Steinzeiternährung - Der Anfang vom Untergang
Zusammenfassung: Die Steinzeiternährung ist eine Übergangsphase von Natur zur Kultur. Bereits hier ist die Saat für spätere Probleme gesät. Daher sollten die Steinzeiternährung nur ein Modell unter vielen Ernährungsmodellen sein, von denen man lernt.
Die Steinzeiternährung ist eine der aufstrebenden und meiner nach vielversprechendsten Paradigmen der Ernährung. Doch ist die Steinzeit bereits die erste Übergangszeit, in welcher wir Menschen begannen unsere Gesundheit zu unterwandern.
Die Forderung der Steinzeiternährung ist, dass wir uns in einen Kontext begeben, in dem unsere Gene sich optimal entfalten können. Doch bereits in der Steinzeit begannen wir uns in einen Kontext zu begeben, in welchem grundlegende Prinzipien einer guten Ernährung verletzt werden.
Vorratshaltung
Die Nahrungsaufnahme ist durch den Zwang Nahrung durch körperliche Anstrengung zu sammeln direkt an den Energieverbrauch gekoppelt. Man kann nur genau das essen, was man sich auch erarbeitet hat.
Das bedeutet auch, dass eine zeitliche Reihenfolge festgelegt war. Wir mussten erst die Nahrung beschaffen und dann konnten wir sie auch essen.
Dieses "Wir" schließt unsere gesamte Evolution ein. Die ganzen 4.5 Milliarden Jahre. Dies ist eine der Schwächen des Paradigmas der Steinzeiternährung. Es zieht eine künstliche Grenze und behauptet: Ab hier ist die damalige Ernährung wichtig und ab hier nicht mehr.
Unsere biologische Evolution dauert genau von dem Zeitpunkt an, an welchem das erste Leben entstanden ist. Genau genommen reicht unsere Evolution bis an den Beginn des Universums zurück. Die Prinzipien Variation, Selektion und Vererbung sind keinesfalls auf biologische Systeme beschränkt.
Kehren wir zurück zu uns als Jäger und Sammler. Solange wir jede unsere Nahrung zeitnah jagen oder sammeln mussten, befanden wir uns in einem Kontext, der Milliarden Jahre bestanden hatte.
Aus diesem Zusammenhang haben wir uns gerissen, als wir begannen Nahrung haltbar zu machen. Die Vorratshaltung war geboren.
Als wir in der Lage waren Nahrung über längere Zeit Nahrung haltbar zu machen konnten wir den akuten Zusammenhang zwischen Nahrungsaufnahme und Energieverbrauch lockern.
Die direkte und akute Kopplung von Nahrungsaufnahme und Energieverbrauch hatte folgende Effekte:
- Sie brachte Energieverbrauch zeitlich vor die Nahrungsaufnahme.
- Sie zwingt zum Energieverbrauch, der in etwa der Nahrungsaufnahme entspricht. Genau das macht das Kalorienzählen überflüssig.
Die Entkopplung von Nahrungsaufnahme und Energieverbrauch kam erst nicht zum tragen. Schließlich war das Leben über lange Zeit bestimmt von körperlicher Anstrengung.
So war körperliche Anstrengung wenigstens teilweise vor dem Energieverbrauch und darüber hinaus auch einigermaßen hoch bei einigermaßen knappen Nahrungsangebot.
Das Problem entgleiste, als wir nicht mehr zu körperlicher Anstrengung gezwungen waren und sich das Nahrungsangebot in einen Nahrungsüberfluss wandelte.
Was wie ein Überflussproblem der modernen Konsum- und Fresskultur scheint, begann in Wahrheit schon während der Steinzeit. Die Steinzeit war der Anfang der Entkopplung des Menschen von einem Jahrmilliarden andauernden Zusammenhang.
Auf diese Herausforderung kann man unter anderem mit intermittierendem Fasten begegnen.
Zu der Verbindung von intermittierendem Fasten und der Steinzeiternährung siehe hier (Link).
Direkt zu einem kleinen Überblick zum intermittierendem Fasten, siehe hier (Link).
