Seth Roberts Selbstexperimente V - Stimmung und Gesichter am Morgen

Zusammenfassung: Auch unser Sozialleben hat sich nach den Regeln der Evolution entwickelt. Seth Roberts These, dass sozialer Kontakt ein Zeitgeber für den circadianen Rhythmus ist, scheint plausibel. Zu lernen gibt es jedoch viel mehr aus diesem Selbstexperiment.

Gesichter am Morgen vertreiben Kummer und Sorgen

Photo Credit: Weird Beard via Compfight cc

Vorabbemerkung: Bitte beachte, dass diese Selbstexperimente alles andere als wissenschaftlich gesicherte Sachverhalte liefern. Es können nur Anlass geben Fragen zu stellen. Es sind Hypothesen, die man auf der einen Seite wissenschaftlich und auf der anderen Seite persönlich testen kann.

Dieses Experiment hat Seth in seinem Beitrag The Growth of Personal Science: Implications for Statistics vorgestellt.

In diesem Selbstexperiment ging Seth von der These aus, dass sozialer Kontakt ein Taktgeber für den circadianen Rhythmus ist.

Um dies zu testen, ging er von der Annahme aus, dass Fernsehen einen ähnlichen Effekt hat. So begann er damit, morgens einem Monolog von Jay Leno für 20min anzusehen.

Während er zunächst keinen Effekt auf seinen Schlaf feststellen konnte, war er am nächsten Morgen auffällig gut gelaunt. So begann er verschieden Experimente durchzuführen. Je näher er sich den Eigenschaften einer Unterhaltung näherte, desto größer war der Effekt.

Erklärung

Seth Roberts erklärt dies auf Basis unserer Wurzeln als Jäger und Sammler. Als soziale Lebewesen ist es sinnvoll unseren Tagesrhythmus aufeinander abzustimmen. Wenn wir uns gegenseitig sehen, wie wir wach sind, scheint das Gehirn dies als Rhythmusgeber zu nutzen. Wenn die anderen aufwachen war es sinnvoll, dass wir auch aufwachen.

Entsprechend aktivieren uns soziale Interaktionen. Soziale Interaktionen sind kein Facebook, Whatsapp und ähnliche Unarten. In meinen Augen ist es traurig, dass wir in einer so einsamen Welt leben, dass man sich überhaupt mit einer Aufzeichnung behelfen muss wie Seth Roberts.

Kategorien der Gesundheit

Soziale Interaktionen fallen unter den Bereich Kognition. Sie machen uns wach und glücklich. Sie aktivieren uns.

In den meisten Fällen ist unsere kognitive Belastung zu hoch und äußert sich als negativer Stress. Straßenverkehr, Zukunftsängste, Karriere, das konstante Bombardement der Medien - all diese Faktoren addieren sich zu einer enormen Alltagsbelastung auf. Stress ist in unserer modernen Welt fast immer Distress.

Nun könnte man einwenden, dass soziale Interaktionen unter dem Bereich der Ruhe fallen. Schließlich suchen wir die Aufmerksamkeit unserer Mitmenschen, wollen uns mitteilen und wollen uns austauschen. Haben wir ein funktionierendes soziales Leben fühlen wir uns erheblich entspannter und besser.

Dieser Einwand vermischt nun das Wohlbefinden als Resultat mit der Funktion der Jin-Seite. Was heißt das?

Belastungen wie Fasten, Bewegung oder Kognition führen nicht minder zu Wohlbefinden, sowohl im Augenblick als auch langfristig.

  • Während des Fastenfensters können wir uns wach und konzentriert fühlen.
  • Während eines 10km-Laufs können wir uns klar fühlen und unsere Gedanken beruhigen.
  • Während eines Computerspiels können wir in den Zustand des Flows eintreten.

Ob wir diese Stressbelastungen als etwas positives Empfinden hängt davon ab, ob wir genügend Ausgleich auf der Jin-Seite finden.

  • Während des Fastenfensters können wir uns müde und lethargisch oder sogar gereizt und instabil fühlen. Haben wir zu viel kognitiven Stress, überlasten uns körperlich oder haben zu wenig Schlaf und Ruhe, kann Fasten zu einem negativen Faktor werden.
  • Während eines 10km-Laufs können wir Krämpfe kriegen oder uns schwach und machtlos fühlen. Haben wir muskuläre Dysbalancen können wir Rückenschmerzen oder Knieprobleme kriegen. Haben wir zu wenig Glykogen gespeichert und nicht den entsprechenden Fettstoffwechsel, fehlt uns die Energie zum laufen. Schlafen wir nicht richtig, sind wir ebenfalls geschwächt.
  • Während eines Computerspiels können wir uns einfach überfordert fühlen. Haben wir einen stressigen Alltag, können wir uns von der Anforderung des Multitaskings und den schnellen Bewegungen bedrängt fühlen.1

So ähnlich verhält es sich mit sozialen Interaktionen. Sie erfordern ein hohes Maß an Empathie, Rücksicht und Kognition, damit die Kommunikation gelingt. Hier liegt z.B. ein Grund, weshalb Kindergärtner und Lehrer unter einem enormen Stress leiden.

