem Rätselhaften, dem Unaussprechlichen und der Seele.

Abschließende Worte

Bei wem würdest du in die Leere (Lehre) gehen, wenn du deine Psyche ordnen willst? Buddha oder einem Neurologen? Wollen wir wirklich unseren Lebenswandel verbessern, reicht es nicht aus, im Internet und womöglich in irgendeiner Facebookgruppe darüber zu lesen, wie andere glauben zu wissen, wie es geht, weil sie darüber im Internet oder in irgendeiner anderen Facebookgruppe gelesen haben. Wir müssen es tun.

Meditation ist einfach. Setz dich hin, bleib aufrecht und beobachte deinen Atem. Wenn du merkst, dass deine Aufmerksamkeit abdriftet, hol sie wieder zurück. Für eine kompliziertere Anleitung gehst du auf den Meditationsartikel auf Urgeschmack.

Das Allerwichtigste ist, dass du dein Gefühl und dein Innenleben aufmerksam beobachtest. Es hilft nicht, an die Telomerase in deinen Zellen zu denken oder darüber gelesen zu haben. Keine Studie der Welt kann dir Meditation beibringen.

Nicht sexy, aber kostenlose Zelloptimierung und vielleicht sogar ein Versteck für ein uraltes Philosophieproblem.

Bild

Via Pixabay


  1. Speca, M., Carlson, L. E., Goodey, E., & Angen, M. (2000). A randomized, wait-list controlled clinical trial: the effect of a mindfulness meditation-based stress reduction program on mood and symptoms of stress in cancer outpatients. Psychosom Med, 62(5), 613-22. Abstrakt 

  2. Whitebird, R. R., Kreitzer, M., Crain, A. L., Lewis, B. A., Hanson, L. R., & Enstad, C. J. (2013). Mindfulness-based stress reduction for family caregivers: a randomized controlled trial. Gerontologist, 53(4), 676-86. Abstrakt 

  3. Mackenzie, C. S., Poulin, P. A., & Seidman-Carlson, R. (2006). A brief mindfulness-based stress reduction intervention for nurses and nurse aides. Appl Nurs Res, 19(2), 105-9. Abstrakt 

  4. Shapiro, S. L., Astin, J. A., Bishop, S. R., & Cordova, M. (2005). Mindfulness-Based Stress Reduction for Health Care Professionals: Results From a Randomized Trial. International Journal of Stress Management, 12(2), 164-176. Abstrakt 

  5. E H Blackburn (1991): Structure and function of telomeres, Nature 6319, 1991, Vol. 350, S. 569-73. Abstrakt 

  6. Katarina Nordfjäll, Ulrika Svenson, Karl-Fredrik Norrback, Rolf Adolfsson, Per Lenner, and Göran Roos (2009): The individual blood cell telomere attrition rate is telomere length dependent, PLoS Genet 2, 2009, Vol. 5, S. e1000375. Abstrakt 

  7. Elissa S. Epel (2009): Telomeres in a Life-Span Perspective: A New “Psychobiomarker”?, Current Directions in Psychological Science 1, 2009, Vol. 18, S. 6-10. Abstrakt 

  8. Alexander K Koliada, Dmitry S Krasnenkov, and Alexander M Vaiserman (2015): Telomeric aging: mitotic clock or stress indicator?, Front Genet, 2015, Vol. 6, S. 82. Abstrakt 

  9. Tonya L Jacobs, Elissa S Epel, Jue Lin, Elizabeth H Blackburn, Owen M Wolkowitz, David A Bridwell, Anthony P Zanesco, Stephen R Aichele, Baljinder K Sahdra, Katherine A MacLean, Brandon G King, Phillip R Shaver, Erika L Rosenberg, Emilio Ferrer, B Alan Wallace, and Clifford D Saron (2011): Intensive meditation training, immune cell telomerase activity, and psychological mediators, Psychoneuroendocrinology 5, 2011, Vol. 36, S. 664-81. Abstrakt 

  10. Vielen Dank an Johannes für diesen Hinweis. 

  11. Elissa S Epel, Sharon Stein Merkin, Richard Cawthon, Elizabeth H Blackburn, Nancy E Adler, Mark J Pletcher, and Teresa E Seeman (2008): The rate of leukocyte telomere shortening predicts mortality from cardiovascular disease in elderly men, Aging (Albany NY) 1, 2008, Vol. 1, S. 81-8. Abstrakt 

  12. Ramin Farzaneh-Far, Jue Lin, Elissa Epel, Kyle Lapham, Elizabeth Blackburn, and Mary A Whooley (2010): Telomere length trajectory and its determinants in persons with coronary artery disease: longitudinal findings from the heart and soul study, PLoS One 1, 2010, Vol. 5, S. e8612. Abstrakt 

  13. Kasamatsu, A. & Hirai, T. (1966). An electroencephalographic study on the zen meditation (Zazen). Folia Psychiatr Neurol Jpn, 20(4), 315-36. Abstrakt