Wie man nicht gegen die Steinzeiternährung argumentieren darf
Für den Fall, dass du meine vergangenen Artikel über die Steinzeiternährung nicht gelesen hast, fasse ich meinen Standpunkt zum Thema einmal für dich zusammen:
Die Theorie einer Steinzeiternährung oder, wie ich es nenne, das Paleoparadigma ist der vielversprechendste Start, wenn man sich einer Theorie der guten Ernährung nähern will. Das gilt sowohl im streng wissenschaftlichen Sinne als auch bei der Findung deiner persönlichen guten Ernährung.
Im Artikel Steinzeiternährung, intermittierendes Fasten und Training habe ich das Paleoparadigma verwendet, um die enge Verbindung von Nahrungsauswahl und Nahrungstiming zu verdeutlichen. Wenn man das Paleoparadigma annimmt, kann sich dieses nicht nur auf die Auswahl der Nahrung beziehen. Um es konsequent zu denken, muss auch eine Form des intermittierenden Fastens mitgedacht werden.
Die erste Intuition vieler ist anzunehmen, dass ich an diesem Punkt schon gesagt habe: Faste intermittierend.
Das ist falsch. Bis zu diesem Punkt habe ich die Gesundheit der Steinzeiternährung nicht belegt Nur weil man damals sehr wahrscheinlich ein dem intermittierenden Fasten ähnliche Nahrungsaufnahme hatte, heißt das nicht, dass man sich davon Vorteile versprechen darf.
Ich habe diesen Artikel nicht geschrieben, um einen solchen Fehlschluss darzustellen. Daher habe ich das intermittierende Fasten mit anderen Mitteln begründet. Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch nicht den Überblicksartikel zum Thema intermittierendem Fasten geschrieben, so dass ich auf fremde Beiträge von Mark Sisson und Jack Kruse verwiesen habe. Lediglich um dem Einwand, Hunger mache müde, zu begegnen, habe ich ich meinen Hungerartikel verlinkt.
In diesen Artikeln wurden Vorteile des intermittierenden Fastens erläutert, die auf direkten Untersuchungen basierten und nicht auf dem indirekten Bezug auf die Steinzeiternährung. Letzteres wäre falsch.
Zusammengefasst will ich sagen: Man darf keinen gesundheitlichen Vorteil des intermittierenden Fastens und des gefasteten Trainings darauf begründen, dass in der Steinzeit erst gejagt und dann gefastet wurde.
Eine solche, falsche Strategie die Steinzeiternährung zu begründen folgt meistens aus der historischen Definition dieser Ernährungsform:
Steinzeiternährung ist alles das, was wir vor 10000 Jahren gegessen haben.
Formal gesehen ist eine Steinzeiternährung nur dann möglich, wenn du irgendwelche Fossilien nascht. Das ist es, was die falsche Kritik an der Steinzeiternährung versucht. Broccoli sei beispielsweise in der Steinzeiternährung nicht verfügbar gewesen und daher "nicht paleo".
Es ist ohnehin sehr schwer genau zu sagen, was die Menschen damals gegessen haben. Vernünftiger ist es, wenn man das Prinzip der Steinzeiternährung, nämlich Jagen und Sammeln, als Hypothese nimmt und von dort aus weiter forscht.
Nehmen wir an, du willst die Steinzeiternährung dekonstruieren und gegen ihre Richtigkeit argumentieren, wie würdest du vorgehen?
Ich hoffe nicht, dass du versuchen würdest, zu zeigen, dass die Steinzeitmenschen ja schon viel früher Getreide und Milch gegessen haben, als es gemeinhin angenommen wird. Damit holst du dir genau den Fehlschluss ins Boot, welcher diese Argumentation im Vorhinein falsch macht.
Einerseits darf man die Gesundheit einer Ernährungsform nicht damit begründen, was irgendwelche Leute gemacht haben (sei es in der Vergangenheit oder in der Gegenwart!). Andererseits bringt es nichts an der Begründung zu mäkeln, wenn das Prinzip selbst schon falsch ist. Damit hat man nicht gegen die Steinzeiternährung argumentiert. Man hat lediglich einen der möglichen Begründungszusammenhänge als sachlich falsch entlarvt.
Sehen wir uns mal an, wie das in der Praxis aussieht.
