Die Morgenroutine IV - Atmen, Strecken, Balancieren

Zusammenfassung: Diese drei Teile der Morgenroutine wecken das Nervensystem auf und bereiten uns auf den Tag vor. Ich stelle die zwei Grundformen des Atmens vor und einige Beispiele für Streck- und Balanceübungen.

Atmen, Strecken und Balancieren sind sehr unscheinbare Begriffe für diese sehr nützlichen Aspekte der Morgenroutine. Diese drei Aktivitäten bauen in der Morgenroutine aufeinander auf, so dass du am Ende der Routine wach und bereit für den Tag bist.

Hier geht es zu den ersten drei Beiträgen:

  1. Die Morgenroutine I – Warum überhaupt?
  2. Die Morgenroutine II – Auf Autopilot
  3. Morgenroutine III – Mobilisieren, Kräftigen, Ausbelasten

Atemübungen

Dem Atem weisen die spirituellen Systeme wie Yoga und Tai Chi eine sehr wichtige Rolle zu. Das tue ich auch. Bei den Atemübungen geht es im wesentlichen um zwei Aspekte:

  1. Erdung
  2. Belebung

Mit den traditionellen Systemen verbinden wir hauptsächlich die erdenden Elemente der Atmung. Das ist nicht verwunderlich, weil diese in unserer Kultur oft als Gegenmodelle dienen. Während wir in einer hektischen Welt aus Beruf, Verkehr und Konsum leben, suchen diejenigen, die sich mit Yoga und Tai Chi beschäftigen gerade die Abkehr von diesen Konzepten. Da liegt meiner Meinung nach das Klischee begründet.

Belebung ist ein Aspekt, der häufig nicht mit diesen Systemen verbunden wird, aber trotzdem zur Verfügung steht.

Unterschied von Bauch- und Brustatmung

In alle spirituellen Systemen ist die Bauchatmung zentral für die Erdung. Die Brustatmung ist dagegen etwas, was uns aufwühlt. Für die nachfolgende Übung ist für dich nur diese Unterscheidung wichtig:

  1. Die Bauchatmung erdet dich.
  2. Die Brustatmung belebt dich.

[pullquote position="right" hidden="true"]Eines haben Stressreaktionen aber gemeinsam. Sie machen uns wach und klar.[/pullquote]

Die Brustatmung ist ein bisschen problematisch, weil mit ihr auch negative Emotionen verbunden sind. Wenn wir Angst haben, beginnen wir flach in die Brust zu atmen. Unsere Schultern heben sich. Die Haare stellen sich auf. Elliot Hulse hat ein nettes Video zum Thema Angst und Atmung.

Die Brustatmung ist eine körperliche Manifestation von Stress. Doch Stress ist nicht immer etwas negatives. Es zwei Formen von Stress:

  1. Eustress bringt postive Reaktionen hervor. Wenn es uns beim Anblick einer begehrten Person den Atem verschlägt, dann ist das auch Stress.
  2. Disstress bringt negative Reaktionen hervor. Wenn wir Höhenangst haben, kann eine Leiter so ein Stressor sein.

Der gleiche Stressor kann bei verschiedenen Menschen verschiedene Reaktion hervorrufen. Der eine gerät in freudige Erregung, während der andere Panik bekommt. Ein extrovertierter Partylöwe gerät beim Anblick einer vollen und lauten Disko in höchste Verzückung. Ein introvertierter Einzelgänger ist vielleicht nur genervt oder gar ängstlich, wenn er eine unsicher ist.

Eines haben Stressreaktionen aber gemeinsam. Sie machen uns wach und klar. Und das bietet uns die Brustatmung. Weil wir uns in einer Morgenroutine befinden und die Brustatmung in einem kontrollierten Umfeld anwenden, können wir sie als Eustressor verwenden.

Die Bauchatmung dagegen ist relativ unproblematisch. Das Zuviel an Entspannung - im Yoga tatsächlich unter Umständen ein Problem - äußert sich meist im Einschlafen, wenn man Atemübungen im Liegen absolviert. Diesem Problem begegne ich, in dem ich direkt danach weitere Übungen anschließe. Die Kombination aus Atemübung und weiteren Übungen schafft dann den Spagat aus Erdung und Belebung.

Atmen um zu beleben und zu erden:

Wenn ich es nicht anders erwähne, dann atme durch die Nase. Du atmest tief und langsam. Ich mache bewusst keine Vorgabe, weil jeder sein eigenes Tempo hat. Wichtig ist, dass du dich bemühst langsam zu atmen.

Anfangs solltest du die Übungen in Rückenlage ausführen. Weil die Rumpfspannung so den Atem nicht behindert, fällt vor allem die Bauchatmung leichter. Später kannst du zum Stehen übergehen. Irgendwann kommt es nicht mehr auf die Position an, weil du so viel Routine hast, dass der Atem deine ganze Konzentration einnimmt.