Vergeistigung
Warum ist es vernünftig zu sagen, dass wir für dieses oder jenes angepasst sind? In der Steinzeiternährung ist das eine oft verwendete Argumentfigur:
(1) Wir sind für Umwelt X angepasst.
(2) Wir sind gesund, solange wir in einer Umwelt leben, die X entspricht.
(3) Also: Eigenschaften von X sind gesund.
Das ist eine Variante des grundlegenden Arguments der Steinzeiternährung. An den Voraussetzungen (1,2) des Schlusses (3) hängen aber noch wichtige Vorbedingungen.
Die wichtigste Bedingung ist, dass Gesundheit und Fitness auch Selektionsfaktoren in dieser Umgebung waren. Den Herausforderungen der Umwelt sind wir mit unseren Körpern begegnet.
Wir haben Kraft und Ausdauer entwickelt um uns im Kampf gegen Fressfeinde um Beutetiere und auch gegen Konkurrenten der eigenen Art zu wappnen. Wir haben ein Immunsystem entwickelt um der Bedrohung von Krankheiten und Infektionen zu begegnen. Wir haben ein Verdauungssystem entwickelt um Nahrung, die eigentlich keine sein will, verdauen zu können.
Unser wachsender Intellekt hat uns dieses Zusammenhangs enthoben. In dem Maße, in welchem wir klüger geworden sind und unseren Verstand für unser Überleben eingesetzt haben, haben wir unsere Körper geschwächt.
Unsere sozialen Fähigkeiten haben unser Immunsystem geschwächt. Als Einzelgänger brauchten wir eine enorme Widerstandskraft, denn eine Infektion ist sofort lebensbedrohlich, weil wir sofort von der Nahrungszufuhr abgeschnitten waren. Durch Hilfeleistung ist es nicht mehr so schlimm, wenn wir eine oder auch zwei Wochen nicht in der Lage sind zu jagen oder zu sammeln. Unsere Gruppe kann uns versorgen und wir können nach überstandener Krankheit wieder unseren Beitrag leisten. Ein starkes Immunsystem ist hier nicht mehr so wichtig wie vorher.
[pullquote position="right" hidden="true]In dem Maße, in welchem wir klüger geworden sind und unseren Verstand für unser Überleben eingesetzt haben, haben wir unsere Körper geschwächt.[/pullquote]
Unser Verstand hat unseren Körper geschwächt. Als wir begannen unsere Beute mit Speeren und ausgeklügelten Taktiken zu jagen, wurden Stärke, Schnelligkeit und Ausdauer weniger wichtig. Unser Verstand hat diese Aufgabe übernommen.
Die Steinzeit ist eine Übergangsphase von einer noch relativ körperorientierten Begegnung der Umweltanforderungen zu einer vergeistigten Begegnung der Umweltanforderungen. Körperliche Gesundheit und Fitness wurden hier immer weniger wichtig. So begannen wir sie hier schon zu verlieren.
Die Steinzeit begann vor 2,6 Millionen Jahren. Wenn wir das als den Beginn der vergeistigten Begegnung von Umweltanforderungen annehmen, bleibt viel Zeit um uns zu schwächeren und ungesünderen Wesen zu selektieren.
Kultur
Wir können davon ausgehen, dass sich die Kultur bereits in der Steinzeit zu entwickeln begann. Kulturelle Entwicklungen sind unserer Gesundheit nicht unbedingt zuträglich.
So gibt es einige Völker, die noch als Jäger und Sammler leben, aber einigen ihrer Mitglieder eine optimale Ernährung aus kulturellen Gründen verwehren.
Es ist nicht selten, dass Frauen der Zugang zu bestimmten Nahrungsmitteln verwehrt wird und insbesondere zu welchen, die von Männern besonders begehrt sind.1
Willkommen im Patriachat. Wenn wir von einer steinzeitlichen Kultur ausgehen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass Frauen ein Teil der Jagdbeute verwehrt blieb.
