Mein Übertraining ist gesund

Vorbemerkung: Das ist ein Artikel, den ich 2018 geschrieben habe. Ich veröffentliche ihn nachträglich. In diesen Text sind Fragmente von Tagebucheinträgen eingearbeitet und wird sich daher nicht ganz wie ein gewöhnlicher Blogpost lesen.

Quelle

Lerne Leiden ohne zu klagen.

Das ist ein wichtiger Spruch für mein Leben. Deswegen tue ich mich schwer damit, auf diesem Blog über den Preis zu schreiben, den ich freiwillig bereit bin zu zahlen.

Was macht man, wenn etwas schwer ist, sich unangenehm anfühlt und einem emotionale Stiche versetzt? Man macht es!

Nach wie vor habe ich die Vermutung, dass eine sehr kohlenhydratreduzierten Kost in Kombination mit intensivem und gerade auch laktazidem Training einen besonderen Effekt auf Körper und Geist hat. Das waren zentrale Elemente meiner dreijährigen intensiven Trainingsphase.

Diesen Faden habe ich wieder aufgenommen. Ich arbeite gerade an einem geschlossenen Körper von Übungen und Methoden für das Thema organische Kraft. Dabei geht es darum, die geraden Bahnen zu verlassen, in die uns Liegestütz, Kreuzheben und Frontlever bringen. Ich möchte logische Progressionen in Übungen und Trainingsmethoden zusammenstellen, sodass ich eine Art Curriculum herstellen kann. Das sollen andere Menschen zum Trainieren nutzen können, aber auch darauf aufbauen und weiterführen.

Organisches Krafttraining macht man in höheren Wiederholungsbereichen. Nur wenige Übungen eignen sich für ein Maximalkrafttraining. Im Zuge meines eigenen Trainings bedeutet es, dass ich wieder wesentlich mehr Zirkeltrainings und ähnliche Methoden nutze. Und ich habe weiterhin eine äußerst kohlenhydratreduzierte Kost. Es gibt einen Tag der Woche, an dem ich meine Speicher auffülle (Sonntag mit After Eight natürlich). Sonst gibt es keine größeren Mengen. Ein Beispieltag meiner Ernährung ist folgender:

  • Mittags: Rinderherz mit Sauerrahm und Zwiebeln, Grünkohl, 50g dunkle Schokolade.
  • Abends: Eier (12--15) und Käse, Broccoli, Kürbis, Zwiebeln.

Mein gewöhnlicher Trainingstag dabei ist:

  1. Morgens: 20 Minuten Mobilität, bestehend aus Sonnengrüßen, Schwunggymnastik und Dehnen unter Last (Loaded Mobility). Weitgehend ohne längere Pausen, sodass gleichzeitig eine moderate Ausdauerbelastung entsteht.
  2. Vormittags: Alle 40 Minuten Zwischenroutinen. Unterschiedliche Intensitäten.
  3. Mittags: Ganzkörperkrafttraining. Sieben Sätze in den Hauptübungen, drei Sätze in den Nebenübungen. Alles mit 30--45 Sekunden Pause. (EMOM, Startintervalle)
  4. Nachmittags: Zwischenroutinen mit hauptsächlich lockeren Mobilitätsübungen.
  5. Abends: 10-15 Minuten Skills, Zirkeltraining/Intervalltraining, 15-30 Minuten, mit und ohne Atemrestriktion (per Gasmaske).

Das heißt, dass ich eine leichte (Morgens) und eine schwere (Mittags) Trainingseinheit im gefasteten Zustand absolviere. Die psychisch und metabolisch belastendste Trainingseinheit ist zwar nicht gefastet, ist aber weiterhin ohne externe Kohlenhydratzufuhr.

Fast den gesamten restlichen Tag sitze ich am Schreibtisch und arbeite dort. Abends arbeite ich solange wichtige Texte durch, bis ich zu erschöpft bin, um noch einen Satz zu entziffern. Nachts höre ich noch für 2--3 Stunden Vorträge und Interviews.

Hä? Nachts? Das ist die Überleitung zum Preis. Ich schreibe diese Worte am Ende einer dreiwöchigen Belastungsphase.1

Überlastungserscheinungen

Ich erforsche und teste an mir selbst. Man kann etwas nicht verstehen, wenn man seine Grenzen nicht kennt. Diese Grenzen kann man nur erkennen, wenn man sie überschreitet. Das ist riskant und gefährlich.