John Kiefer vs. Paleo
In dem Artikel hat der gute Mr. Kiefer einige Versuche unternommen, einige Grundpfeiler der Steinzeiternährung niederzureißen.
1. Getreide
Er verwendet 20 Referenzen, um zu belegen, dass der Getreidekonsum deutlich früher angefangen hat, als man gemeinhin annimmt.
Dann kommt er zum Schluss:
Bottom Line: Humans evolved eating grains for at least 23,000 years and likely longer, and are well adapted to consuming them. (Meine Hervorhebung)
In keinem Wort prüft er, ob Getreide tatsächlich unproblematisch ist. Sein Schluss ist völlig ungerechtfertigt. Es ist völlig egal, ob die Menschen damals nun Getreide gegessen haben oder nicht.
Damit verbleibt er auf der Ebene falschen Denkens, die er selbst versucht zu dekonstruieren.
Wenn man Getreide an sich untersucht, wird man feststellen, dass es alles andere als ein gutes Lebensmittel ist: Getreide - Ein kleiner Überblick
2. Milch
Hier hat er zwei Wege dafür zu argumentieren, dass wir Milch gut vertragen:
- Die gleiche Strategie wie beim Getreide. Er versucht zu belegen, dass Milch schon sehr früh konsumiert wurde.
- Er zeigt die weite Verbreitung der Laktosetoleranz.
Den ersten Weg werden nicht weiter verfolgen. Im vorhergehenden Abschnitt habe ich schon genug dazu geschrieben.
Der zweite Weg ist unvollständig und zeigt, dass er sich nur sehr oberflächlich mit der Steinzeiternährung beschäftigt haben kann.
Das Casein, das Hauptmilchprotein, wird von Seiten der Paleogemeinde als problematisch dargestellt.
Abgesehen von dem Fehler, Verträglichkeit mit der Dauer des Kontakts zu identifizieren, macht er zwei Fehler:
- Er verpasst zu zeigen, dass Casein für die meisten Menschen gut verträglich ist.
- Nur weil Laktose gespalten werden kann, heißt es nicht, dass dieses Kohlenhydrat unproblematisch ist. Das Gegenbeispiel ist Alkohol. Alkohol ist ein von uns Menschen verarbeitbares Kohlenhydrat, das ohne Zweifel in schon geringen Dosen zu Problemen führt. Er nur eine Toleranz aufgezeigt. Ich toleriere zum Beispiel Toilettenpapier sehr gut, doch das macht es nicht zu einem guten Lebensmittel.
Wiederum eine völlig dilettantische Kritik.
3. Yams und Süßkartoffeln
Hier treibt er das Zeitargument auf die Spitze. Er schreibt:
Weil wir Menschen länger mit Getreide in Kontakt als mit der Kartoffel in Kontakt sind, sind wir besser an Getreide als an die Kartoffel angepasst.
Das zeigt ein völlig falsches Verständnis von Evolution, denn ohne evolutionären Druck, ohne eine Selektionsrichtung, passt sich nichts und niemand an. Zeit ist nur eine der Voraussetzungen für eine Veränderung
Es gibt auch Maladaptionen, die es enorm schwierig machen, mittels eines Evolutionsarguments konkrete Sachverhalte der Welt zu begründen! Besonders schwierig wird es, wenn wir bedenken, dass einige Eigenschaften sowohl Vor- als auch Nachteile haben.
Abschließende Worte
Ich bin selbst vehementer Kritiker der meisten Versuche die Steinzeiternährung zu begründen. Ich denke, dass die Ansätze der Steinzeiternährung kränkeln, weil die übliche Begründungsstruktur sehr wacklig und anfällig ist.
Im Gegenzug nehmen die Gegner der Steinzeiternährung an, dass sie Steinzeiternährung als falsch dargelegt haben, wenn sie die Begründungen für die Steinzeiternährung ausgehebelt haben. Doch dafür müsste man zeigen, dass die Annahmen der Steinzeiternährung zu einer schlechten Ernährung führen. Das machen sogar dogmatische Veganer besser, in dem sie auf mögliche Probleme des Fleischkonsums verweisen.
So wie Kiefer sollte man allerdings auf keinen Fall vorgehen, zumindest nicht, wenn man grundlegende Kenntnisse in Argumentationstheorie hat. (Auch sonst nicht)
Fragen
- Welche zentralen Probleme siehst du in der Steinzeiternährung?
- Welche besonderen Stärken siehst du in ihr?