Schlussbemerkungen
Mit diesem Beitrag will ich dem vorweggreifen, dass die Steinzeiternährung zur Götze wird. Oft wird die Steinzeiternährung mit irgendeiner Art von Optimum gleichgesetzt. Dann wird "die in der Steinzeit haben es ja auch gemacht" als eine hinreichende Begründung angenommen, die ist es sicherlich nicht.
Viele gehen von einem einfachen Beobachtungsschluss aus: Sie beobachten Völker, die noch als Jäger und Sammler leben (häufig noch auf steinzeitlichem Technologiestand) und stellen fest: Die sind ja richtig gesund.2345
Daraus schließen viele, dass der Grund dafür die Ernährung ist. Das ist nicht gültig. Es ist auch möglich, dass diese Völker so gesund sind, trotz ihrer Ernährung. Vielleicht ist ihre sonstige Lebensweise dafür verantwortlich und die Ernährung ist gerade nicht optimal. Daher sollte man solche Beobachtungen nutzen um Fragen zu stellen. Die Antworten auf diese Fragen, sollte man dann möglichst durch andere Methoden (z.B. Experimente) gewinnen und prüfen.
In der Evolution geht es nicht um optimale Gesundheit. Eine Evolution produziert gerade so viel Gesundheit, dass ihr Nutzen nicht ihre reproduktiven Kosten übersteigt. Wir könnten vielleicht noch gesünder sein, wenn wir in einigen Punkten von der Steinzeiternährung abweichen.
Nicht alles, was in der Steinzeit schon gemacht wurde, führt zu mehr Gesundheit. Bereits hier findet die Loslösung von einem Zustand statt, welcher für uns seit Milliarden Jahren Bestand hatte. Es gilt den Blick zu weiten und sich zu fragen: Was kann ich von meinen steinzeitlichen Vorfahren lernen. Sowohl von ihrem Wissen als auch von ihren Fehlern.
Deswegen beschränkt sich meine Suche nach der guten Ernährung nicht auf die Steinzeit. Unsere Evolution auf die Steinzeit oder auf das Bestehen der Gattung Homo zu beschränken ist ungerechtfertigt. Ich führe daher die Steinzeiternährung unter dem Label Theorie der artgerechten Ernährung als eine Form der Ernährung, in welcher wir in vielerlei Hinsicht noch in einem guten Kontext gelebt haben.
Fragen
- Was hältst du vom Gedanken, dass wir auch von der Ernährung von anderen Säugetieren etwas lernen können? Zu abwegig oder gleichberechtigt zur Steinzeiternährung?
- Wie oft bist du schon bei der Begründung "die haben das damals ja auch schon gemacht, also ist das gut" stehen geblieben, ohne zu genauer nachzuforschen?
Bilder
Photo Credit: cote via Compfight cc
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Rosenberg, E.M., (2010). Demographic Effects of Sex-Differential Nutrition, in: Nutritional Anthropology, Hrsg: N. W. Jerome, Pleasantville, S. 184/185 ↩
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Lindeberg, S., Nilsson-Ehle, P., Terént, A., Vessby, B., & Scherstén, B. (1994). Cardiovascular risk factors in a Melanesian population apparently free from stroke and ischaemic heart disease: the Kitava study. J Intern Med, 236(3), 331-40. ↩
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Lindeberg, S. & Lundh, B. (1993). Apparent absence of stroke and ischaemic heart disease in a traditional Melanesian island: a clinical study in Kitava. J Intern Med, 233(3), 269-75. ↩
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McCullough, M. L., Chevaux, K., Jackson, L., Preston, M., Martinez, G., Schmitz, H. H., Coletti, C., Campos, H., & Hollenberg, N. K. (2006). Hypertension, the Kuna, and the epidemiology of flavanols. J Cardiovasc Pharmacol, 47 Suppl 2, S103-9; discussion 119-21. ↩
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Eaton, S. B., Pike, M. C., Short, R. V., Lee, N. C., Trussell, J., Hatcher, R. A., Wood, J. W., Worthman, C. M., Jones, N. G., & Konner, M. J. (1994). Women's reproductive cancers in evolutionary context. Q Rev Biol, 69(3), 353-67. ↩