In der letzten Woche hatte ich schwer mit einigen Überlastungserscheinungen zu kämpfen:

  • Schlafprobleme. Deswegen habe ich auch nachts Podcasts gehört. Ich wusste, dass mein Körper von Stresshormonen gesättigt war. Ich hätte versuchen können, wieder einzuschlafen. Jeder weiß, dass es nicht funktioniert und noch mehr Chaos im Kopf verursacht, wenn an sich versucht zum Schlafen zu zwingen. Also habe ich es akzeptiert und mir vorsorglich diverse Podcasts abonniert.
  • Krämpfe. Vergangenen Mittwoch war es besonders schlimm. Während der Zwischenroutinen hatte ich Krämpfe im Rückenstrecker, als ich meine Wirbelsäule mobilisieren wollte. Als ich meine Schuhe zum Springen anzog, hatte ich Krämpfe im Bauch. Beim Sprinten begannen meine Waden zu verkrampfen. (Besonders nach meiner Wadenverletzung ein “interessantes” Gefühl).
  • Erhöhte Nervosität. Ich bin psychisch sehr robust und ausgeglichen. Doch in der letzten Woche habe ich gemerkt, dass mir bereits kleinere Alltagsereignisse ein mulmiges Gefühl im Bauch gemacht haben.
  • Erhöhte Melancholie. Von Depression weit entfernt fehlt mir dennoch der Enthusiasmus, mit dem ich gewöhnlich durch das Leben gehe.
  • Erhöhte Aggression. Letzte Woche wurde ich beinahe von einem Pitpull oder American Staffordshire angefallen, dessen Besitzer (Junkies) ihn nicht ganz unter Kontrolle hatten. Ich liebe Hunde.2 Gewöhnlich hätte ich versucht den Hund zu beschwichtigen. Doch in dieser Situation habe ich mich zum Kampf bereit gemacht. Beim späteren Adrenal Dump plagte mich passend zur oben erwähnten Melancholie das schlechte Gewissen dem Hund gegenüber. Hätte ich die Situation anders lösen können? (Der Hund hat seinen Angriff abgebrochen, als ich in die Konfrontation gegangen bin).
  • Körperliche Symptome. An meinen Fastentagen bin ich zwar sehr wach und fokussiert, dafür schwitze ich aber wie ein Schwein. Zu meiner gewöhnlichen Mittagszeit wird mir vom Sitzen klamm-kalt.

Ein Warum erträgt jedes Wie

Mit diesem Beitrag will ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was ich versuche mit diesem Projekt zu erarbeiten und dem, was ich mache. Mein persönlicher Lebenswandel ist eine spezifische Ausprägung der allgemeinen Prinzipien des Lebenswandels, die ich für dieses Projekt erarbeite. Meine Ziele unterscheiden sich erheblich von denen der meisten Menschen. Deswegen unterscheidet sich mein Leben ebenfalls erheblich in seiner Ausprägung von dem, was ich gewöhnlich als Empfehlung herausgebe. Doch die Grundprinzipien sind gleich:

  1. Bewegung kommt vor der Nahrungsaufnahme.
  2. Ich koche jeden Tag: Kochen ist ein Habitus.
  3. Mein Lebenswandel ist die Grundlage für meine Lebensziele und kein Selbstzweck.
  4. Ich baue mein Leben auf Gewohnheiten auf, sodass ich mein Leben mit viel gespeicherte Willenskraft und Lebenswandelkapital durchwandern kann.
  5. Ich mache das beste aus den schlechten Tagen.
  6. Ich beachte die Basics.

Auf ME-Improved erarbeite ich allgemeine Prinzipien des Lebenswandels. Die Arbeit vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen:

  1. Persönlich. Ich lebe die allgemeinen Prinzipien auf meine Weise. Darüber hinaus erforsche ich unbekanntes Gebiet. Das birgt Risiken, die ich eingehen will, damit andere es nicht machen müssen. Außerdem ist das der einzige Weg sich seine Integrität zu bewahren: Skin in the Game.
  2. Theoretisch. Die Prinzipien selbst sind keine Empirie. Es sind Theorien, die mit den Erfahrungen, meinen, der meiner Klienten, der Experimente des Wissenschaftssystems, Beobachtungssstudien, anderen Sportlern, anderen Trainern usw. übereinstimmen müssen.
  3. Empirisch. Theoretische Überlegungen haben ihren Wert nur, wenn sie durch Erfahrung (Wissenschaftlichkeit ist nur ein Element!) und schlussendlich die Realität bestätigt werden.

Aus diesem Grund habe ich den Lebenswandel von Susanne beschrieben. So kann die Anwendung der allgemeinen Prinzipien auch aussehen. Die erste Fliege ist also, dass ich klar haben will, dass die Prinzipien des guten Lebenswandels universell sind.

Die folgende Frage schwirrt manchmal als zweite Fliege in meinem Leben: Was ist mit Übertraining? Geht mir das nicht auf die Eier? Will ich nicht auch mal Fünfe gerade sein lassen? Habe ich keine Angst vor Schäden?

Wie machen das die Arbeiter in den Kohlebergwerken der Entwicklungsländer? Warum leben Frauen und Kinder in den Sweatshops? Was ist mit Übertraining von Holzfällern? Wieso haben meine Vorfahren den Holodomor überlebt? Wieso, wieso, wieso?

Wir Menschen sind unglaublich widerstandsfähig. Wir überleben Völkermord, Hungersnöte, Missbrauch, Krieg und vieles mehr. Das, was ich mache, ist angesichts dessen, was Menschen überleben, ertragen und woran sie sogar wachsen können, nichts. Wir sollten uns mehr zutrauen, denn wir können mehr.


  1. Ich periodisiere mein Training in drei Wochen Belastung und eine Woche Entlastung. 

  2. Heute habe ich selbst einen Hund. Ich liebe Hunde schon seit meiner Grundschulzeit.