  1. 5 tiefe Atemzüge in den Bauch. Halte die Brust dazu still. Sie soll sich nicht heben. Dein Bauch kommt raus wie eine Melone. Beim Ausatmen entspannst du dich und versuchst nicht die Luft herauszupressen.
  2. 5 tiefe Atemzüge vom Bauch in die Brust. Atme zunächst in den Bauch, so wie bei den ersten fünf Atemzügen. Nach der Hälfte deines Atemzuges lässt du auch deine Brust heben, so dass am Ende des Einatmens sowohl Bauch als auch Brust weit gedehnt sind. Auch hier ist wichtig, dass du ohne Druck ausatmest.
  3. 5 tiefe Atemzüge in die Brust. Atme in die Brust ohne den Bauch wesentlich zu dehnen und herauskommen zu lassen. Atme dazu durch die Nase ein und durch den Mund aus. Lass' den Atem etwas schneller werden, als du normaler Weise atmen würdest.
  4. 5 tiefe Atemzüge von der Brust in den Bauch Hier atmest du schnell in die Brust und lässt den Bauch am Ende deines Atemzuges herauskommen. Das Ausatmen solltest so lange ziehen, wie du nur kannst. Du atmest mit dem spitzen Mund aus (mach' einen Zischlaut). Achte darauf, dass dir hier nicht schwindelig wird.
  5. 5 tiefe Atemzüge in den Bauch. Atme nun die letzten Atemzüge in den Bauch. Atme langsam und tief. Achte aber nicht darauf, ob die Brust herauskommt oder nicht. Wenn du wirklich tief atmest, wird auch sie gedehnt werden. Es gilt nur den Fokus auf die Atmung aus dem Bauch heraus zu haben.

Danach solltest du dich belebt aber nicht aufgewühlt fühlen.

Langsame Eingewöhnug

So seltsam es klingen mag, aber auch hier ist ein langsamer Einstieg nützlich. Manchen kann schwindelig werden1. Andere wiederum setzen die Belastung der Schritte (3) und (4) in Disstress um. Wenn du dir unsicher bist, dann lass' zunächst diese beiden Schritte weg.

Strecken

Beim Strecken geht es im Gegensatz zum Dehnen nicht um eine langfristige Erweiterung der Beweglichkeit. Du hältst die Positionen nicht sehr lange, sondern spürst nur kurz in die Dehnung rein und wechselst dann zur nächsten Position. So mobilisiert man nicht nur die Gelenke, man aktiviert auch die Muskulatur die aufgrund des Dehnreflexes unwillkürlich innerviert wird.

Streckübungen haben einen angenehm belebenden Charakter. Danach fühlt man sich zumeist wacher und klarer.

Yoga bietet wunderbarer Weise eine Übungsabfolge, die leicht zu merken ist:

Der Sonnengruß

Wenn es ums Strecken geht, darf man bei der Ausführung des Sonnengrußes eine gewisse Toleranz bei der Übungsausführung walten lassen. Der Sonnengruß hat an dieser Stelle nur die Funktion einer Gedächtnisstütze, so dass man sich weniger Gedanken um die einzelnen Positionen machen muss. Also sei nicht überkritisch, wenn es ein ein bisschen krumm und schief aussieht - besonders am Anfang.

Wichtig ist nur, dass du dich eine kurze Dehnung bringen kannst und dann wieder zur nächsten Position wechselst.

Balanceübungen

Balanceübungen sind der letzte Schliff der Morgenroutine. Erfahrungsgemäß überträgt sich die Stabilität, durch diese Übung auf die Psyche. Wir sind ausgeglichener.2

Balanceübungen aktivieren außerdem die stabilisierende Muskulatur an der Hüfte. In diese sollte jeder Mensch investieren.

  • Alte Menschen sind hier oft besonders schwach.
  • Menschen, die viel sitzen, verlieren ihre Stabilität in einem unglaublichen Tempo. Die Rückengesundheit hängt stark von der Hüftstabilität und ihrer entsprechenden Positionierung ab.
  • Sportler sollten ebenfalls hier investieren. Oft kompensieren sie Schwächen durch Kraft. So erhöht sich aber das Verletzungsrisiko und Trainingsfortschritte werden erschwert.3

In diesem Video sind einige Balanceübungen vorgestellt:

Abschließende Worte

Das ist der Mobilisierungsteil der Morgenroutine. Wenn du möchtest kannst du jetzt schon einmal damit anfangen. Als Ausblick: Im letzten Teil (nicht der nächste) gebe ich eine kleine Bastelanleitung zur Morgenroutine. Und beim schrittweisen Aufbau der Morgenroutine geht es erstmal nur um dem mobilisierenden Teil. Später kannst du dann die anderen Teile anfügen.

Im nächsten Beitrag schreibe ich über die Teile Kräftigung und Ausbelastung.

Fragen

Nimm' dir einige Minuten Zeit und führe die Atemsequenz durch. Und fühle in dich hinein, welche Effekte in der einzelnen Sequenz spürbar sind.

  • Wie fühlen sich die einzelnen Sequenzen für dich an?
  • Wie fühlst du dich danach?

Bilder

Photo Credit: Naberacka via Compfight cc


  1. So wie mir gerade, weil ich beim Schreiben die Atemübungen immer wieder durchgeführt habe um mich auf das Schreiben einzustimmen. 

  2. Versuch' mal, wenn du dich unausgeglichen fühlst, ein paar Balanceübungen auszuführen. Du wirst feststellen, dass es erheblich schwerer ist. 

  3. Manchmal bin ich sogar versucht zu glauben, dass das sportliche Potential da liegt, wo man seine funktionalen Defizite kompensieren kann. Erst, wenn man keine funktionalen Defizite hat, kann man überhaupt sein Potential realisiern.