Kindern fehlt nämlich (gerade in Gruppen) Empathie, Rücksicht und Kognition um ihren Teil der zum Gelingen beizutragen. Nun kann man natürlich einwenden, dass Kinder sehr wohl zu Empathie und Rücksicht fähig sind. Ich bin ebenso dieser Meinung und glaube, dass Kinder uns durch ihr naives Gerechtigkeitsempfinden und ihrem intuitiven Wunsch anderen etwas Gutes zu tun ein Vorbild sein können.

[pullquote position="right" hidden="true"]Ist es nicht seltsam, dass wir als Kultur ein so großes Problem mit Zivilcourage haben und wir andererseits unsere Kinos mit Liebeskomödien überfluten?[/pullquote]

Dies ist aber nicht die Realität, die man im Kindergarten erlebt. Kinder schreien und rennen. Sie ärgern sich gegenseitig und heulen herzzerreißend, wenn sie hingefallen sind. Wenn ich mich an meine Kindergartenzeit erinnere, dann bin ich beeindruckt von meiner Kindergärtnerin, dass sie uns nicht regelmäßig durch die Fensterscheibe geworfen hat. (z.B. haben ich und mein bester Kindergartenfreund einem Neuen Kind über 50 Knoten in die Schnürsenkel gemacht. Das hat meine Kindergärtnerin mindestens 30min nervigste Arbeit gekostet. Einen Gruß an dieser Stelle an Frau Wolli)

Wohlbefinden kommt durch die Harmonisierung der Kategorien zu Stande und unsere Fähigkeit mit Aktivitäten dieser Kategorien umzugehen.

Dieses Selbstexperiment hat mir noch einmal deutlich vor Augen geführt, dass es auf die Harmonisierung der Lebensbereiche ankommt, will man Gesundheit und Fitness erreichen.

Während meiner anfänglichen Überlegung habe ich Sozialleben als einen Teil der Kategorie der Ruhe eingeordnet. Diese Intuition hatte ich, weil ich zunächst an das nährende und wohltuende Gefühl gedacht habe, wenn wir uns geliebt und wertgeschätzt fühlen.

Doch wenn man an intensivere Momente denkt, wie das Gefühl innigster Zweisamkeit oder eine ausgelassene Party, ist es einleuchtend, dass uns Sozialleben auch Energie kostet - so wie Sport uns Energie kostet und wir uns gerade in den Augenblicken der totalen Verausgabung besonders wohl fühlen.

Wie in den Alltag einbinden

Wenn du einen Partner hast, dann nimm' dir Morgens ein paar Minuten Zeit gemeinsam zu reden und das Frühstück einzunehmen. Ich gehe z.B. meinem Mitbewohner bereits morgens auf die Nerven.

Wenn du tatsächlich in der Position bist, dass du morgens völlig alleine aufwachst und keine Möglichkeit zur sozialen Interaktion hast, kannst du dir mit verschiedenen Podcasts behelfen. Das Internet ist voll mit interessanten Videos und gleichzeitig machst du etwas für dein Wohlbefinden.

Unabhängig von der ganzen Thematik um die circadiane Rhythmik ist es wichtig sich aktiv mit seinen Mitmenschen auseinanderzusetzen. So wie man die halbe Stunde auf dem Fahrradergometer nicht einfach absitzen sollte, sollte man sich aktiv um seine Mitmenschen kümmern. Ein Arbeitskollege kann eine unangenehme Bürde sein, wenn er dir ständig mit seinen Problemen mit seiner Ehefrau in den Ohren hängt. Er könnte aber auch ein belasteter Mensch sein, der nach Aufmerksamkeit sucht und dir auch ein offenes Ohr schenkt, falls du es brauchst. Wie so vieles, hängt dies von der Bedeutung ab, die wir der Welt zuweisen.

Ein interessanter Gedanke ist, dass die gewaltige Zeit, die wir als Gesellschaft mittlerweile ins Fernsehen und ähnliche Medien investieren, eine Art Selbstmedikation ist, die auf einer grundsätzlichen Einsamkeit in unserer modernen Kultur zurückzuführen ist.

Ist es nicht seltsam, dass wir als Kultur ein so großes Problem mit Zivilcourage haben und wir andererseits unsere Kinos mit Liebeskomödien überfluten?

Fragen

  • Welche Argumente sprechend außerdem dafür, dass Soziales in den Bereich der Kognition gehört?
  • Welche Argumente sprechend dafür, dass Soziales in den Bereich der Ruhe gehört?
  • Wie befremdlich ist der Gedanke, dir morgens einen Monolog anzusehen um deine Stimmung zu verbessern?

  1. Ich gehe immer davon aus, dass Computer spielen nicht als zu nerdig abgelehnt wird. :)